Nelson Mandela

Soweto, Südafrika

Foto: Creative Commons/John Mathew Smith, 2001 (Ausschnitt) https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/deed.de

Wer Hass verspürt, der kann niemals frei sein.

18.07.1918

05.12.2013

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Vielleicht fing es damit an, dass man ihn seines Namens beraubt hat. Dem kleinen Rolihlahla, aus einem Häuptlingsgeschlecht des Xhosa-Volks stammend, wurde am ersten Schultag bei den Methodisten kurzerhand der britische Vorname Nelson verpasst. Und auch später, als er zusammen mit seinem Freund Oliver Tambo die erste schwarze Anwaltskanzlei in Johannesburg führte, ging es mit der Bevormundung geradeso weiter. Für ihn und seine schwarzen Landsleute war die Diskriminierung allein aufgrund der Hautfarbe an der Tagesordnung. So war es nur folgerichtig, dass sich Nelson Mandela 1944 der Befreiungsbewegung ANC (African National Congress) anschloss, die für die Rechte der schwarzen Südafrikaner eintrat – zunächst ausschließlich gewaltfrei. Doch die südafrikanische weiße Regierung scherte sich wenig darum, trieb vielmehr mit den 1948 eingeführten Apartheid-Gesetzen die Rassentrennung weiter voran. Nicht-Weiße, vorrangig  Schwarze, wurden dadurch nun noch offensichtlicher zu Menschen zweiter Klasse gestempelt, mit separaten Wohngebieten, Zugabteilen, Toiletten, Parkbänken, Schulen, Krankenhäusern usw. Die weiße Minderheit hielt sich die Mehrheit der schwarzen Südafrikaner buchstäblich vom Leib.

Mit dem Massaker von Sharpeville, bei dem die Polizei 69 unbewaffnete Demonstranten erschoss, veränderte sich die Situation. Mandela entschied sich für den gewaltsamen Widerstand und ging 1961 mit anderen ANC-Mitstreitern in den Untergrund: „Wenn die Reaktion der Regierung darin besteht, mit nackter Gewalt unseren gewaltlosen Kampf zu zermalmen, so werden wir unsere Taktik zu überdenken haben.“

Der Verhaftung entkamen sie dennoch nicht, ihnen wurde der Prozess wegen Verschwörung gegen das Apartheid-Regime gemacht. 1964, am letzten Prozesstag, sagte Mandela: „Ich verehre die Idee einer Demokratie und freien Gesellschaft, in der alle Menschen in Harmonie und mit gleichen Chancen zusammenleben. Das ist ein Ideal, für das ich lebe und das ich verwirklichen möchte. Doch wenn es sein soll, bin ich auch bereit, dafür zu sterben.“ 

Überraschenderweise verhängte das Gericht nicht die Todesstrafe, sondern verurteilte Mandela und seine Mitkämpfer zu lebenslanger Haft. Insgesamt 27 Jahre blieb Mandela in Gefangenschaft, die meiste Zeit auf der Gefängnisinsel Robben Island vor Kapstadt. Unter erniedrigenden Bedingungen musste er Steine in einem Kalksteinbruch schlagen, eine Arbeit, die seine Lunge und seine Augen dauerhaft schädigte. Viele Jahre lang lebte Mandela ohne eine einzige liebende Berührung. Nur ein Mal pro Halbjahr war ein halbstündiger Besuch gestattet. Seine Frau Winnie und seine Kinder durfte er nur getrennt durch eine Glasscheibe sehen und sprechen. Während die südafrikanische Regierung versuchte, die Erinnerung an den Widerstandskämpfer auszulöschen, kämpfte Winnie weiter, flankiert von einer internationalen Solidaritätsbewegung, die mit dem Protestruf „Free Nelson Mandela“ den südafrikanischen Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit unterstützte.

