René Magritte
Brüssel, Belgien
Meine Bilder sind sichtbare Gedanken.21.11.1898
15.08.1967
Selten verweist der reale Lebensort eines Künstlers so unmittelbar auf seine Werke. Der Schirm, der Hut, der Vorhang, der Kamin, die Tür, die Treppe, die Laterne … Die hat man doch irgendwann irgendwo schon mal so gesehen. Und in der Tat, diese Erdgeschosswohnung im Brüsseler Vorort Jette steckt voller Motive, die uns aus dem Bilderkosmos René Magrittes vertraut sind. Hier hat der Maler 1930 bis 1954 zusammen mit Ehefrau Georgette und Hund Loulou gelebt. Hier ist ein Großteil seiner bekannten Gemälde entstanden.
Offensichtlich bot ihm diese kleinräumige, kleinbürgerliche Welt genügend Anregungen für seine Bild- und Gedankenexperimente. Magritte sah sich selbst ohnehin eher als Denker denn als Künstler. „Meine Bilder sind sichtbare Gedanken“, hat er einmal gesagt. In dem schmalen Reihenhäuschen gibt es im Parterre nicht mehr als ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer, ein Bad und eine Küche, an die sich ein schmales Esszimmer anschließt. Dazu auf der Hausrückseite ein Fleckchen Garten.
Die Einrichtung ist eher bieder. Nur die farbkräftigen Wände und die von Magritte entworfenen roten Schränke im Schlafzimmer tanzen stilistisch aus der Reihe. Auf dem Bett ist ein ausgestopfter Spitz drapiert. Ganz egal, wie viele Spitze es im Leben der Magrittes auch gegeben haben mag, immer wurden sie Loulou genannt. Das passt zu Magritte, denn auch in seinen Bildern tauchen die gleichen Dinge immer wieder in unterschiedlichen Konstellationen auf.
Es waren damals magere Jahre für die Eheleute. Die Kunst brachte wenig ein, Georgette verdiente halbtags als Verkäuferin dazu und René verdingte sich als Werbegrafiker. Den Atelierschuppen im Garten benutzte er als Lager und für werbliche Auftragsarbeiten. Ein eigenes Malatelier besaß er nicht. Vielmehr wurden Staffelei und Malutensilien im Esszimmer aufgebaut und jedes Mal zu den Mahlzeiten wieder beiseite geräumt. Magritte malte im Anzug und machte angeblich selbst im Anzug seinen Mittagsschlaf. Jegliche bohèmehafte Künstlerattitüde war ihm suspekt. Passend zum Milieu des Kleine-Leute-Viertels scheint das Ehepaar mit seinen Loulous ein unauffälliges Leben geführt zu haben. Nur in den selbstgedrehten Filmen, die den Maler im Kreis seiner Freunde aus dem belgischen Surrealistenkreis zeigen, lebte er offensichtlich seine spielerische Dada-Seite aus.
Bis auf das Pariser Intermezzo 1927 bis 1930 verbrachte Magritte die meiste Lebenszeit in Brüssel – mit Georgette, seinem Lebensmenschen. In Paris verkehrte er im Surrealistenkreis um André Breton und begegnete dort seinen Künstlerkollegen Joan Miró, Max Ernst und Salvador Dali. Aber er blieb ein Außenseiter, zu unterschiedlich waren die künstlerischen Auffassungen. Während für die Pariser Surrealisten die Kreation aus dem Unbewussten heraus eine zentrale Rolle spielte, negierte Magritte den Einfluss von Freuds Psychoanalyse auf seine Kunst: „Ich glaube nicht an das Unbewusste und auch nicht daran, dass die Welt sich uns als ein Traum darstellt.“ Als es dann wegen eines Kreuzes am Hals von Georgette zum Eklat mit dem kirchenfeindlich gesinnten Breton kam, war das Maß voll. Die Magrittes kehrten Paris den Rücken und mieteten sich in diese Brüsseler Parterrewohnung ein.
De Chiricos Gemälde „Das Lied der Liebe“ gilt als Schlüsselerlebnis für Magrittes Schaffen. Magrittes Bilder zeichnen sich durch kräftige Farben und einen realistisch plakativen Stil aus. Auf den ersten Blick wirken sie beinahe naiv, wenn, ja wenn in ihnen nicht unsere vertrauten Seh- und Denkgewohnheiten subversiv unterwandert werden würden. Seine Bilder heben Logik und Naturgesetze aus den Angeln, verfremden vertraute Alltagsgegenstände, indem sie sie in irritierend neue Zusammenhänge stellen. „Denn alles in unserem Leben ist Mysterium“, so Magritte. Da schwebt ein Fels in der Luft, da regnet es Dutzende Männer mit dunklem Anzug und Bowlerhut vom Himmel, da schießt eine dampfende Lokomotive aus dem Kamin heraus. Manche dieser Bilder haben sich ins kulturelle Gedächtnis eingegraben, manche gar ins Herz wie „Das Reich der Lichter“, ein nächtlich sanft beleuchtetes Haus unter einem taghellen, blauen Himmel.
Der Erfolg, die internationale Anerkennung und das Geld kamen spät. Nun konnten sich die Magrittes den Umzug in ein Gebäude im vornehmeren Schaerbeek leisten. Dort lebte der Maler bis zu seinem Krebstod 1967. Heute gehört er zu den populärsten Künstlern des Surrealismus. Das prächtige Musée Magritte im Zentrum von Brüssel mit seiner weltweit größten Magritte-Sammlung sollte man nicht versäumen. Aber auch dieses schlichte Häuschen nicht, das dank eines leidenschaftlichen Sammlers mit größtenteils originalem Inventar rekonstruiert wurde und darüber hinaus eine Fülle an Dokumenten, Fotografien, Briefen, Erinnerungsstücken und Werken in seinen Mauern versammelt. An diesem Ort kommt man René Magritte und seiner verrätselten Bilderwelt ganz besonders nahe.