Otto von Bismarck

Bad Kissingen, Deutschland

Foto: Wikimedia Commons/Franz von Lenbach,1894 (Ausschnitt)

Ich bade innerlich und äußerlich jeden Tag, einstweilen mit dem Erfolge geistigen Stumpfwerdens.

01.04.1815

30.07.1898

www.badkissingen.de

Deutschland ist voll von Bismarckstraßen, Bismarckplätzen, Bismarcktürmen, Bismarckdenkmälern. Der Name Otto von Bismarck hat im deutschen Alltagsleben noch immer seinen Platz, auch wenn sich heute kaum noch erahnen lässt, welchen Kult es einstmals um den Gründer des Deutschen Kaiserreichs gegeben hat. Das erste Bismarckdenkmal wurde übrigens 1877 nicht etwa in Hamburg oder Berlin errichtet, sondern im kleinen Bad Kissingen. Denn auf diese Kurstadt an der Fränkischen Saale schnurrte das politische Machtzentrum Deutschlands für einige Wochen im Jahr zusammen, immer dann, wenn sich der gegen Übergewicht und Überarbeitung ankämpfende Reichskanzler Otto von Bismarck dort zum Kuren einfand.  

Gleich sein erster Kuraufenthalt 1874 katapultierte Bad Kissingen in die internationalen Schlagzeilen. Bei einer Kutschausfahrt entkam der Reichskanzler nur knapp einem Mordanschlag. Ein fanatisierter Katholik lauerte ihm mit der Pistole auf, aus Empörung über Bismarcks Zurückdrängung der katholischen Kräfte in der Reichspolitik. Obgleich Bismarck von dieser Aktion nur eine leichte Verletzung am Handgelenk davontrug, wünschte er für seine weiteren Kuraufenthalte, fortan in der Oberen Saline zu logieren. Die solitäre Lage des Anwesens abseits vom Kurbetrieb kam seinem Ruhebedürfnis mehr entgegen und bot zudem bessere Schutz- und Überwachungsmöglichkeiten.

In einem Flügel der ehemaligen Salinenverwaltung, die im 18. Jahrhundert den Würzburger Fürstbischöfen als Kurquartier gedient hatte, wurde eigens für ihn und seine Familie eine Wohnung eingerichtet. Die Räume, ausgestattet mit wuchtigem, dunklem Mobiliar in altdeutschem Stil, sind original erhalten und seit 1998 als Museum zugänglich. Sie haben die Zeit scheinbar unberührt überdauert. Es ist, als ob man beim Betreten eine Zeitkapsel ins 19. Jahrhundert öffnete. Die Vergangenheit riechen, geht das? Ja, der leicht mufflige Geruch, den diese Wohnstätte verströmt, scheint aus längst vergangener Zeit zu stammen. Im Festsaal speisten die Bismarcks und empfingen Gäste aus Politik und Diplomatie. Auch das Arbeitszimmer und das Schlafzimmer Otto von Bismarcks sind original erhalten.

Der schwergewichtige Reichskanzler litt unter nervösen Reizzuständen und  Schlafstörungen.  „Ich habe nicht schlafen können, ich habe die ganze Nacht gehasst“, soll der für seine Konfliktfreude bekannte Bismarck nach einer dieser durchwachten Nächte zum Leiter der Staatskanzlei gesagt haben. Unter dem kontrollierenden Blick seines Arztes Schweninger unterzog er sich den verordneten Diät- und Badeprozeduren. „Schweninger ist überhaupt der einzige Mensch in meinem Leben gewesen, der Macht über mich gewonnen hat und dem ich nahezu unbedingt Gehorsam leiste“, bekannte er. Die sogenannte Bismarck-Waage an der Kissinger Kurpromenade, auf der sich der Reichskanzler öffentlich wiegen und die verlorenen Pfunde auf einer Tafel festhalten ließ, war schon damals eine Attraktion. Täglich fuhr er mit seiner Kutsche, die ihm der bayerische König Ludwig II. samt Personal zur Verfügung gestellt hatte, zum Salinenbad. „Ich bade innerlich und äußerlich jeden Tag, einstweilen mit dem Erfolge geistigen Stumpfwerdens, ein Kursymptom, welches meinen Arzt mit freudiger Zuversicht erfüllt“, heißt es in einem seiner Briefe.

Doch dieser prominente Kurgast war vor allem Vollblutpolitiker. Sein Denken und Handeln kreiste auch in Bad Kissingen in erster Linie um die Regierungsgeschäfte. Gewöhnlich zog sich Bismarck nach dem Mittagessen und abends nach dem Diner in sein Arbeitszimmer zurück. Im Haus waren eine Telegraphen- und Gendarmeriestation sowie ein Postkurierdienst eingerichtet. Bad Kissingen, das Bismarck insgesamt fünfzehn Mal zum Kuren aufsuchte, kann für sich in Anspruch nehmen, dass von hier wichtige außen- und innenpolitische Weichenstellungen ausgegangen sind. Im sogenannten Kissinger Diktat von 1877, das Bismarck seinem Sohn Herbert in die Feder diktiert hatte, umriss der Reichskanzler seine strategischen Vorstellungen einer europäischen Bündnis- und Friedenspolitik. Ebenfalls an diesem Ort fanden Bismarcks entscheidende Gespräche statt, die zur Einführung einer zukunftsweisenden deutschen Sozialgesetzgebung (Kranken- und Unfallversicherung, Invaliditäts- und Altersversicherung) führten. Neben den politischen Verdiensten in seiner über zwei Jahrzehnte währenden Amtszeit gehören zur Bismarck-Ära allerdings auch die folgenreichen innenpolitischen Fronten gegen die sogenannten „Reichsfeinde“, den politischen Katholizismus und den Sozialismus.

Bismarcks Leibmaler Franz von Lenbach, der den Reichskanzler viele Jahre lang begleitet und in über achtzig Gemälden porträtiert hatte, sagte über ihn: „Freunde im gewöhnlichen Sinn hat Bismarck meiner Ansicht überhaupt nicht, und ich glaube nicht, dass Männer von solcher Größe je dergleichen gehabt haben. Er haust in sich, er blickt gedankenvoll zurück auf die ungeheure Summe seines Lebens.“

1890 nach seiner demütigenden Entlassung durch den jungen Kaiser Wilhelm II. ebbte die Bismarck-Verehrung keineswegs ab. Im Gegenteil, sein Tod 1898 und seine posthum veröffentlichten Memoiren „Gedanken und Erinnerungen“ befeuerten den Mythos Bismarck noch einmal nach Kräften. Heute hat dieser Mythos längst seine Strahlkraft verloren, wenngleich der ehemalige Reichskanzler noch vielerorts mit seinem Namen präsent ist und auch in der deutschen Sprache seine Spuren hinterlassen hat. Das schöne Wort „Zivilcourage“ zum Beispiel ist eine Wortschöpfung Otto von Bismarcks.