Karl May
Radebeul, Deutschland
Ich bin wirklich Old Shatterhand.25.02.1842
30.03.1912
Lassen wir zunächst einmal einen seiner zahllosen Fans zu Wort kommen, immerhin ist Karl May bis heute einer der meistgelesenen Schriftsteller deutscher Sprache. Hermann Kant, auch er ein Schriftsteller, findet schwärmerische Worte für seinen Kollegen: „Oh herrlicher sächsischer Lügenbold, gepriesen sei Dein vielgeschmähter Name! Dank Dir, Du genialer Spinner aus Hohenstein-Ernstthal, Dank Dir für tausendundeine Nacht voller Pulverdampf und Hufedonnern. Heißen Dank für Äquatorsonne und Präriewind und Wüstensand und Steppengras, für Shatterhand und Hadschi, für Winnetou und Geierschnabel, ungeschmälerten Dank dafür, was immer sie Dir nachsagen.“
Was sind schon die vielen Maskeraden und die gewagte Vermischung von Dichtung und Wahrheit in Karl Mays Leben gegen den Unterhaltungsspaß, den seine Abenteuergeschichten seit Jahrzehnten bei seiner Leserschaft hinterlassen. Karl May hat für Generationen von Lesenden das Bild des „Wilden Westens“ und des Orients geprägt. Und auch heute noch ist er nicht nur in seinen Büchern, sondern ebenso in Verfilmungen und auf Freilichtbühnen erstaunlich präsent. Besonders mit dem edlen Apachenhäuptling Winnetou und seinem bleichgesichtigten Blutsbruder Old Shatterhand hat er Figuren geschaffen, die im Kampf gegen das Böse eine ideale Projektionsfläche für exotische Abenteuerträume bieten. Allein mit Hilfe von Nachschlagewerken, Landkarten und Fachliteratur erschuf seine erstaunliche Imaginationskraft diese Traumwelten. „Ich bin wirklich Old Shatterhand resp. Kara ben Nemsi und habe erlebt, was ich erzähle“, machte er seine Leserschaft glauben und glaubte wohl selbst daran.
Karl May war ein Phantast und Spieler. An seine Fans verschickte er Autogrammkarten, auf denen er sich im Kostüm von Old Shatterhand oder Kara Ben Nemsi hatte ablichten lassen. Manchmal lag auch eine blauschwarze Rosshaarsträhne bei, von der er behauptete, sie stamme von Winnetous Haupt höchstpersönlich. Oder May prahlte, er müsse in der Prärie täglich „10 bis 14 Pfund Fleisch, nicht selten roh oder unter dem Sattel zugeritten“, verzehren, um bei Kräften zu bleiben. In seinen Lesungen soll er beim Kapitel über den Tod seines Freundes Winnetou in Tränen ausgebrochen sein. Selbstverständlich war er auch im Besitz der drei legendären Gewehre „Silberbüchse“, „Bärentöter“ und „Henrystutzen“, die heute im Karl-May-Museum zu sehen sind. Seinen Lesern verschwieg May, dass er die Waffen von einem Dresdner Büchsenmacher hatte anfertigen lassen. Stattdessen fabulierte er, er habe die Gewehre aus den Gräbern seiner Helden vor deren Feinden in Sicherheit gebracht. Mays bizarre Selbstinszenierungen fanden auch auf seiner Visitenkarte ihren Niederschlag. „Dr. Karl May, genannt Old Shatterhand“ war da zu lesen. Es muss wohl kaum erwähnt werden, dass auch sein Doktortitel unrechtmäßig von ihm geführt wurde.
Den angemessenen Rahmen für seine Phantasiewelten bot sein Domizil in Radebeul bei Dresden, das er 1895 nach einem hart erarbeiteten Erfolg mit den „Gesammelten Reiseerzählungen“ erwerben konnte. Das stattliche Haus im Neorenaissance-Stil mit parkartigem Garten und damals noch freiem Blick ins Elbtal war ganz nach seinem Geschmack. Unterm Dachsims ließ er den Namen „Villa Shatterhand“ anbringen. Der Empfangssalon, die Bibliothek und sein Arbeitszimmer sind weitgehend original erhalten, angehäuft mit Reiseandenken, Waffen, Löwen- und Bärenfellen, orientalischem Mobiliar und Dekor.
Erst in dieser Phase seines Lebens konnte es sich Karl May finanziell leisten, nun tatsächlich an die Schauplätze zu reisen, die er Jahre zuvor so detailgenau in seinen Büchern beschrieben und von denen er schon damals behauptet hatte: „Ich habe jene Länder wirklich besucht und spreche die Sprachen der betreffenden Völker.“ 1899 machte er sich zu einer Reise in den Orient und 1908 zu einer Reise in die USA auf. Freilich hatten diese touristischen Unternehmungen nichts mit seinen literarischen Märchenwelten zu tun, sie führten zu einer zutiefst verstörenden Entzauberung. Wirklichkeit und Fiktion prallten mit Wucht aufeinander, May reagierte mit Schock und Nervenkrisen. Heimgekehrt nach Radebeul wandte er sich zunehmend von der Abenteuerliteratur ab und religiös-pazifistischen Themen zu. Auch die Illustrationen auf den Buchumschlägen wandelten sich. Die schuf sein Freund Sascha Schneider, ein Jugendstilmaler, von dem im Empfangssalon das wandfüllende Gemälde „Chodem – Das Gewissen“ stammt.
Auch seine späten Jahre, die eigentlich durch materielle Sicherheit, das Ende der zermürbenden Ehe mit Emma und der Heirat mit Klara Plöhn etwas Ruhe in sein arbeitswütiges Leben hätten bringen können, blieben turbulent. Kritiker brachten öffentlich seine Lügengeschichten und seine Vergangenheit ans Licht. Diese Vergangenheit war nicht lupenrein, das wusste Karl May. Als fünftes von vierzehn Kindern war er in eine bitterarme Weberfamilie im Erzgebirge hineingeboren worden. Unendlicher Kraft hatte es bedurft, sich aus dieser sozialen Not herauszukämpfen. Nicht immer gelang ihm dies mit legalen Mitteln. Die Unterschlagung von sechs Kerzen im Lehrerseminar war der Anfang von zahlreichen Betrügereien, Diebstählen und Hochstapeleien, die May insgesamt fast acht Jahre Zuchthaus eingebracht hatten.
Bis zu seinem Tod war er in Prozesse und Gegendarstellungen verstrickt. Er starb 70-jährig und ist auf dem Radebeuler Ostfriedhof in einem antikisierenden Mausoleum begraben. Seine Frau Klara eröffnete 1928 in dem nach seinem Tod erbauten Blockhaus „Villa Bärenfett“ eine ethnologische Sammlung mit bis heute über 800 sehenswerten und ─ ungelogen ─ echten Exponaten zur nordamerikanischen Indianerkultur.
Ob „Villa Shatterhand“ oder die danebenliegende „Villa Bärenfett“, ein Ausflug ins Karl-May-Reich nach Radebeul lohnt sich allemal. Großes Indianerehrenwort!