James Ensor

Ostende, Belgien

Foto: Wikimedia Commons/James Ensor, 1883 (Ausschnitt)

Ich bin gekommen, den Bourgeois zu ärgern.

13.04.1860

19.11.1949

www.ensorhuis.be

Das schmale Haus mit seiner grüngestrichenen Ladenfront wirkt wie herausgefallen aus der Zeit. Eingezwängt zwischen hochmütigen Nachbarn behauptet es sich mit seinem anachronistischen Schaufenster voll kurioser Reiseandenken nur mühsam gegen seine Umgebung. Es erinnert an die Zeit um 1900, als Ensors Tante Mimi das Souvenirgeschäft betrieb. Hier und im nahegelegenen Laden seiner Mutter ist James Sidney Ensor aufgewachsen. Der Vater, ein englischer Ingenieur, war früh verstorben. „Ich habe meine Kindheit in dem väterlichen Laden verbracht, umgeben von den Schätzen des Meeres, dem Perlmuttglanz der Muscheln, die in tausend Farben schimmerten, den bizarren Skeletten von Ungeheuern und Wasserpflanzen. Diese herrliche Welt voll Farben, diese Überfülle an Spiegelungen und Strahlen hat aus mir einen Maler gemacht, der in die Farbe verliebt und von der blendenden Glut des Lichtes entzückt ist.“

Man betritt das ehemalige Reich des Malers über das neukonzipierte Besucherzentrum. Und dann plötzlich steht man mitten in einem kleinen, dunklen Verkaufsraum. Ein Sammelsurium von Karnevalsmasken, Skeletten, ausgestopftem Getier, Schiffsmodellen, Totenschädeln und Muscheln füllt die Regale und Vitrinen. Ensor hat diese wunderliche Schatzkammer geerbt. Auch wenn er sie schon bald für die Kundschaft geschlossen hielt, beließ er dort alles so wie er es vorgefunden hatte. Der skurrile Laden war und blieb ein Inspirationsreservoir für seine Bildwelten. Ensor wohnte und arbeitete von 1917 bis zu seinem Tod 1949 in den beiden oberen Stockwerken.

Vorbei am Garderobenständer mit dem schwarzem Gehrock und schwarzem Hut des Hausherrn geht es über eine schmale Treppe hinauf in den Salon, der ihm als Wohnzimmer und Atelier gedient hatte. Zu Ensors Lebzeiten war er angehäuft mit seinen eigenen Bildern, den Originalen versteht sich, die inzwischen durch Reproduktionen ersetzt wurden. Ensors blasphemisches Werk „Der Einzug Christi in Brüssel im Jahre 1889“ erstreckt sich an der Wand über dem Harmonium. In seiner grellen, flächigen Farbigkeit sabotiert dieses Monumentalbild die plüschige Biederkeit der Einrichtung – die blaugemusterte Tapete, den barocken Schrank, den geblümten Teppich. Es ist eine irritierende Mixtur. Die Dämonen und Gespenster fallen als fratzenhafte Masken, Skelette und Marionetten in die behaglich geordnete Bürgerlichkeit ein – in diesem Zimmer genauso wie in Ensors Gemälden und Zeichnungen. Der ganze anarchische Malkosmos Ensors tummelt sich feixend in diesem Raum.

Unnachahmlich hat Ensor die „schöne rebellische Welt“ der Farben geschildert, in die er als Maler versuchte Ordnung zu bringen: „Meine Damen, die schlecht angeordneten Farben streiten sich wie schreckliche, schwierige Nachbarinnen über Gebühr. Der unaufhörliche Krieg der beiden Rosa dauert an. Fräulein Zinnober drängt vor Frau Silberweiß zum Schwarz. Frau Chinalack ärgert sich ganz rot vor Herrn Destrée-Blau. Herr von Kadmium stößt zum Kanariengelb vor, wenn Fräulein Bitumen frisch loszieht. Die Herren Grün werden grundlos ganz grau und nach und nach blau. Frau Englischrot und Herr von Karmin neutralisieren ihre Essenzen.“

James Ensor ist keiner Kunstrichtung klar zuzuordnen. Ganz bewusst hat sich der exzentrische Einzelgänger von allen Ismen distanziert. Seiner Heimatstadt Ostende dagegen fühlte er sich ein Leben lang verbunden – dem Meer, der Strandpromenade mit ihren sommerlichen Lustbarkeiten sowie dem legendären „Bal Rat Mort“, dem alljährlichen Karnevalstreiben. Dort konnte er für seine Imagination aus dem Vollen schöpfen. Sein sezierender Blick auf die vielfältigen Maskeraden fand in seinen Bildern einen bis ins Groteske gesteigerten Widerhall. „Ach! Man muss die Masken unter unserem weiten Himmel aus Opal gesehen haben. Mit grellen Farben beschmiert, bewegen sie sich mühsam vorwärts, den Rücken gekrümmt, erbärmlich im Regen, Kreaturen voller Entsetzen, draufgängerisch und ängstlich, knurrend oder kläffend, mit dünner Fistelstimme oder einem dröhnenden Signalhorn, makabre Tierköpfe, erregte Freuden, unerwartete Gesten, ungebändigte, gereizte Tiere. Abstoßende Menschlichkeit, doch voller Lebendigkeit unter den abgetragenen Kleidern, deren schimmernde Pailletten der Mondmaske entrissen wurden.“  Ensors provokative Spottlust blieb auch anlässlich seiner fulminanten Rede zum 75. Geburtstag ungebrochen: „Ich bin gekommen, den Bourgeois zu ärgern“.

James Ensor, der zumeist schwarzgekleidet in Begleitung seines Hausdieners August durch Ostende flanierte, genoss seinen späten Ruhm. Geheiratet hat er nie. „Ich habe keine Kinder. Meine Tochter aber ist das Licht.“ James Ensor starb mit 89 Jahren. Er ist in seiner Heimat begraben, außerhalb der Stadt auf dem Friedhof von Mariakerke, auch der herausgefallen aus der Zeit wie das kleine Ladengeschäft in der Vlaanderenstraat.