Martin Luther
Wittenberg, Deutschland
Je mehr sie toben, umso weiter schreite ich aus.10.11.1483
18.02.1546
Martin Luther straft all diejenigen Lügen, die glauben, dass ein Einzelner in dieser Welt nichts Grundlegendes bewirken könne. Luthers Wirken hat in der abendländischen Welt ein Beben verursacht, dessen Ausläufer bis heute spürbar sind. Und diese Umsturzkraft hatte ihren Ursprung nicht etwa in der Gewalt des Schwertes, sondern in der Gewalt des Wortes.
Freilich, wie immer in Zeiten des Umbruchs, gab es Konstellationen und Voraussetzungen, die diese Reformation oder besser gesagt Revolution erst ermöglicht haben. Im Falle Luthers war es insbesondere die Erfindung des Buchdrucks um 1450, die ihm half, mit Büchern und Flugschriften seine Anschauungen in die Köpfe und Herzen der Menschen zu tragen. Und zwar nicht in der elitären lateinischen Sprache, sondern in der deutschen Sprache, der Alltagssprache des Volkes.
Luther, der mit 22 Jahren gegen den Willen seines Vaters sein Jurastudium an den Nagel gehängt hatte und als Mönch ins Erfurter Augustinereremitenkloster eingetreten war, kam nach der Priesterweihe ins Wittenberger Augustinerkloster und wurde dort ein paar Jahre später Professor für Bibelerklärung. Sein Glaubensverständnis hatte sich in dieser Zeit durch intensives Bibelstudium und existentielle Krisen weiter ausgeformt. Immer stärker wurde ihm die Diskrepanz zwischen dem biblischen Wort Gottes und der Kirche seiner Zeit bewusst.
Auslöser für Luthers Widerständigkeit gegenüber der Institution Kirche war deren Ablasshandel, Heiligenverehrung und Reliquienkult. Er warf der Kirche vor, sie nutze die Ängste der Menschen vor dem Jenseits aus, gaukle ihnen vor, dass sie sich bereits im diesseitigen Leben durch Geld und rituelle Handlungen von Sünden und folglich einer Bestrafung durch das Fegefeuer freikaufen könnten. Mit ihren Ablassbriefen verwalte sie das Jenseits, aus Sicht Luthers eine ungeheure gottlose Anmaßung. Er sprach der Institution Kirche, „des Teufels Grundsuppe“, die Legitimation ab, über das Seelenheil der Menschen bestimmen zu können. Hingegen könne allein der Glaube an Gott und Gottes Gnade den Menschen retten, er bedürfe keiner priesterlichen Bevormundung. Diese direkte Beziehung des Gläubigen zu Gott war ein radikaler Schritt hin zur Emanzipation und Selbstverantwortung des Individuums. Dessen Freiheit sah Luther nur durch das in Gott gebundene Gewissen begrenzt. „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan.“
Am 31. Oktober 1517 hämmerte Luther seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel an die Tür der Wittenberger Schlosskirche, so zumindest will es die Legende. Historisch korrekt ist wohl eher, dass Luther sein theologisches Thesenpapier zunächst lediglich Kollegen und Vorgesetzten zukommen ließ, um eine Debatte anzuregen – „Aus Liebe zur Wahrheit und in dem Bestreben, diese zu ergründen.“ Mit seiner Protestschrift setzte er dann aber eine gesamtgesellschaftliche Erschütterung und Dynamik in Gang, die er nicht vorausgesehen, geschweige denn geplant hatte. Er wollte die abendländische Kirche reformieren, nicht jedoch spalten. Im Kampf um die richtige Lehre wurde Luther gegen seine Absicht zum Rebell: „Je mehr sie toben, umso weiter schreite ich aus.“
Die römisch-katholische Kirche sah sich in ihrer Autorität und in ihrem Glaubensmonopol attackiert und reagierte mit Kirchenbann. Luther wurde zum Ketzer erklärt. Im April 1521 wurde er schließlich auf den Wormser Reichstag zitiert, um vor Kaiser Karl V. und den Reichsfürsten seine Position zu widerrufen. Doch Luther weigerte sich. Obwohl ihm die Reichsacht drohte, stellte er sich gegen die kirchliche und nun auch gegen die weltliche Macht: „Mein Gewissen bleibt gefangen in Gottes Wort. Denn ich glaube weder dem Papst noch den Konzilien allein, weil es offenkundig ist, dass sie öfters geirrt und sich selbst widersprochen haben. Widerrufen kann und will ich nichts, weil es weder sicher noch geraten ist, etwas gegen sein Gewissen zu tun.“
