Asta Nielsen
Vitte (Hiddensee), Deutschland
Mein rundes Paradies.11.09.1881
25.05.1972
Sommer auf Hiddensee. Für die dänische Stummfilmdiva Asta Nielsen war er nach anstrengenden Dreharbeiten jedes Mal ein Versprechen auf unbeschwerte Ferienwochen. „Schon die Reise dorthin erschien mir wie ein Märchen“, schwärmte sie später in ihren Memoiren. Auf der kleinen Ostseeinsel genoss sie heitere Sommertage im Kreise von Tochter, Schwester, Freunden und Arbeitskollegen. „Im Allgemeinen fanden sie sich gegen drei Uhr ein. Dann stellten wir Tische und Stühle ins Gras, etwas anderes gab es nicht um mein Haus.“ Kaffee und „Kringeln des Insel-Bäckers“ wurden serviert. „Wenn die Wogen der Diskussion über den Häuptern der Künstler zusammenzuschlagen drohten, stellten wir das Grammophon an“ und tanzten. „Nirgends war man so jung, so froh und so frei wie auf dieser schönen Insel.“
Ihr „rundes Paradies“ am Ortrand von Vitte, das sie in ihrer dänischen Muttersprache „Karusel“ getauft hatte, ist im Inneren wie im Äußeren das Traumbild eines fröhlich bunten Sommerhauses. Der Berliner Architekt Max Taut hatte es 1923 entworfen, Nielsen erwarb es Ende der 1920er Jahre. Die abgerundeten Ecken des quadratischen Gebäudegrundrisses, das tiefgezogene Walmdach sowie die blauen und weißen horizontalen Bänder im Fassadenputz geben dem Feriendomizil tatsächlich etwas karusselartig Rundes. Wie die anderen drei Häuser, die Taut zwischen 1922 und 1925 auf Hiddensee erbaute, fügt es sich in seinen organischen Formen harmonisch in die Inseltopografie ein.
Asta Nielsen war neben Charlie Chaplin wohl der größte internationale Star der Stummfilm-Ära. Mit dem Debütfilm „Abgründe“, den sie 1910 zusammen mit ihrem ersten Ehemann, dem Regisseur Urban Gad, gedreht hatte, gelang der aus ärmlichen Kopenhagener Verhältnissen stammenden Nielsen ein sensationeller Erfolg. Ihr Darstellungsstil hob sich ab von der übertriebenen Theatralik anderer Stummfilmakteure. Er war dezenter, echter und realistischer. „Die einfache, blutdurchströmte, tief verinnerlichte Gestaltung eines erschütternden Menschenschicksals“ wollte Asta nach eigenen Worten auf die Leinwand bringen. Ihr Spiel und ihre Filme trugen entscheidend dazu bei, dass das Kino sich in jener Zeit zu einer ernstzunehmenden Kunstform entwickelte. Nielsen, superschlank, mit dunklen ausdrucksstarken Augen, verfügte über ein enorm vielseitiges Ausdrucksrepertoire. Sie spielte Männer wie Frauen, Junge wie Alte, Ober- wie Unterschichtstypen. Oftmals zeigte sie Frauenfiguren, die sich gegen die gesellschaftlichen Konventionen stellten und durch ihren eigenwilligen Lebensstil melodramatische Konflikte verursachten. Asta Nielsen war für viele ihrer Zeitgenossen der Inbegriff der modernen, selbstbestimmten Frau. Mit ihrer markanten Pagenkopf-Frisur schrieb sie in den 20er Jahren sogar Modegeschichte.
Asta Nielsen konnte bereits auf eine über zwanzig Jahre dauernde Filmkarriere zurückblicken, als der Tonfilm und die Nazis ihr ein Ende setzten. Nur einen einzigen Tonfilm, „Unmögliche Liebe“, drehte sie 1932. Trotz ihrer angenehmen Altstimme gelang es ihr nicht, im neuen Genre Fuß zu fassen. Eine Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten, die um sie warben, schlug sie aus.
Und auch die Hiddensee-Idylle wandelte sich. „Die dunkelhaarigen intellektuellen Künstlertypen wurden von kräftigen blonden Männern und breithüftigen Frauen mit Gretchenfrisur abgelöst“, schrieb sie in ihrer Autobiografie „Die schweigende Muse“. „Dampfer legten an und spien ihren Inhalt an ‚Kraft-durch-Freude‘-Fahrgästen über die Wiesen.“ Für sie war klar: „Die neue Zeit hatte von der Insel Besitz ergriffen. Ich hatte dort nichts mehr zu suchen.“
1937 kehrte sie Deutschland den Rücken, ihr geliebtes Sommerdomizil ließ sie samt Inventar zurück. In Kopenhagen baute sie sich als Theaterschauspielerin, Autorin und Gestalterin von Textilcollagen eine neue Existenz auf. Doch die Sehnsucht nach Hiddensee begleitete sie weiterhin. Mit 88 Jahren heiratete sie in dritter Ehe den fast 20 Jahre jüngeren Kunsthändler Christian Theede, „meine einzige große und erfüllte Liebe“.
Über siebzig Filme hat Asta Nielsen zwischen 1910 und 1932 gedreht, mehr als die Hälfte davon sind verschollen. Dem Schriftsteller Hans Sahl klagte sie einmal, dass außer ihrem Namen nichts von ihr bleiben werde. „Wer bin ich – ein Stück Leinwand, das man anleuchtet.“ Doch sie irrte zum Glück. Es gibt ihr neuerstrahltes „Karusel“ auf Hiddensee, das auf liebenswerte Weise an sie erinnert.