Muhammad XII. (Boabdil)

Granada (Alhambra), Spanien

Foto: Wikimedia commons (Ausschnitt)

Es gibt keinen Sieger außer Gott.

1460

1533

www.alhambra.org

Eine „Sternstunde der Menschheit“ war dieses Ereignis zweifellos, auch wenn es nicht in Stefan Zweigs gleichnamige Erzählsammlung Eingang gefunden hat. Es war ein Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung, das sich paradigmatisch im Schicksal eines einzelnen Menschen verdichtete. Dieser Mensch war Muhammad XII. (Abu Abdallah), letzter Emir von Granada und von den Spaniern seiner Zeit auch „Boabdil“ genannt. Am denkwürdigen 2. Januar 1492 musste der geschlagene Muhammad XII. die Schlüssel seines Alhambra-Palastes an die christlichen Eroberer übergeben. Die Sieger, das Traumpaar der katholischen Reconquista, König Ferdinand von Aragon und Königin Isabella von Kastilien, hatten lange auf diesen Tag der Entscheidung hingelebt.

Granada war zu jener Zeit die letzte islamische Bastion im westlichen Europa. Alle anderen Herrschaftsgebiete der Mauren, die seit dem Beginn ihrer Invasion im 8. Jahrhundert fast die gesamte iberische Halbinsel umfasst hatten, waren bereits von den christlichen Spaniern zurückgewonnen worden. Auch das Emirat von Granada stand schon jahrzehntelang in Lehensabhängigkeit vom kastilischen König, konnte sich aber dennoch weitgehend autonom entfalten und große Reichtümer anhäufen.

Nun aber 1492 musste sich nach monatelanger Belagerung durch die Truppen der katholischen Könige auch Granada endgültig geschlagen geben. Geschwächt durch den innerfamiliären Zwist in der Nasriden-Dynastie blieb Muhammad XII. nichts anderes übrig als zu kapitulieren. Als letzter islamischer Herrscher auf spanischem Boden ging sein Name in die Geschichtsbücher ein und auch die Literatur hat den unglückseligen Antihelden für sich entdeckt. Heinrich Heine etwa widmete ihm das Gedicht „Der Mohrenkönig“, das mit dem Vers endet: „Nimmer wird sein Ruhm verhallen/ehe nicht die letzte Saite/schnarrend losspringt von der letzten/andalusischen Gitarre.“

Auf einer Passhöhe südlich von Granada schaute Muhammad XII. auf seinem Weg ins Exil angeblich ein letztes Mal auf die geliebte Stadt zurück. Beim Anblick der im Sonnenlicht leuchtenden Alhambra soll er in Tränen ausgebrochen sein. Wie es heißt wies ihn seine Mutter Aisha energisch zurecht: „Beweine nicht wie ein Weib, was du nicht wie ein Mann hast verteidigen können.“ Noch heute nennen die Spanier diesen Ort in den Bergen „El suspiro del moro“ (der Seufzer des Mauren).

Zur Schmach der militärischen Niederlage kam die Trauer über den Verlust der Alhambra.  Denn diese grandiose Palaststadt der Nasriden verbirgt hinter ihrem rohen, rötlich schimmernden Mauerwerk eine filigrane Zauberwelt, der wohl auch die Eroberer erlagen, als sie nach ihrem Sieg triumphierend die Burg in Besitz nahmen. Zwar versuchten sie alsbald, der Anlage ihren christlichen Stempel aufzudrücken, auf den Grundmauern der ehemaligen Moschee Muhammads etwa wurde die Kirche Santa Maria errichtet und Kaiser Karl V. wuchtete seinen Renaissancepalast mitten in die maurischen Bauten hinein. Den Palast der Nasriden aber ließen die Sieger weitgehend unangetastet. Vermutlich waren auch sie überwältigt von seiner Schönheit und künstlerischen Perfektion.

Die Alhambra war unter der Dynastie der Nasriden (1232-1492) weiter ausgebaut und veredelt worden. Für ihre maurischen Bewohner muss sie ein Abbild des im Koran verheißenen Paradieses gewesen sein. Üppig duftende Gärten gehörten genauso dazu wie üppig fließendes Wasser. Die Alhambra und die nahegelegene Sommerresidenz Generalife sind mit einem weitverzweigten Leitungssystem ausgestattet, das sie bis heute mit Wasser aus der angrenzenden Sierra Nevada versorgt und überall Brunnen, Bassins und Wasserläufe zum Sprudeln bringt.

Dem amerikanischen Diplomaten und Reiseschriftsteller Washington Irving, der die Alhambra im frühen 19. Jahrhundert aus dem Dornröschenschlaf geweckt hatte und in seinen „Erzählungen über die Alhambra“  einen romantischen Schleier über die legte, fiel es damals vermutlich leichter als uns, sich in die Muße und den Lebensgenuss der orientalischen Welt hineinzuversetzen: „Der besondere Reiz dieses alten, träumerischen Palastes liegt in der ihm innewohnenden Macht, träumen zu lassen und Bilder aus der Vergangenheit hervorzuzaubern“, schwärmte Irving.

Ja, die Alhambra mit ihren verschachtelten Höfen, Hallen, Türmen und Gärten ist ein Traum. Nicht nur die ästhetisch vollendeten Anlagen des Löwenhofs, des Comares-Palastes und des Myrtenhofs faszinieren bei jedem Schritt, auch die vielen Details der buntglasierten Kacheln, der Stuckaturen und der kalligraphischen Schmuckelemente mit Koranversen und dem Wahlspruch der Nasriden: „Es gibt keinen Sieger außer Gott“.  Diese überbordende Ornamentik ist dem Verbot bildlicher Darstellungen im Islam geschuldet.

All das Wissen um den unwiederbringlichen Verlust eines Lebens in Schönheit und Harmonie liegt im „letzten Seufzer“ Muhammads XII. Der Emir von Granada stand unglücklicherweise an einer Wegscheide der Geschichte, die ihn zum tragischen Verlierer gemacht hat. Als quasi Namenloser ging Muhammad nach seiner Niederlage zurück nach Afrika und stellte sich dort in den Dienst des Wattasidensultans. Doch da interessierte sich die Geschichtsschreibung schon nicht mehr für ihn. Noch nicht einmal sein genaues Sterbejahr ist überliefert. Die Alhambra aber hat dem Lauf der Geschichte getrotzt und steht heute prachtvoller da denn je – ein orientalisches Wunderwerk mitten in Europa.