Wilhelm von Humboldt
Berlin, Deutschland
Bilde dich selbst, und dann wirke auf andere durch das, was du bist.22.06.1767
08.04.1835
Dieses Brüderpaar hat sich eindrucksvoll in die Geschichte der Deutschen eingeschrieben: Alexander von Humboldt als Naturforscher und Weltentdecker, Wilhelm von Humboldt als Sprachforscher und Bildungsreformer. Gemeinsam aufgewachsen sind beide im elterlichen Schloss Tegel nahe Berlin. Wilhelm von Humboldt, dem der Familiensitz nach dem Tod der Mutter als Erbe zugefallen war, kehrte 1819 nach europäischen Stationen im preußischen Staatsdienst in das Schloss seiner Kindheit zurück und machte es zum Zentrum seiner späten Jahre.
Kein geringerer als Karl Friedrich Schinkel wurde von Humboldt mit dem Umbau des Renaissance-Schlösschens beauftragt. Entstanden ist zwischen 1820 und 1824 ein klassizistischer Idealbau, strahlend weiß und heiter, kubisch und harmonisch in seinen Proportionen. Er fügt sich mit den quadratischen Ecktürmen bruchlos in den älteren Baukörper ein, über den man auch heute noch das Gebäude betritt. Helligkeit und Klarheit setzen sich im Inneren fort. Vom Atrium mit dem antiken Brunnen verläuft die Blickachse durch den mit zwei dorischen Säulen abgegrenzten Gartensalon über den weitläufigen Park bis hin zur Familiengrabstätte der Humboldts Richtung Tegeler See.
Schinkels architektonische Handschrift ist noch überall im Haus erkennbar, in den weißen Buchenholzstühlen, den Terrakottafliesen, den Wandbemalungen, Kachelöfen und Fensterbeschlägen. In diesem Haus kamen die ästhetischen Vorstellungen zweier Ausnahmemenschen kongenial zusammen: Symmetrie, Ordnung und Harmonie im Geist des klassischen Altertums. Überall ist die griechische und römische Antike mit ihren Meisterwerken, sei es als Kopie oder als Original, gegenwärtig. Wilhelm von Humboldt und seine Frau Caroline haben diese Schätze während ihrer zahlreichen Auslandsaufenthalte gesammelt und hier im Schloss Tegel mit untrüglichem Schönheitssinn zusammengeführt.
Auch im weiträumigen Arbeitszimmer Wilhelm von Humboldts mit dem gravitätischen Schreibtisch, den Bücherregalen und Sitzmöbeln ist die Antike, vor allem in Gestalt weiblicher Schönheit, allgegenwärtig. Zwei griechische Frauentorsi, Lieblingsfiguren von Humboldt, und zwei Gipsabgüsse der Liebesgöttin Venus hatte der Hausherr von seinem Schreibtisch aus im Blick – ein Ort konzentrierter Klarheit und Stille, wie geschaffen für die Studien eines Privatgelehrten.
Im Obergeschoss liegt der Blaue Salon mit den Jugendreliefs der Humboldt-Brüder. Im Grünen Turmkabinett, Carolines privatem Reich, erinnert eine von Christian Daniel Rauch erschaffene Skulptur an die Tochter Adelheid. Acht Kinder hatten die Eheleute, fünf überlebten das Kindesalter. Im Blauen Turmkabinett steht die Marmorfigur der Hoffnung (Spes) vom dänischen Bildhauer Berthel Thorwaldsen, die als wetterbeständige Kopie auch auf der Granitsäule der Familiengrabstätte thront. Der größte Raum im Obergeschoss ist der über fünf Meter hohe Antikensaal, das museale Zentrum der Humboldtschen Kunstsammlung. Zu ihr gehört eine Kopie des mächtigen Kopfs der Juno Ludovisi, die auch in Goethes Weimarer Domizil die Blicke auf sich zieht.
Es gibt heute kein vergleichbares Wohnhaus, das den Geist des deutschen Klassizismus und Neuhumanismus in dieser Authentizität und Geschlossenheit verkörpert wie das Schloss Tegel. Es ist überwältigend in seiner würdevollen Schönheit.
Zeit seines Lebens war Wilhelm wie auch sein Bruder Alexander weltoffen, erfahrungshungrig und freiheitsliebend. Wilhelm war der Überzeugung, nur im Rahmen eines liberalen Staates könne sich ein Individuum eigenverantwortlich zur Persönlichkeit bilden und sein in ihm angelegtes Potential zum Wohle des Ganzen zur Entfaltung bringen. Diese Idee der Bildung, die er sehr entschieden auch selbst lebte, wurde zu seinem wichtigsten politischen Reformprojekt. Selbstbildung war für Humboldt immer auch dialogische Begegnung und Auseinandersetzung mit der Welt, nur so könne Bildung auch gesellschaftlich fruchtbar werden. „Bilde dich selbst, und dann wirke auf andere durch das, was du bist“, war sein Credo.
Dieses humanistische Bildungsprogramm hat Humboldt in seiner Funktion als preußischer Bildungspolitiker gesellschaftlich umzusetzen versucht. In vielem war er seiner zunehmend reaktionärer werdenden Zeit voraus. Die Gründung der Berliner Universität 1810 aber ist sein bleibendes Verdienst. Auch seine Studien zur Typologie der Sprachen, denen sich der vielsprachig begabte Humboldt besonders in den späteren Jahren widmete, waren wegweisend für die nachfolgende Sprachwissenschaft.
Wilhelm starb 1935 sechs Jahre nach seiner Frau Caroline, 24 Jahre später folgte ihm sein jüngerer Bruder Alexander. Begraben sind sie in der ebenfalls von Schinkel gestalteten Familiengrabstätte im angrenzenden Tegeler Schlosspark. Humboldt sah die „letzte Aufgabe unseres Daseins“ darin, „dem Begriff der Menschheit in unserer Person, sowohl während der Zeit unseres Lebens als auch noch über dasselbe hinaus, durch die Spuren des lebendigen Wirkens, die wir zurücklassen, einen so großen Inhalt als möglich zu verschaffen.“ Mit dem Schloss Tegel, das noch heute in sorgsamer Obhut der Nachkommen ist, hat uns Wilhelm von Humboldt eine beglückende Spur seiner Lebens- und Gedankenwelt hinterlassen.