Heinrich Schliemann

Athen, Griechenland

Foto: Wikimedia commons/Ed. Schultze Hofphotograph Heidelberg, ca. 1890 (Ausschnitt)

Mit Gottes Hilfe hat mich in allen Wechselfällen meines bewegten Lebens der feste Glaube an die Existenz Trojas niemals verlassen.

06.01.1822

26.12.1890

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„Noch heute würde die gebrannte Stadt in der Verborgenheit der Erde ruhen, wenn nicht die Phantasie den Spaten geleitet hätte“, schrieb 1881 der Universalgelehrte Rudolf Virchow über Heinrich Schliemanns Entdeckung der legendären Stadt Troja. Bis heute wissen wir nicht mit letzter Gewissheit, ob es sich bei jener versunkenen Stadt wirklich um Homers Troja handelt, sicher aber ist, dass Heinrich Schliemann im 19. Jahrhundert mit seinen sensationellen Funden Archäologiegeschichte geschrieben hat. Der „Schatz des Priamos“ und der „Schatz des Agamemnon“ sind untrennbar mit seinem Namen verbunden. Und am Anfang dieses abenteuerlichen Unterfangens standen in der Tat Phantasie, Wunschdenken und Größenwahn. Denn Schliemann verstand Homers Dichtung „Ilias“ nicht als literarische Fiktion, sondern als Faktum. Er war felsenfest davon überzeugt, dass der Trojanische Krieg und seine Protagonisten wirklich existiert hatten.

Homer hatte in seinem im 7. oder 8. Jahrhundert v. Chr. entstanden Epos „Ilias“ den Krieg zwischen den Griechen und den Trojanern geschildert. Auslöser dieses verhängnisvollen Konflikts war Helena, Gattin von Agamemnons Bruder Menelaos und wie es hieß schönste Frau ihrer Zeit. Als Paris, Sohn des trojanischen Königs Priamos, sich in sie verliebte und sie mit nach Troja führte, sahen sich die Griechen gezwungen, auf diese Provokation zu reagieren. Angeführt von Agamemnon und seinen sagenumwobenen Kriegern Odysseus und Achilles zogen sie gen Troja, um Helena zurückzuholen. Jahrelang belagerten sie die Stadt, ohne Erfolg. Erst durch eine List gelang es ihnen, das Blatt zu wenden. Bevor sie ihren vorgetäuschten Abzug antraten, hinterließen sie ein hölzernes Pferd. Arglos schafften die Trojaner das Holzgetüm in die Stadt. Ein fataler Fehler, denn in der Nacht kletterten die Krieger heraus, öffneten die Stadttore für ihre griechischen Mitstreiter und legten Troja in Schutt und Asche. Soweit der Homerische Mythos, der zu Schliemanns Zeiten überaus wirkmächtig im kulturellen Gedächtnis verankert war.

Ob auch Schliemann mit diesem Wissen über den Trojanischen Krieg aufwuchs, wie er später in seiner Autobiografie behauptete, kann zurecht bezweifelt werden. In seinem mecklenburgischen Elternhaus hatte man keine Mittel, um dem begabten Kind eine angemessene Schulbildung zu ermöglichen. Dennoch konnte sich der junge Heinrich mit staunenswerter Geschwindigkeit und Willenskraft aus seinem prekären Herkunftsmilieu herausarbeiten, zunächst als Handelsgehilfe und bald als selbständiger Kaufmann in St. Petersburg. Als Bankier im kalifornischen Goldrausch und als Rohstofflieferant für die Armee des Zarenreichs machte er alsbald ein riesiges Vermögen. Dabei kam ihm sein Talent für Fremdsprachen zugute. Um die zwanzig Sprachen soll Schliemann beherrscht haben. Durch die Heirat mit einer russischen Kaufmannstochter war es ihm zudem gelungen, sich gesellschaftlich zu integrieren und zu etablieren. „Nach einem Jahr Ehe musste ich meine Kinder mit Gewalt erzwingen“, hört sich allerdings nicht wirklich nach einem glücklichen Eheleben an.

Eine Art Midlife-Krise trieb Schliemann nach seinen enormen materiellen Erfolgen hinaus in die Welt. Rastlos reisend und sich bildend steigerte sich seine Leidenschaft für die griechische Antike zur fixen Idee. Mit 44 Jahren begann er an der Pariser Sorbonne Altertumskunde, Sprachen und Literatur zu studieren, ließ sich scheiden, suchte eine neue Frau, „griechischen Typus“, und fand sie in der 17-jährigen Sophia Engastromenos. Die Heirat fand 1869 in Athen statt.