Nun war Luther „vogelfrei“. Er musste untertauchen, denn jedermann hatte das Recht, ihn zu erschlagen oder gefangenzunehmen. Sein ihm wohlgesonnener Landesherr, der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise, simulierte einen Überfall und ließ Luther auf die Wartburg bringen. Dort als „Junker Jörg“ mit Bart und vollem Haupthaar verbrachte Luther zehn Monate inkognito. In dieser Zeit übersetzte er in einem enormen Kraftakt das Neue Testament ins Deutsche. Luthers Bibelübersetzung war ein theologischer und literarischer Meilenstein. Sie ermöglichte nicht nur jedem des Lesens Kundigen, sich selbst ohne priesterliche Vermittlung mit Gottes Wort vertraut zu machen, sie prägte auch in hohem Maße die deutsche Sprache – bis heute. Ganz selbstverständlich benutzen wir Luthers schöne Sprachschöpfungen wie „Wolf im Schafspelz“, „Buch mit sieben Siegeln“, „Lockvogel“, „Schandfleck“, „Gewissensbisse“, „Feuereifer“ „Herzenslust“ „Lückenbüßer“ oder „Wissensdurst“.
Luther, der durch die Reichsacht in seiner Bewegungsfreiheit weiterhin eingeschränkt blieb, zog 1522 zurück ins Wittenberger Kloster. Die abendländische Welt war längst durch seine reformatorischen Schriften in Bewegung geraten. Viele Nonnen und Mönche verließen die Klöster, Pfarrer heirateten, die Sakramente wurden auf Taufe und Abendmahl reduziert. Das biblische Wort erhielt im Gottesdienst eine zentrale Rolle sowohl durch die Predigt als auch durch die Kirchenlieder, von denen viele von Luther selbst stammten.
1525 heiratete Luther mit 41 Jahren Katharina von Bora, eine ehemalige Nonne, die durch den Kontakt mit Luthers Reformationsideen dem Klosterleben den Rücken gekehrt hatte. Sechs Kinder gingen aus der Ehe hervor. Die Familie lebte im aufgelösten Wittenberger Augustinerkloster, das Luther 1532 vom Kurfürsten übereignet bekam. Um die vierzig Personen gehörten zeitweise zum Haushalt, darunter auch Studenten, die durch Kost und Logis zum Einkommen der Luthers beitrugen. Das Haus war Katharinas Domäne. Und sie verstand es, klug zu wirtschaften und der Familie durch Landerwerb, Ackerbau und Viehzucht eine gute wirtschaftliche Basis zu schaffen.
Luther, unterstützt durch seinen Mitstreiter Philipp Melanchthon, kämpfte weiterhin für die Verbreitung seiner Reformationslehre, hielt Vorlesungen, predigte und schrieb in deutscher Sprache. Die Lutherstube im ersten Stock war das ideelle Zentrum des Hauses. Tisch, Kastensitz und Bänke sowie die Wandtäfelung und Teile des Fußbodens sind original erhalten. Dorthin zog sich der Reformator nach den Mahlzeiten mit Freunden und Kollegen zu den berühmten Tischgesprächen zurück.
Trotz aller Erfolge traten bei Luther mit den Jahren eine gewisse Enttäuschung und Schwermut ein. Es war ihm nicht gelungen, die gesamte Kirche zu reformieren, vielmehr hatte sich die Spaltung verfestigt. Darüber hinaus polemisierte er scharf gegen den Islam und das Judentum, die nicht bereit waren, sich dem christlichen Glauben anzuschließen. Er distanzierte sich auch von den blutigen Bauernaufständen, in denen seine als friedvoll gedachte Volksbewegung in Gewalt umgeschlagen war. Mit Freiheit im politischen Sinne wusste Luther nichts anzufangen.
1546 verstarb Luther in seiner Geburtsstadt Eisleben, in die er bereits gesundheitlich angeschlagen gereist war, um in einem Zwist zu schlichten. Er wurde in der Wittenberger Schlosskirche beigesetzt, die ebenso wie das Wohnhaus Luthers seit 1996 zum Unesco Kulturerbe gehört. Und der Ort, von dem aus die Reformationslehre in die Welt hinausströmte, heißt seit vielen Jahrzehnten offiziell „Lutherstadt Wittenberg“.