Paul Cézanne

Aix-en-Provence, Frankreich

Foto: Wikimedia commons/Paul Cézanne, 1885/1886 (Ausschnitt)

Stille schaffen! Ein vollkommenes Echo sein.

19.01.1839

22.10.1906

www.cezanne-en-provence.com

„Hier ist mein Atelier. Außer mir betritt es keiner, aber weil Sie ein Freund sind, gehen wir zusammen hinein.“ Dieser Einladung Cézannes, die 1904 an den Malerkollegen Émile Bernard ausgesprochen wurde, folgen heute zahllose Menschen aus aller Welt. Noch immer liegt etwas Intimes, beinahe Andächtiges in diesem Raum, so als spüre man die stille Konzentration und  Beharrlichkeit, mit denen der Maler seinen Motiven begegnete.

Und tatsächlich, viele Dinge in dieser Kunstwerkstatt sind uns aus Cézannes Gemälden vertraut: einfache Alltagsgegenstände wie Krug, Vase, Karaffe, Zuckerdose, Rumflasche, ein Gipsputto, ein Holztisch und die Äpfel natürlich, das ikonografische Erkennungsmerkmal Cézannes schlechthin. Immer wieder hat der Maler diese Motiven künstlerisch umkreist wie auch den provenzalischen Berg Sainte-Victoire, der durch Cézannes Bilder Weltruhm erlangte. Mag das alles heute auch ein wenig inszeniert wirken, dennoch, das Atelier hat nichts von seiner Aura verloren.

Hier arbeitete und lebte Cézanne von 1902 bis 1906. Es waren seine letzten Lebensjahre. 1901 hatte er außerhalb seiner Heimatstadt Aix ein Grundstück auf dem Hügel Les Lauves erworben. Umgeben von weitläufigen Feigen- und Olivenhainen entstand nach seinen Vorgaben ein schlichtes, zweigeschossiges Landhaus. Im Erdgeschoss waren Küche, Esszimmer, Ruheraum und Toilette untergebracht. Im ersten Stock lag das rund 50 m² große Atelier mit hellgrau gestrichenen Wänden, Dielenboden und einer großen Fensterfront. Dort verläuft in der Mauer eine Öffnung, über die große Gemälde nach draußen transportiert werden konnten. Die Einfachheit des Gebäudes findet ihre Entsprechung in der Einfachheit des Inventars: Kohleofen, Diwan, Leiter, Tisch, Kommode, Staffelei, Garderobe, an der noch immer Cézannes Mäntel und Hüte, sein Malerkittel und sein Regenschirm hängen – das ist so gut wie alles.

Dieses Haus war Cézannes Rückzugsort. Hier konnte er sich ungestört seiner Malerei widmen. „Ich habe jetzt ein großes Atelier auf dem Land“, schrieb er 1903. „Hier arbeite ich, hier fühle ich mich viel wohler als in der Stadt.“ Im Zentrum von Aix hatte er weiterhin eine kleine Wohnung angemietet, die er zum Essen und Schlafen nutzte. Nach vielen Jahren des Hin- und Hergerissenseins zwischen seiner Geburtsstadt Aix und der Kunsthauptstadt Paris schien er sich nun mit dem kleinstädtischen Leben arrangiert zu haben. „Wenn man hier geboren wurde, dann ist man verloren für alles andere.“ In Paris lebte sein Jugendfreund Émile Zola und zuweilen auch seine Lebensgefährtin Hortense mit dem 1872 geborenen gemeinsamen Sohn Paul. Oft war die kleine Familie getrennt, lebte an unterschiedlichen Orten oder in separaten Wohnungen. Cézanne galt als menschenscheuer Einzelgänger.

Öffentliche Anerkennung fand seine Kunst erst allmählich in seinem letzten Lebensjahrzehnt. Auch in Aix begegneten die Einwohner dem Maler und seinem Werk mit Unverständnis und Skepsis. Der Direktor des lokalen Museums soll sich damit gebrüstet haben, dass ihm während seiner Amtszeit kein Bild von Cézanne ins Haus käme. Noch als über Vierzigjähriger, bis zum Tod des Vaters 1886, blieb Cézanne von dessen finanzieller Hilfe abhängig. Seinen Sohn und die damals unstandesgemäße Beziehung zu Hortense verheimlichte er lange aus Angst vor dem Verlust der väterlichen Unterstützung. Erst 1886 wurde sein Verhältnis zu Hortense legalisiert und damit sein geliebter Sohn Paul legitimer Erbe.

Auch wenn Cézannes Kunst den meisten seiner Zeitgenossen ein Rätsel blieb, auf nachfolgende Künstlergenerationen hatte sie eine enorme Wirkung. Für Matisse und Picasso war Cézanne „der Vater von uns allen“. Seine neue Art des Sehens hatte die Tür geöffnet zur Moderne. Statt der gewohnt perspektivischen Bildanordnung entstand die Raumwirkung in seinen Gemälden durch ein rhythmisches Nebeneinander von Farbfeldern. Diese künstlerische Radikalität ging weit über den zeitgenössischen augenblicksverhafteten Impressionismus hinaus.

Cézanne näherte sich mit Langsamkeit und Hartnäckigkeit seinen Motiven. Ein „Nachdenken mit dem Pinsel in der Hand“ nannte Émile Bernard diese Arbeitsweise. Allein im Bemühen, das Wesen der Dinge malend zu erfassen, sah Cézanne die Aufgabe des Künstlers: „Sein ganzes Wollen muss schweigen. Er soll in sich verstummen lassen alle Stimmen der Voreingenommenheit. Vergessen! Vergessen! Stille schaffen! Ein vollkommenes Echo sein.“

In der Landschaftsdarstellung, im Stillleben und im Porträt wollte er diesem Anspruch gerecht werden. Aber Selbstzweifel plagten ihn ein Leben lang. Noch sechs Wochen vor seinem Tod schrieb Cézanne an den Sohn, dass er „als Maler vor der Natur hellsichtiger werde, aber dann wiederum ist die Umsetzung meiner Erfahrungen mühselig. Ich kann die Intensität, die sich vor mir entfaltet, nicht erreichen. Ich habe nicht den prächtigen Reichtum der Farben, der die Natur belebt.“

Oft arbeitete Cézanne draußen in der provenzalischen Landschaft „vor dem Motiv“. Dort wurde er im Oktober 1906 beim Malen von einem Unwetter überrascht und abends durchnässt und halb ohnmächtig von Fuhrleuten aufgelesen. Am nächsten Morgen stand er erneut vor seiner Staffelei, sterbenskrank. Eine Woche später war Cézanne tot. Sein Wunsch war es gewesen, malend zu sterben.