Der außen- und innenpolitische Druck auf das Apartheid-Regime nahm in den Folgejahren so zu, dass nur Verhandlungen zwischen Regierungsvertretern und Mandela einen Ausweg aus der Eskalation versprachen.  Es war ein historischer Glücksfall, dass Mandela mit de Klerk, dem letzten weißen südafrikanischen Präsidenten, auf ein Gegenüber traf, das ebenso wie er nur in der Kooperation einen Ausweg sah. Beiden war klar, dass sie nur gemeinsam den drohenden Bürgerkrieg und den wirtschaftlichen Abstieg Südafrikas verhindern konnten. 1993 erhielten sie für ihre Bemühungen den Friedensnobelpreis. 1994 siegte der ANC bei der ersten demokratischen Wahl, Mandela wurde der erste schwarze Präsident Südafrikas. Er war am Ziel. „Der lange Weg zur Freiheit“, so der Titel seiner Autobiographie, hat Nelson Mandela viel abverlangt. Welch hohen Preis hat er für dieses Ziel gezahlt. Jahrzehntelange Unfreiheit im Kampf um die Freiheit seiner schwarzen Landsleute. Dennoch verließ Mandela das Gefängnis weder verbittert noch gebrochen. Innere Bilder – an seine Kindheit, seine Frau, seine Kinder und an sein Häuschen 8115 Orlando West – so schrieb er später, hätten ihm dabei geholfen.

Heute ist dieses Häuschen in Soweto ein Museum. „Briefmarkengroß“ sei das Grundstück gewesen, schrieb Mandela, als er 1946 dort mit seiner ersten Frau Eveyln und dem erstgeborenen Sohn einzog. „Es hatte das gleiche genormte Wellblechdach, den gleichen Zementboden, eine enge Küche und eine Außentoilette“ wie abertausende Township-Häuser dieser Gegend. „Das Schlafzimmer war so klein, dass darin ein Doppelbett kaum Platz hatte.“ Strom gab es nicht. „Es war alles andere als großartig, doch es war mein erstes richtiges Zuhause, und ich war sehr stolz darauf.“ Im Haus hing er Bilder von Gandhi, Roosevelt und vom Sturm auf den zaristischen Winterpalast in St. Petersburg auf. Doch der Kampf gegen Rassismus ließ ihm kaum Zeit für Haus und Familie. Eveyln zog mit den Kindern aus, die Ehe wurde geschieden. „Ich fand ein leeres, stilles Haus vor. Sie hatte sogar die Vorhänge entfernt, und aus irgendeinem Grund fand ich dieses winzige Detail niederschmetternd.“

Auch mit seiner zweiten Frau Winnie lebte Nelson drei Jahre lang in diesem Haus, bevor er 1961 in den Untergrund ging. Der eingeschossige Backsteinbau hat nur einen Hauptwohnraum, von dem aus drei kleine Zimmer abgehen. An den Außenwänden sind noch Brandspuren und Einschusslöcher erkennbar. Während Mandelas Haft wurde auch Winnie schikaniert und mehrfach verhaftet.

Dieses Haus in der Orlando West war für Mandela während seiner Gefangenschaft ein Symbol der Hoffnung, ein Sehnsuchtsort. Nach seiner Freilassung 1990 zog es ihn sofort hierher. Erst als er über die Schwelle trat, schrieb er später, „da wusste ich auch innerlich, dass ich das Gefängnis verlassen hatte. Für mich war 8115 der Mittelpunkt meiner Welt, der Ort, der in meiner geistigen Geografie mit einem X gekennzeichnet war.“

Doch die Zeit war über die glückliche Erinnerung hinweggegangen. Die Entfremdung von Winnie trat nun offen zutage. Auch die Flut an Sympathisanten, die das Haus Tag und Nacht belagerten, machte ein alltägliches Leben unmöglich. Nach elf Tagen zog Mandela nach Johannesburg, 1992 trennte er sich von Winnie.

Nelson Mandela hat den Boden bereitet für eine demokratische „Regenbogennation“ Südafrika. Statt auf Rache und Bitterkeit setzte er auf Versöhnung und Vergebung. „Wer Hass verspürt, der kann niemals frei sein“, davon war er überzeugt. Seine Integrität, seine Friedfertigkeit und sein Charisma bleiben unvergessen. Nach einer Amtsperiode beendete er 1999 als damals 80-Jähriger seine Präsidentschaft.  Mandela stand einem Kult um seine Person immer skeptisch gegenüber. Doch vielleicht hätte ihm der von den Vereinten Nationen initiierte Mandela-Day gefallen, der jedes Jahr am 18. Juli, seinem Geburtstag, die Menschen weltweit zu guten Taten aufruft.