Schliemann, der auch das Altgriechische beherrschte, nahm Homer beim Wort. „Mit Gottes Hilfe hat mich in allen Wechselfällen meines bewegten Lebens der feste Glaube an die Existenz Trojas niemals verlassen.“ Zwar war er nicht der erste, der Troja zu finden hoffte, aber er war der erste, dem es mit seinem Ehrgeiz und seinen enormen Geldmitteln tatsächlich gelang. Troja wurde unter dem Burgberg Hisarlik im Nordwesten der heutigen Türkei vermutet. Mit teilweise bis zu 150 Arbeitern führte Schliemann nicht gerade wissenschaftlich korrekt die Grabungsarbeiten durch, denn durch seine brachiale Ausgrabungsmethode zerstörte er andere wichtige Siedlungsspuren, die nicht in seine Vorstellungswelt hineinpassten. 1873 gelang ihm schließlich der Coup. Er stieß auf etwas Glänzendes. Nachdem er seine Arbeiter eiligst zum Frühstücken geschickt hatte, „schnitt ich den Schatz mit einem großen Messer heraus, was nicht ohne die allergrößte Kraftanstrengung und die furchtbarste Lebensgefahr möglich war.“ Diademe, Armbänder, Ringe, Kelche, Ketten und viele weitere Preziosen aus Gold und Silber kamen zum Vorschein. Schliemann war sich in seinem Triumphgefühl sicher, auf den „Schatz des Priamos“ gestoßen zu sein. Seinen dramatischen Grabungsbericht, angereichert durch so manche Schummelei und Übertreibung, ließ er geschickt über Zeitungen und Journale verbreiten. Das berühmte Foto seiner jungen Frau, über und über dekoriert mit dem trojanischen Goldschmuck, ging um die Welt.

Der besessene Schatzsucher Schliemann wurde auch an seinem zweiten wichtigen Ausgrabungsort Mykene fündig. Dort auf dem Peloponnes, wo er die Burg des mykenischen Herrschers Agamemnon vermutete, entdeckte er 1876 Schachtgräber mit insgesamt 13 kg Goldbeigaben. Schliemann, so schilderte er es später, nahm eine goldene Totenmaske ab und glaubte in das „majestätische Antlitz des Agamemnon“ zu blicken, das kurz darauf „zu Staub zerfiel“. Auch die Nachricht, er habe den „Schatz des Agamemnon“ gefunden, posaunte Schliemann sogleich medienwirksam in die Welt hinaus. Noch zu seinen Lebzeiten wurde jedoch klar, dass sich der Amateurarchäologe Schliemann geirrt hatte. Seine Fundstücke konnten weder Priamos noch Agamemnon zugeordnet werden, tatsächlich stammten sie aus einer um Jahrhunderte älteren Epoche.

Auf Vermittlung seines Freundes Rudolf Virchow schenkte Schliemann 1881 den „Schatz des Priamos“ dem deutschen Volk. In Berlin waren die Kostbarkeiten jahrzehntelang der weltberühmte museale Blickfang, bis sie Ende des Zweiten Weltkriegs verschwanden. Die sowjetische Armee hatte die Kriegsbeute heimlich nach Moskau geschafft. Erst Anfang der 1990er Jahre wurden sie erstmals aus dem Versteck geholt und öffentlich präsentiert. Der „Schatz des Agamemnon“ hingegen blieb von Anfang an in Griechenland. Dort im Zentrum von Athen steht Schliemanns ehemaliges Stadtpalais „Iliou Melathron“ (Haus von Troja), heute das Numismatische Museum. Es ist ein neoklassizistisches Palais, zur Straße hin durch Säulenloggien gegliedert und an drei Seiten von einem Garten umgeben. Schliemann hatte den damals in Griechenland sehr populären Architekten Ernst Ziller mit dem Bau beauftragt: „Da ich zeitlebens in kleinen Häusern wohnte, möchte ich die restlichen Jahre meines Lebens in einem großen Bau verbringen. Ich möchte Weiträumigkeit und nichts mehr.“ Originales Mobiliar ist kaum noch vorhanden, aber die großzügigen Raumdimensionen sind noch heute erlebbar. Das ganze Haus ist eine Hommage an die Antike. Die Wände und Decken wurden vom slowenischen Maler Jurij Subic nach dem Vorbild pompejanischen Dekors bemalt. Auf den ersten Blick irritieren die Hakenkreuzsymbole in den Mosaikfußböden und am Außengitter. Aber auch sie haben natürlich antike Vorbilder, Schliemann hatte sie auf Tonscherben in Troja gefunden. Das Motiv der sogenannten Swastika war für ihn ein Glücksbringer und hat nichts zu tun mit dem späteren Missbrauch durch die Nazis.

Im Erdgeschoss verwahrte Schliemann seine archäologischen Sammlungen, im ersten Stock lagen die Repräsentationsräume, im zweiten die Privaträume der Familie. Zwei Kinder, Andromache und Agamemnon, gingen aus der Ehe mit Sophia hervor. Auch seinen Bediensteten wies er Namen aus der griechischen Mythologie zu: Ödipus, Telamon und Iokaste. Knapp zehn Jahre blieben dem Hausherrn, um seine prächtige Stadtvilla zu bewohnen. Auf der Rückreise von einer nicht auskurierten Ohrenoperation brach er in Neapel auf offener Straße zusammen. Gerühmt und von höchsten Stellen gewürdigt wurde Schliemann in einem Mausoleum, das er testamentarisch Ernst Ziller in Auftrag gegeben hatte, auf dem Athener Stadtfriedhof begraben. Ein ganz ähnliches Mausoleum, ebenfalls im Stil eines antiken Heroentempels, steht übrigens im sächsischen Radebeul, erbaut vom Bruder Ernst Zillers. Es ist das Grabmal Karl Mays, der es wie Schliemann meisterhaft verstanden hat, sein Leben fabulierend, spintisierend und phantasierend zur Legende zu machen.