Wilhelm Ostwald
Großbothen, Deutschland
Vergeude keine Energie, sondern verwerte und veredle sie.02.09.1853
04.04.1932
Er war ein Universalgelehrter im besten Sinne. Und universal ist wohl auch der Leitbegriff, mit dem sich Wilhelm Ostwalds Denken am besten beschreiben lässt. Seine Leidenschaft für Bücher und Experimente wurde bereits in früher Jugend geweckt. Ostwalds „Paradies war das chemische Laboratorium“. Ebenso geprägt hat ihn die Erfahrung, „dass alle Kunst und Wissenschaft der Menschheit im gedruckten Wort aufbewahrt ist und von einem eifrigen und hingebungsvollen Leser jederzeit wieder zu tätigem Leben erweckt werden kann.“
Sein Haus „Energie“ in Großbothen in der Nähe von Leipzig ist ein Spiegel dieser Leidenschaften. Die bis auf den letzten Zentimeter mit Büchern und Broschüren angefüllte Bibliothek und das Labor mit den Arbeitsinstrumenten sind originalgetreue Schätze der Erinnerung an den Hausherrn. Ostwald verfügte über eine fulminante Produktivität. Zahllose Bücher, Aufsätze, Vorträge stammen aus seiner Feder. Er gründete mehrere Zeitschriften, gab Buchreihen heraus wie etwa „Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften“ und hatte daneben in vielen Organisationen den Vorsitz inne.
Ab 1887 lehrte er rund zwei Jahrzehnte lang an der Universität Leipzig am Lehrstuhl für physikalische Chemie, 1909 erhielt er den Chemie-Nobelpreis vor allem für seine Erkenntnisse zur Katalyse. Seinen Lehrsatz kennen die meisten wohl noch aus Schulzeiten: „Ein Katalysator ist jeder Stoff, der, ohne im Endprodukt einer chemischen Reaktion zu erscheinen, ihre Geschwindigkeit verändert.“
Aber Ostwalds Forschungsinteressen gingen weit darüber hinaus, hinein die Philosophie, Psychologie, Pädagogik und Wissenschaftsgeschichte – ins Universale eben. 1911 übernahm er den Vorsitz der neugegründeten Vereinigung „Die Brücke – Internationales Institut zur Organisation der geistigen Arbeit“ und steuerte dafür sogar einen Teil des Nobelpreisgeldes bei. Unter den Mitgliedern waren bekannte Namen wie etwa Marie Curie oder Selma Lagerlöf.
Ostwalds Hauptbestreben galt einer effizienten Organisation des Weltwissens. Durch seine internationalen Verbindungen und seine internationale Schülerschaft war er im alltäglichen Leben nur zu gut vertraut mit den Hürden der Kommunikation und des Wissenstransfers. Die Lösung sah er in einer einheitlichen Weltsprache und Weltwährung, in standardisierten Maßen und Gewichten und in einem globalen Sammelregister des menschlichen Wissens. In späteren Jahren arbeitete er zudem an einem wissenschaftlich fundierten Ordnungssystem der Farben. Auch wenn „Die Brücke“ schon nach drei Jahren Insolvenz anmelden musste, ist Ostwalds Weitblick aus heutiger Sicht erstaunlich. Mit seiner Idee vom „Gehirn der Welt“ kann er zweifellos als Vordenker des Internet gelten, auch die später eingeführten DIN-Normen gehen auf seine Vorarbeiten zurück.
Ostwalds universalistischem Weltverständnis lag die Energetik zugrunde. Seinen Leitsatz „Vergeude keine Energie, sondern verwerte und veredle sie“ wollte er auf alle Lebensbereiche angewendet wissen. Deshalb waren aus seiner Sicht eben auch sprachliche Verständigungsschwierigkeiten oder unterschiedliche Maßeinheiten reine Energieverschwendung. Er selbst nutzte auf seinem Anwesen die Sonnen- und Windenergie und auch die Energie zweier Esel, August & Lotte, die einen Göpel zur Wasserversorgung des Anwesens antrieben.
Sein energetisches Prinzip übertrug Ostwald auch auf die soziale Organisation der Familie. Natürlich waren die patriarchalischen Verhältnisse damals weitgehend gesellschaftlicher Konsens, aber die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau kam Ostwalds Energiesparprogramm mehr als entgegen. Seiner zukünftigen Frau Helene von Reyher bescheinigte er noch vor der Heirat: „Ich weiß wohl, dass du ein Opfer der Wissenschaft werden wirst, aber ich halte dich dessen für fähig.“ Haus und Kinder waren Frauensache und so konnte sich Ostwald ungestört auf sein gigantisches Arbeitspensum konzentrieren. „Erholung fand ich vorwiegend im Wechsel der Arbeit. Forschung, Unterricht und Schreibtischarbeit, die drei Bestandteile des wissenschaftlichen Lebens, stellten alle ihre Anforderungen an mich und schufen mir dreifache Freuden, jedesmal wenn die beiden anderen erlaubten, dass ich mich der dritten hingeben durfte.“ Dass er daneben in seinem Energiehaushalt auch noch Zeit für das Malen von über tausend Bildern fand, ist schon bemerkenswert.
Wilhelm Ostwald hatte den „Landsitz Energie“, wie er ihn nannte, bereits 1901 erworben, zunächst als Sommerwohnstätte für sich, seine Frau und die fünf Kinder. Ab 1906, nachdem er die Leipziger Professur niedergelegt hatte, wurde Großbothen zum ganzjährigen Familiendomizil. Hier arbeitete und lebte Ostwald als freier Forscher bis zum Lebensende. Weitere Gebäude, etwa die für seine Söhne Wolfgang und Walter, beide ebenfalls Chemiker, kamen hinzu. Insgesamt sieben Hektar umfasst das Areal mit Wald, Wiesen, Teichen und einem verwunschenen Steinbruch, in dem Ostwalds Urne beigesetzt ist. Heute ist der „Landsitz Energie“ Museum und Tagungszentrum in Bestform, ein selbsternannter Denkort, denn „Genie“, davon war Ostwald überzeugt, ist nicht erblich, es muss entdeckt und gefördert werden. Auch das Genie Albert Einstein hat Ostwald erkannt und mit seiner Empfehlung dazu beigetragen, dass Einstein 1921 der Physik-Nobelpreis zuerkannt wurde.