Jack London
Glen Ellen, USA
Lieber will ich ein prächtiger Meteor sein, in dem jedes Atom herrlich glüht, als ein langlebiger, verschlafener Planet.12.01.1876
22.11.1916
Zuerst faszinieren seine lichtgrauen Augen. Das bestätigen nicht nur Zeitgenossen, sondern auch zahlreiche Fotografien. Jack Londons Augen sprechen von unbändiger Lust auf Abenteuer, Freiheit, Spaß und Risiko. „Lieber will ich ein prächtiger Meteor sein, in dem jedes Atom herrlich glüht, als ein langlebiger, verschlafener Planet. Die wahre Aufgabe eines Menschen ist es, zu leben, nicht nur zu existieren. Ich werde meine Tage nicht dazu verschwenden, sie zu verlängern. Ich werde meine Zeit nutzen.“ Und genau das hat Jack London getan.
Als nichteheliches Kind in einer ärmlichen Umgebung aufgewachsen und vom Stiefvater später adoptiert, musste er früh zum Lebensunterhalt der Familie beitragen – „Mein Platz in der Gesellschaft war ganz unten.“ Er schuftete als Zeitungsverkäufer, in einer Konservenfabrik, in einer Wäscherei, war Kohlenschlepper und plünderte die Austernbänke vor San Francisco, um seine Beute danach auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Er fuhr als Landstreicher auf den Achsengestängen der Güterzüge durchs Land, heuerte auf einem Robbenfängerschiff Richtung Japan an und suchte auf einer Expedition nach Alaska ziemlich erfolglos nach Gold. Den Kampf ums Überleben und den vitalen Willen zur Selbstbehauptung hatte er selbst am eigenen Leib erfahren. Kein Wunder, dass er zum Anhänger des zeittypischen sozialdarwinistischen Denkens vom „survival of the fittest“ wurde. Auch seine Erfahrungen mit Ausbeutung, Ungerechtigkeit und Unterdrückung hinterließen Spuren in ihm. Er wurde bekennender Sozialist und machte sich zum engagierten Anwalt der Underdogs.
Jack London war fest entschlossen, sich aus den erlebten sozialen Niederungen herauszuziehen. Er wollte Schriftsteller werden. Spannenden Erzählstoff bot ihm sein Leben ja zur Genüge. Schon als Kind war er lesehungrig gewesen, hatte sich durch Unmengen von Büchern aus der öffentlichen Bibliothek hindurchgeschmökert. „Ich las im Bett, ich las bei Tisch, ich las auf dem Weg zur Schule und auf dem Weg zurück, ich las in den Pausen, wenn die anderen Jungs spielten“, heißt es in seinem autobiographischen Roman „König Alkohol“. Später holte Jack den Schulabschluss nach und schrieb sich für ein Semester in Berkeley ein.
Der Start ins Schriftstellerdasein verlief anfangs alles andere als reibungslos. Jack London kassierte für seine eingesandten Texte Absage über Absage. Aber 1900 gelang es ihm schließlich, seinen ersten Band mit Erzählungen zu veröffentlichen. Danach ging es schlagartig aufwärts. Seine Abenteuerromane „Ruf der Wildnis“ (1903), „Der Seewolf“ (1904) und „Wolfsblut“ (1906) entwickelten sich zu Bestsellern. Jack London wurde weltberühmt und wohlhabend. In den 16 Jahren bis zu seinem Tod schrieb er zahlreiche Romane und Kurzgeschichten, aber auch Essays und Reportagen, etwa über das Erdbeben in seiner Geburtsstadt San Francisco, über das Elend in den Londoner Slums oder über den Russisch-Japanischen Krieg. Als Fotograf bewies er sich darüber hinaus als kluger Beobachter seiner Zeit.
Immer wieder zog es den Rastlosen hinaus in die Welt. „Tag für Tag verspürte ich den Wunsch, die Welt jenseits des Horizonts zu entdecken.“ Mit seiner zweiten Frau Charmian hatte er die ideale Lebensbegleiterin gefunden. Sie teilte seinen Wagemut, seine Entdeckerlust und seine Energie, war unkonventionell und selbstbewusst. Gemeinsam erkundeten sie etwa mit ihrer Yacht „Snark“ über zwei Jahre lang den Südpazifik, mussten die Reise dann jedoch wegen Krankheiten und Pannen abbrechen.
In der Nähe des Örtchens Glen Ellen in der nordkalifornischen Sonoma-Gegend hatte Jack London 1905 weitläufige Ländereien erworben. Das Areal, er nannte es „Beauty Ranch“, erweiterte er in den folgenden Jahren Stück für Stück, denn „alles, was ich wollte, war ein ruhiger Platz auf dem Land zum Schreiben und Leben in der Natur.“
Hier sollte sein Traumprojekt Wirklichkeit werden, eine nach ökologischen Prinzipien geführte Farm, eine autarke Dorfgemeinschaft. Jack London stürzte sich mit Elan in diese Aufgabe. Seit 1911 lebten und arbeiteten er und Charmian, wann immer sie sich auf der „Beauty Ranch“ aufhielten, im Cottage, einem hellen Holzhaus, umgeben von Blumen, Weinbergen und Wäldern. Noch heute verströmt ihr Zuhause – Wohnzimmer, Arbeitsräume, Schlafbereiche – eine lässig-gemütliche Atmosphäre.
Doch dann kamen Tiefschläge, von denen sich Jack London finanziell, körperlich und psychisch nicht mehr erholte. Der Tod der gemeinsamen Tochter kurz nach der Geburt und eine Fehlgeburt waren schmerzliche Erfahrungen für ihn und Charmian. Hinzu kamen Fröste, die ihre Jahresernte auf der „Beauty Farm“ zunichtemachten. Dann ein weiterer Schock: ihr monumentales Haus aus Lavasteinen und Redwoodholz, genannt „Wolf House“, brannte 1913 kurz vor dem Einzug bis auf die Grundmauern nieder. Ursache waren vermutlich die mit Leinöl behandelten Hölzer, die sich in der Augusthitze entzündet hatten. Noch heute lässt sich beim Anblick der gespenstisch aus dem Wald herausragenden Ruine das damalige Entsetzen ermessen.
Jack London arbeitete besessen weiter, trank und rauchte zu viel. Er starb mit nur vierzig Jahren in seinem Cottage vermutlich an Nierenversagen. Zum Tod hatte er ein nüchternes Verhältnis: „Ich glaube, dass ich mit meinem Tod genauso ausgelöscht bin wie die letzte Mücke, die Sie oder ich erschlagen haben.“
Charmian ließ ein paar Jahre später für sich das Gebäude „House of Happy Walls“ erbauen, in dem heute das Museum untergebracht ist. Jacks Wunsch entsprechend wurde seine Asche auf einer kleinen Anhöhe der „Beauty Ranch“ verstreut. Sein Grab bedeckt ein von der Wolf-House-Ruine stammender Stein – schlicht, erdverwachsen, namenlos. Doch so wortlos wollen wir Jack London nicht gehen lassen. Der beste Nachruf auf sein Leben stammt von ihm selbst: „Auf meinen eigenen Beinen zu stehen, das Leben so zu sehen, wie es ist, nichts zu fürchten und den Tod so kühl zu anderen kommen zu sehen wie zu mir. Die Feigheit zu verachten, aber dem tapferen Manne meine Achtung zu bezeugen. So habe ich gelebt, vielleicht primitiv, aber frei und offen.“