Antoine Wiertz
Brüssel, Belgien
Um das Werk eines Malers zu beurteilen, müssen sowieso mindestens zwei Jahrhunderte verstreichen.22.02.1806
18.06.1865
Ein Tempel der Kunst sollte das 1850 erbaute Domizil des belgischen Malers und Bildhauers Antoine Wiertz sein. Und tatsächlich nahm der Künstler sich bei der Planung seines Wohn- und Atelierhauses den Neptuntempel in Paestum zum Vorbild. Finanziert wurde das Bauprojekt vom belgischen Staat, denn im belgischen König Leopold I. hatte Wiertz einen bewundernden Fürsprecher. In dieser weihevollen 16 Meter hohen Halle sollten die Kunstwerke die ihnen angemessene Wirkung bekommen. Das tun sie bis heute, doch bekommen sie auch Bedeutung? Noch immer schwankt das Urteil über Wiertz zwischen Spott und Wertschätzung. Dass sich der Künstler allerdings mit keinen Geringeren als Rubens und Michelangelo verglich, grenzt nun doch etwas an Selbstüberschätzung und man ist geneigt, seinem Zeitgenossen Baudelaire das Wort zu übergeben: „Herr Wiertz ist einer derjenigen Menschen, die denken, dass die Provokation ein nachhaltiger Beweis für das Genie ist. Doch kann er nicht malen und seine Torheit ist ebenso groß wie die Riesen seiner Gemälde.“
Antoine Wiertz war ein Künstler der Maßlosigkeit – im Kleinen wie im Großen. In den angrenzenden ehemaligen Wohnräumen sind Miniaturbilder ausgestellt, die in irritierendem Kontrast zu den Riesengemälden im Riesenatelier stehen. Dort hängen seine melodramatischen Monumentalgemälde „Der Aufstand der Hölle gegen den Himmel“ und „Griechen und Trojaner streiten um den toten Patroklos“, die angesichts ihrer Größe wohl schon damals als unverkäuflich galten. Für Walter Benjamin hingegen waren die Kolossalgemälde gut geeignet, um Bahnhofshallen, Rathäuser, Gerichts- und Hörsäle zu schmücken.
Neben mythologischen und religiösen Szenen finden sich im Repertoire von Wiertz auch zeittypische Motive der Romantik wie Tod und Vergänglichkeit, zum Beispiel „Das voreilige Begräbnis“ oder „Die schöne Rosine“, eine halbnackte junge Frau, die einem Skelett gegenübersteht. Seine Porträts und Genrebilder malte der aus bescheidenen Verhältnissen stammende Wiertz, wie er selbst sagte, für die Suppe, die Historiengemälde hingegen für den Ruhm.
Was ist von diesem Ruhm geblieben? „Es ist unstatthaft, das Werk eines Menschen zu verurteilen oder zu beweihräuchern, bevor es vollendet ist. Um das Werk eines Malers zu beurteilen, müssen sowieso mindestens zwei Jahrhunderte verstreichen.“ Doch auch diese beschwörenden Worte haben Wiertz nichts genützt. Wie bereits zu seinen Lebzeiten bleibt seine Kunst umstritten.
Antoine Wiertz starb mit 59 Jahren in seinem Atelier. Er ließ sich nach ägyptischem Brauch einbalsamieren. Sein Wunsch, im angrenzenden Garten begraben zu werden, wurde ihm verwehrt. Der belgische Staat erbte das Gebäude und die Werke mit der Maßgabe, sie zu bewahren und öffentlich auszustellen. Das Wohn- und Atelierhaus ist heute Museum, die gepflegte Gartenanlage ein Ruhepol im Brüsseler Trubel. So kommt Antoine Wiertz nun doch zu seiner erhofften Ehre.