Donald Judd
New York City, USA

Foto: Wikipedia/American Visions 1997,Robert Hughes
03.06.1928
12.02.1994
Donald Judd kann man sich nur in einem weitläufigen Loft in der Stadt oder in einem weitläufigen Areal in der Landschaft vorstellen. Und genau so hat der US-amerikanische Künstler gelebt und gearbeitet – in einer ehemaligen Textilfabrik mitten in New York City und in einem selbsterschaffenen Kunstdorf im texanischen Marfa. Allein ein solches Umfeld entsprach offensichtlich seinem Grundsatz, nach dem Kunstobjekte und der sie umgebende Raum miteinander korrespondieren und gegenseitig aufeinander einwirken.
Wenn man das ehemalige Wohn- und Ateliergebäude Donald Judds in New York City an der Ecke Spring Street/Mercer Street besucht, trifft man auf alle Charakteristika, die diesen Bildhauer, Maler, Architekten und Möbeldesigner ausmachen. Das bildschöne ehemalige Fabrikgebäude mit einer Grundfläche von 174 m² pro Etage wurde von Judd 1968 erworben. Die Gusseisenfassade, die Holzböden und die bodentiefen Fensterbänder weisen es als einen Bau des 19. Jahrhunderts aus. Judd renovierte es behutsam Stück für Stück, um so ein Zuhause für sich, seine damalige Ehefrau, die Tänzerin Julie Finch, und die gemeinsamen Kinder Flavin und Rainer zu schaffen.
Jedem Stockwerk wurde eine spezifische Funktion – Essen, Wohnen, Arbeiten, Schlafen – zugewiesen. Eine massive Treppe führt in den ersten Stock zum Küchen- und Essbereich hinauf. Und bereits hier zeigt sich Judds Lebensstil in all seinen Facetten. Manche Möbelstücke in minimalistischem Design hat er selbst gestaltet, manche im Haus stammen von Gerrit Rietveld, Alvar Aalto und Thonet. Der massive rechteckige Esstisch mit zwölf Holzstühlen, deren Rückenlehnen bündig mit der Tischplatte abschließen, wirkt wie die gelungene Variation eines Juddschen Kunstobjekts. In der Küche sind schmale Holzregale angebracht, deren Maße exakt der Länge der in Reih und Glied abgelegten Löffel, Gabeln und Messer entsprechen. Diese akkurate Anordnung erinnert an Judds Kunst der seriellen Reihung von Kuben und Quadern an der Wand oder auf dem Boden.
Im Atelier im zweiten Stock dominiert auf dem Boden ein wuchtiger Aluminiumquader. Judd wollte im Haus von seinen eigenen Kunstwerken umgeben sein wie auch von denen anderer zeitgenössischer Künstler wie Ad Reinhardt, David Novros, Marcel Duchamp, John Chamberlain, Dan Flavin, Claes Oldenburg oder Frank Stella. Kunstobjekte waren für Judd ein integrativer Bestandteil seines alltäglichen Wohnens.
Zusammen mit Robert Morris und Sol LeWitt gilt Donald Judd als Hauptprotagonist der sogenannten Minimal Art, die Mitte der 1960er Jahre in New York entstand. Neben Pop Art und abstraktem Expressionismus ist sie die dritte amerikanische Kunstrichtung, die nach dem Zweiten Weltkrieg von den USA ausging. Judd, der Philosophie und Kunstgeschichte studiert und daneben Mal- und Zeichenkurse genommen hatte, entwickelte sich Anfang der 1960er Jahre vom angesehenen Kunstkritiker zum unabhängigen Künstler. Zunächst begann er im Stil des abstrakten Expressionismus zu malen. Aber schon bald distanzierte er sich von der Malerei per se, weil deren dargestellte Tiefenwirkung auf optischer Täuschung beruhe: „Drei Dimensionen sind wirklicher Raum. Dadurch ist Schluss mit dem Problem des Illusionismus.“ Fortan konzentrierte sich Judd in seinem Kunstschaffen auf dreidimensionale Objekte aus Holz, Metall oder Plexiglas. In seinem Essay von 1965 „Specific Objects“ resümierte er: „Tatsächlicher Raum ist wirklich aussagekräftiger und spezifischer als Farbe auf einer flachen Ebene.“
Judds „spezifische Objekte“, meist einfache geometrische Grundformen, haben allesamt keine Namen. Sie verweigern sich jeglicher Interpretation und Assoziation. Sie sind nichts als pure Präsenz. „Das Ding als Ganzes ist das Interessante. Die wichtigen Dinge stehen für sich und sind intensiver, klarer und kraftvoller“, so Judd. Reduziert auf ihr Material, ihr Volumen, ihre monochrome Oberfläche verweisen sie auf keinen außerhalb ihrer selbst liegenden Sinn.
In Marfa, seinem zweiten Wohn- und Arbeitsort, hatte Judd in den 1970er Jahren ein weitläufiges Areal erworben, das genügend Platz für die dauerhafte Installation seiner eigenen Kunstwerke wie die seiner Künstlerfreunde bot. Auch dort zeigt sich die immense Bedeutung des Raums für die Wirkung seiner Objekte. Judd war überzeugt: „Wie auch immer die Umgebung aussieht, beeinflusst sie das Kunstwerk auf die eine oder andere Art.“ In seinem New Yorker Loft lässt sich diese Position paradigmatisch noch einmal in der obersten Etage erleben. Dort steht solitär ein breites Bett in der Weite des Raums, nur begrenzt von zwei Kunstwerken an der Wand und einer Lichtinstallation an der Fensterfront. Sogar seinen privatesten Bereich unterzog Judd seinen gestalterischen Prinzipien.
Donald Judd starb im Alter von 65 Jahren. Heute bewahren beide Orte, New York und Marfa, seine Lebenswelt respektvoll so, wie er sie hinterlassen hat. Sie laden ein, uns quasi meditativ auf Judds puristische Kunst- und Wohnobjekte, auf ihr bloßes Sein, einzulassen.