Annette von Droste-Hülshoff
Meersburg, Deutschland
Meine Lieder werden leben, wenn ich längst entschwand.10.01.1797
24.05.1848
„Auf der Burg haus ich am Berge, unter mir der blaue See, höre nächtlich Koboldzwerge, täglich Adler in der Höh.“ So wie in ihrem Gedicht „Das alte Schloss“ mag sich Annette von Droste-Hülshoff im hoch über dem Bodensee gelegenen Meersburger Schloss vielleicht gefühlt haben. Drei Mal in ihrem Leben hatte sich die adlige Dichterin aus dem Westfälischen als Besucherin ihrer Schwester Jenny und ihres Schwagers Joseph von Laßberg dort eingerichtet. Meersburg wurde für die Droste „die zweite Hälfte meiner Heimat“.
Noch immer geht von dieser massigen Burg etwas Unheimliches und Gespenstisches aus. Zahllose Räume, Gänge, Treppen lassen ein irritierendes Verlorenheitsgefühl aufkommen. Wie dieser düsteren Umgebung abgetrotzt wirken die drei biedermeierlich eingerichteten Droste-Zimmer in einem Seitenflügel des Schlosses. Das größere von ihnen, das halbrunde Turmzimmer mit Sicht über den See bis hin zu den Schweizer Alpen, war das Arbeitszimmer der Dichterin. Nur eine steile Stiege hinunter, eine Tür weiter, geht es in die modrigen Eingeweide dieser Burg. Die Enge der Burganlage im Rücken, die Weite des Sees im Blick – geradezu ein Sinnbild für Wesen und Dichtung der Droste.
Nie geht es in ihrem Werk um reine Schönheit, Glück und Harmonie, immer ist das Heitere gebrochen durch Gefahr, Zerfall und Tod. Ein Zwiespalt, von dem auch ihr Leben geprägt war. Gleichförmig und still verlief das Frauendasein im westfälischen „Rüschhaus“, das sie zunächst mit Mutter und Schwester bewohnte. Als Unverheiratete war sie in hohem Maße den Ansprüchen und Einmischungen der Familie ausgesetzt: „Von keines Herdes Pflicht gebunden, meint jeder nur, wir seien grad, für sein Bedürfnis nur erfunden, das hilfsbereite fünfte Rad“, empörte sie sich in einem Gedicht über die einengende Rollenzuschreibung. Ihre quälende „Sehnsucht in die Ferne“, ihr Wunsch nach Selbstbestimmung und Unabhängigkeit, führten nie zu wirklichem Aufbegehren. Bis in ihr Äußeres hinein verkörperte sie die Bindung an die Konventionen des katholischen Adelsmilieus. Alle Bildnisse der Droste zeigen sie mit akkurat geflochtenem oder gerolltem Haar. Nur ihrem lyrischen Ich, wie im Gedicht „Auf dem Turm“, erlaubte sie auszubrechen:
„Nun muss ich sitzen so fein und klar
Gleich einem artigen Kinde
Und darf nur heimlich lösen mein Haar
Und lassen es flattern im Winde!“
Dennoch war die Meersburger Zeit ein Höhepunkt ihres Lebens. Von September 1841 bis Juli 1842 dauerte ihr erster Aufenthalt. Belebt hat ihn der siebzehn Jahre jüngere Levin Schücking, dem sie bei ihrem Schwager Laßberg, dem Meersburger Schlossherrn und Mittelalterforscher, eine Anstellung als Bibliothekar verschafft hatte. Schücking war Freund, Vertrauter, Förderer, Impulsgeber. „Wir haben doch ein Götterleben hier geführt“, schrieb Annette von Droste-Hülshoff später an ihren Herzensmenschen. Es war eine Zeit großer künstlerischer Produktivität und Unbeschwertheit, fast täglich entstanden neue Gedichte. Auch gesundheitlich ging es der stets Kränkelnden in jenen Monaten besser. „Diese wie ganz durchgeistigte, leicht dahinschwebende, bis zur Unkörperlichkeit zarte Gestalt hatte etwas Fremdartiges, Elfenhaftes; sie war fast ein Gebilde aus einem Märchen.“ So beschrieb Levin Schücking die Freundin.
Vom Honorar ihres zweiten Gedichtbandes, der auf Vermittlung Schückings im renommierten Stuttgarter Cotta-Verlag erschien, konnte sie 1843 das schmucke Fürstenhäusle inmitten der Meersburger Weinberge erwerben. Doch wirklich bewohnt hat sie das Häuschen nie, ihr blieb keine Zeit mehr dafür. In ihren zweiten Meersburger Aufenthalt 1843/44 fiel der Besuch Schückings mit seiner jungen Frau. Danach kam es mehr und mehr zur Entfremdung und schließlich zum Bruch mit Schücking. Im September 1846 reiste Annette von Droste-Hülshoff zum dritten und letzten Mal aus dem westfälischen Rüschhaus nach Meersburg. Aber Krankheit und Schwäche nahmen zu. „Tote Lieb, tote Lust, tote Zeit/All die Schätze, im Schutt verwühlt.“ Sie starb mit 51 Jahren in ihrer Stube auf der Meersburg, zwei Tage später wurde sie auf dem Meersburger Friedhof begraben. Möge ihre Prophezeiung sich bewahrheiten: „Meine Lieder werden leben, wenn ich längst entschwand.“