Thomas Bernhard

Ohlsdorf, Österreich

Foto: Creative Commons/Monozigote,1987 (Ausschnitt) https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de

Mein Haus ist eigentlich ein riesiger Kerker.

09.02.1931

12.02.1989

thomasbernhard.at

Man wird den Eindruck nicht los, dass er uns in seinem schmucken Bauernhof im oberösterreichischen Ohlsdorf zum Narren hält. Hat er ihn nicht selbst einmal als „Narrenhaus“ bezeichnet? Welches Spiel spielt der Schriftsteller Thomas Bernhard vor dieser gutsherrlichen Kulisse? „Man kann ihm eigentlich nichts wirklich glauben, außer, dass er geboren wurde und dass er gestorben ist“, so sein österreichischer Künstlerkollege André Heller. „Und dazwischen spielt er seine unendlichen, hochinteressanten, verrückten, liebevollen, aggressiven, empörten, trauernden Spiele.“

Ist es also nur die Lust an der Inszenierung oder steckt auch ein Stück Sehnsucht nach diesem vorgespielten Leben darin? Es ist bizarr. Eine Edelstahlküche, in der nie gekocht wurde, Schreibtische, an denen nie geschrieben wurde, Zimmer für Gäste, die nie zu Besuch kamen, Tafelgeschirr und Silberbesteck, mit denen nie gespeist wurde, eine Glocke fürs Dienstpersonal, das es nie gab, reihenweise Spirituosen, die nie getrunken wurden, ein Kuhstall, in dem nie Kühe standen, Reitstiefel und Sattel, mit denen nie geritten wurde, eine Porträtgalerie von Unbekannten, die nie seine Ahnen waren. Alles Staffage, alles Dekor, alles Theater.

1965 hatte Thomas Bernhard den abbruchreifen Vierkanthof aus dem 14. Jahrhundert gekauft und in über zehn Jahren zusammen mit örtlichen Handwerkern instandgesetzt. Zwei weitere Gehöfte in der Umgebung – die „Krucka“ und das „Quirchtenhaus“ – wurden im Lauf der nächsten Jahre hinzugekauft. Die geschmackvolle Ausgestaltung ist Bernhards Werk, vieles hat er eigenhändig renoviert und selbst entworfen. Das Inventar besteht aus sorgfältig ausgesuchten Antiquitäten im bäuerlichen, Biedermeier- und Empire-Stil.  Überall, in den Vorhängen, Kissen, Überdecken oder Kachelöfen, dominieren moosgrüne Farbtöne.

Sein Arzt hatte dem Lungenkranken zum Landleben geraten: „‘Wenn Sie Ihr Leben nicht ändern‘, hatte er mir gedroht, ‚gehen Sie kaputt‘. Obwohl mich das Wort ‚kaputt‘ fasziniert hat, habe ich mich für die Ruhe entschieden“, so Bernhard. Die Faszination für das Morbide und Schroffe spiegeln auch die Titel seiner Theaterstücke und Romane wider wie etwa „Frost“, „Auslöschung“, „Beton“ „Der Untergeher“. In ihnen wimmelt es von Tiraden des Spotts, der Wut, der Verachtung. Doch hinter der misanthropischen Pose, der Lust am Provozieren, Schmähen und Aufmischen ist kein moralischer Referenzpunkt erkennbar, der diesen Furor begründen würde.

Dagegen finden sich viele autobiographische Bezüge, seine traumatische Kindheit hat Thomas Bernhard selbst ausgiebig beschrieben. Als uneheliches, ungewolltes Kind einer Haushaltshilfe wurde er früh allein gelassen, herumgestoßen, gedemütigt und ausgegrenzt. Der Großvater Johannes Freumbichler, ein recht erfolg- und mittelloser Schriftsteller, und die 37 Jahre ältere Hedwig Stavianicek, seine „Tante“, waren die Leitfiguren. Aber zeitlebens blieb Thomas Bernhard ein schwieriger Einzelgänger: „Ich bin am liebsten allein. Im Grunde ist das ein Idealzustand. Mein Haus ist eigentlich ein riesiger Kerker. Ich habe das sehr gern; möglichst kahle Wände. Es ist kahl und kalt. Das wirkt sich auf meine Arbeit sehr gut aus. Die Bücher, oder was ich schreib, sind wie das, worin ich hause.“

Ein Einzelgänger, der in seinem Ohlsdorfer Anwesen das Leben einer bäuerlichen Großfamilie vortäuschte, mit ehelichem Doppelbett und Doppelwaschbecken, mit Schränken und Kommoden voll teurer Anzüge, Mäntel, Hüte und Schuhe. Dass seine Lebensweise Neugierige auf den Plan rief, war zu erwarten: „die Leute gehen am Wochenende, so wie sie früher Affen schauen gegangen sind, jetzt Dichter schauen. Das ist günstiger. Sie fahren nach Ohlsdorf und umstellen mein Haus. Ich schaue dann wie ein Sträfling oder wie ein Verrückter hinter dem Vorhang hervor. Unerträglich.“

Durch die fortschreitende Krankheit konnte Thomas Bernhard in den letzten Lebensjahren nur noch selten seine Bauernhöfe aufsuchen. Mit dem Theaterstück „Heldenplatz“ provozierte er noch einmal lustvoll kalkuliert einen Skandal bei seinen österreichischen Landsleuten. Drei Monate nach der Premiere verstarb er mit 58 Jahren.

Sein Ohlsdorfer Vierkanthof, noch immer in einem tadellos gepflegten Zustand, ist seit 1990 öffentlich zugänglich, so zugänglich, wie es für den „Verrammelungsfanatiker“ Bernhard zu Lebzeiten wohl undenkbar gewesen wäre. Denn nur sehr wenige Besucher kamen damals weiter als bis zur Küche, wo sie bestenfalls mit einem Glas Most abgespeist wurden.

Es ist ein faszinierendes Schauspiel, das Thomas Bernhard uns in seinem Ohlsdorfer Bauernhof bietet. Auch die in einem Vitrinenschrank ausgestellte Ansichtskarte mit der Sphinx von Gizeh gehört dazu. Sie hat der Solipsist Bernhard während einer Ägyptenreise an sich selbst geschrieben, darauf nur drei Worte: „Beruhige dich! Thomas“. Rätselhaft wie die Sphinx bleibt dieser Thomas Bernhard, und wahrscheinlich hätte er genau das gewollt, denn: „Es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt.“