Fernando Pessoa
Lissabon, Portugal
Sei vielgestaltig wie das Weltall.13.06.1888
30.11.1935
Wer war eigentlich Fernando Pessoa? Mit dieser Frage betritt man das Haus in der Rua Coelho da Rocha, in dem der Dichter seine letzten fünfzehn Lebensjahre verbracht hat, und kommt ihm, nun ja, auch da nicht wirklich näher. Obwohl das Museum mit seiner kühl gestylten Präsentation eine Fülle an Informationen bietet, die Privatbibliothek und so manche Devotionalie wie Pessoas Schreibmaschine oder Brille zur Schau stellt, wird die reale Person Pessoa nicht greifbar. Zu fern ist die Ausstellungskonzeption von der tatsächlichen bescheiden-unauffälligen Lebensweise des Dichters. Pessoa wohnte im ersten Stock auf kleinem Raum. Vielleicht ist das Museum daher nur eine weitere Maske, hinter der sich der Dichter versteckt. Und vielleicht wäre gerade das ganz in seinem Sinne, bedeutet doch „pessoa“ im Portugiesischen sowohl „Person“ also auch „Maske“ und „Niemand“. „Ich nahm die Maske ab, und setzte sie wieder auf. So ist es besser. So bin ich die Maske“, heißt es in einem seiner Gedichte.
Und Pessoa pflegte viele Masken zu tragen. Die Aufspaltung seines Ichs in verschiedene Gestalten war sein träumerisches Lebensprinzip wie auch sein literarisches Schaffensprinzip: „Ich weiß nicht, wer ich bin, welche Seele ich habe. Ich fühle mich vielfältig. Ich fühle mich als verschiedene Wesen. Ich fühle mich fremde Leben leben, in mir und auf unvollendete Weise, als ob mein Sein an allen Menschen teilhätte.“
Für diese fiktiven Personen, sogenannte Heteronyme, mit denen er sich umgab, erfand Pessoa eigenständige Biografien und Charaktereigenschaften. Im Pessoaschen Figurenlabyrinth sind es vor allem drei Phantasiegestalten, in deren Namen er in Avantgarde-Zeitschriften und Zeitungen stilistisch und thematisch völlig heterogene Texte veröffentlichte: Ricardo Reis, Alberto Caeiro und Álvaro de Campos. „In jedem von ihnen habe ich eine tiefe Auffassung des Lebens gelegt, unterschiedlich in allen dreien, aber in allen ernstlich aufmerksam für die geheimnisvolle Bedeutung des Existierens“, schrieb Pessoa.
Diese multiple Persönlichkeitsstruktur – „Sei vielgestaltig wie das Weltall!“ –, die sich eine Gesellschaft imaginärer Figuren erschuf, trat wahrscheinlich schon früh in Erscheinung. Als Kind pflegte Pessoa sich „mit einer von mir erschaffenen fiktiven Welt zu umgeben, Freunde und Bekannte um mich zu versammeln, die nie existiert hatten.“ Mag sein, dass es die Einsamkeit war, die ihn in diese Phantasiewelten hineintrieb. Sein Vater starb, als er fünf Jahre alt war, seine Mutter heiratete zwei Jahre später den portugiesischen Konsul in Durban und zog mit der Familie nach Südafrika. Dort wuchs Fernando zweisprachig auf. Als Siebzehnjähriger kehrte er nach Lissabon zurück, um dort, allerdings nur kurzzeitig, ein Literaturstudium aufzunehmen. Lissabon verließ er danach kaum noch. Pessoa war ein Reisender im Kopf, nicht im Leben: „Was ist reisen, und wozu dient es? Jeder Sonnenuntergang ist ein Sonnenuntergang, um ihn zu sehen, muss man nicht nach Konstantinopel. Und das Gefühl der Befreiung, das vom Reisen ausgeht? Das kann ich ebenso haben, wenn ich von Lissabon nach Benfica, in die Vorstadt, fahre.“
Seinen Lebensunterhalt verdiente sich Pessoa als Übersetzer von Geschäftskorrespondenz für verschiedene Lissabonner Handelsfirmen. Aber sein ganzes Streben galt dem Schreiben – Prosa, Gedichte, Essays. Nur eine einzige, kaum beachtete Gedichtsammlung „Mensagem“ (Botschaft) erschien zu seinen Lebzeiten. Alles andere, insgesamt fast 30.000 Textfragmente, landete in einer von der Großmutter geerbten Truhe. „Ordentlich unordentlich sammle ich in meiner Truhe alles, was ich denke, fühle, schreibe, bezweifle und widerrufe – für die Zukunft“. Eine Nachbildung dieser legendären Truhe ist heute im Museum ausgestellt.
Die bekannteste Textsammlung aus dem Nachlass, „Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares“, wurde erst Jahrzehnte nach Pessoas Tod veröffentlicht. Der Melancholiker Soares, eine Art Alter Ego Pessoas, führt ein einsames Junggesellenleben in möblierten Zimmern. Versunken in Träumereien und Beobachtungen verfasst er sein Tagebuch als „Bollwerk gegen das Leben“.
Auch Pessoa verschloss sich zumeist dem Leben. Nur einmal gab es so etwas wie eine Liebesgeschichte. An die 19-jährige Sekretärin Ofélia Queiroz, die er im Kontor kennengelernt hatte, schrieb er Liebesbriefe. Das war´s dann vermutlich auch schon. Mehr Wirklichkeit ließ sein literarisches Schaffen im Verborgenen wohl nicht zu. In seinen letzten Jahren nahm der Alkohol eine immer beherrschendere Rolle in seinem Leben ein. Pessoa starb mit 47 Jahren an einer Leberkolik. Er gilt als der bedeutendste portugiesische Dichter der Moderne. Auch wenn bis heute nicht wirklich klar ist: Wer war eigentlich Fernando Pessoa?
„Der Poet verstellt sich, täuscht
So vollkommen, so gewagt,
dass er selbst den Schmerz vortäuscht,
der ihn wirklich plagt.“