John Soane

London, England

Foto: Wikimedia commons/Thomas Lawrence, ca. 1829 (Ausschnitt)

Ein Gebäude sollte wie ein historisches Bild seine eigene Geschichte erzählen.

10.09.1753

20.01.1837

www.soane.org

Unser Bildergedächtnis kennt sie genau: die roten Londoner Telefonhäuschen, die mit ihrem altmodischen Charme zu Ikonen englischer Lebensart geworden sind. Doch wer weiß schon, dass sich ihr Vorbild auf dem Old St. Pancras Friedhof in London befindet. Es ist das von John Soane entworfene Grabmal für sich und seine 1815 verstorbene Frau Eliza.

Soane war Anfang des 19. Jahrhunderts einer der bekanntesten Architekten Englands. Die monumentale Londoner Bank of England etwa ist sein Werk, auch wenn ihr heutiger Zustand nur noch rudimentär an die ursprüngliche Gestaltung erinnert. Aber zum Glück gibt es noch eine weitere Möglichkeit, sich diesem Sir John Soane zu nähern, hat er nicht selbst gesagt: „Ein Gebäude sollte wie ein historisches Bild seine eigene Geschichte erzählen.“ Soanes Haus am Lincoln’s Inn Field erzählt so überbordend von seinem Besitzer, dass man aus dem Staunen nicht mehr herauskommt.

Genaugenommen handelt es sich um drei Reihenhäuser. Soane hatte sie 1792, 1813 und 1823 erworben, entkernt und nach seinen Vorstellungen ausgebaut und kontinuierlich umgestaltet. Von außen wirkt ihre Fassade aus dunklem Ziegelstein und weißgetünchtem Mittelteil elegant-repräsentativ, aber unspektakulär. Das Spektakulum beginnt im Inneren. John Soane war ein leidenschaftlicher Sammler und ein leidenschaftlicher Lehrer – beides dokumentiert dieses wundersame Haus in Hülle und Fülle.

Es gibt die geschmackvoll durchkomponierten Räume wie das überkuppelte Frühstückszimmer, den Gelben Salon, die Bibliothek und das Speisezimmer, allesamt mit kostbarem Interieur ausgestattet. Geht man dann aber ein paar Schritte weiter in die Tiefen des Hauses hinein, so türmen und drängen sich in labyrinthischen Gängen, Räumen und Innenhöfen unzählige Büsten, Urnen, Statuen, Kapitelle, Vasen, Friese, Säulen aus den unterschiedlichsten Epochen. Insgesamt sollen es über 30.000 Objekte sein, Originale und Kopien, bunt durcheinander arrangiert. Soane, der obsessive Sammler, hat sie über viele Jahre hinweg auf Auktionen und aus Katalogen erworben. Unübersehbar dominant ist die Antike, deren Faszination Soane schon in jungen Jahren erlegen war. Aus einfachen Verhältnissen stammend, wurde seine Begabung früh erkannt und durch ein Reisestipendium zu den antiken Stätten honoriert. Sein ganzes Architekturleben hindurch blieb John Soane ein euphorischer Verehrer antiker Baukunst. Sein eigener spätklassizistischer Stil ist eine Hommage an die antike Hochkultur.

Die Gemäldesammlung, zu der beispielsweise William Hogarth und Canaletto gehören, befindet sich im Bilderkabinett. Auf kleinstem Raum sind hier 115 Kunstwerke arrangiert, die in mehreren Schichten durch aufklappbare Flügeltüren zu bewundern sind. Ein weiterer Höhepunkt des Hauses ist der „Dome“, eine Art Krypta mit Soanes wertvollster Errungenschaft, dem Alabaster-Sarkophag des Pharaos Sethos I. Dieser archäologische Fund aus dem ägyptischen Tal der Könige kam nur deshalb in den Besitz von John Soane, weil sein Ankauf dem British Museum zu teuer gewesen war. Die Büste des Hausherrn wacht von der oberen Galerie aus über diese Schätze. Darunter sind die Figuren von Raffael und Michelangelo platziert – eine symbolische Dreieinigkeit von Architektur, Malerei und Bildhauerei, von der Soane zutiefst überzeugt war.

Dieses erstaunliche Haus ist eine Schatzkammer der Kunst. Soane nutzte seine Exponate zu „Studien für mein eigenes Denken“, aber auch als Lehrmaterial für seine Studenten. Es war ihm ein Anliegen, „das Interesse und Wohl britischer Künstler zu fördern.“ Seit 1806 hatte er eine Architekturprofessur an der Royal Academy of Arts. Eine Grand Tour, wie sie ihm vergönnt gewesen war, blieb damals vielen seiner Studenten verwehrt, schon weil die napoleonischen Kriege solche Bildungsreisen in den Süden jahrelang unmöglich machten. Umso mehr war Soane deshalb bemüht, seine Schülerschar auf anderen Wegen an die großen Bauwerke der Antike heranzuführen und ihr architektonisches Denken zu schulen. Im Modellzimmer sind faszinierende Kork- und Gipsmodelle zahlreicher historischer und zeitgenössischer Bauwerke versammelt. Zudem ließ Soane großformatige aquarellierte Architekturzeichnungen anfertigen, mit denen er seine Vorlesungen auf spektakuläre Weise illustrierte.

Dieser pädagogische Impetus scheint Soane wohl auch geleitet zu haben, als er sein Haus vier Jahre vor seinem Tod dem britischen Staat vermachte – unter zwei Bedingungen: Es solle „so annähernd, wie die Umstände es gestatten, in dem Zustand“ belassen werden, wie es nach des Hausherrn Tod vorgefunden werde, und allen „Amateuren und Studenten“ der Architektur, Malerei und Bildhauerei solle freier Zugang gewährt werden, außer bei „Regen- und Schmuddelwetter“.

Bleibt jetzt nur noch zu hoffen, dass alle, die heutzutage das Museum besuchen, auf ein gutgelauntes englisches Wetter treffen. Dann nichts wie hinein in John Soanes Reich der Wunder.