Bertolt Brecht

Berlin, Deutschland

Foto: Akademie der Künste/Berlin, Bertolt-Brecht-Archiv, Fotoarchiv 2/90

Schreiben Sie, dass ich unbequem war und es auch nach meinem Tode zu bleiben gedenke.

10.02.1898

10.08.1956

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Das Hinterhaus in der Berliner Chausseestraße war die letzte Wohnstätte Bertolt Brechts. Nur drei Jahre Lebenszeit von 1953 bis 1956 blieben ihm noch an diesem Ort. Zahlreiche Unterkünfte hatte der große Dramatiker und Lyriker im Laufe seines Lebens gehabt. Allein in den fünfzehn Exiljahren als Staaten- und Heimatloser war es zu vielen Wohnwechseln gekommen. Brecht hatte bereits einen Tag nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 mit seiner Frau Helene Weigel und den beiden Kindern Deutschland verlassen. Erst im Oktober 1948 kehrte er nach Berlin zurück, einer zerstörten Stadt, die der Krieg in einen „Schutthaufen“ verwandelt hatte.

Die Wahl fiel auf Ostberlin. Der Aufbau eines sozialistischen Staates in der sowjetischen Besatzungszone entsprach Brechts politischen Vorstellungen, zudem wurde ihm dort die Unterstützung beim Aufbau eines eigenen Theaters zugesagt. „Ich habe meine Meinungen nicht, weil ich hier bin, sondern ich bin hier, weil ich meine Meinungen habe“, kommentierte der keiner politischen Partei angehörende Brecht seine Entscheidung.

1949 gründete er mit „der Weigel“, wie Brecht sie nannte, das Berliner Ensemble. Sie war die Intendantin und Schauspielerin, er der künstlerische Leiter. 1954 bekam ihr Theater eine eigene Spielstätte am Schiffbauerdamm. Brecht hatte hier die Möglichkeit, seine Vorstellungen eines sozialkritischen Theaters auszuprobieren und weiterzuentwickeln. Die Aufführungen der „Mutter Courage“ und des „Kaukasischen Kreidekreises“ waren legendär. Die Zuschauer sollten nicht vom Bühnengeschehen ergriffen, sondern zum kritischen Nachdenken und Erkennen angeregt werden: „Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen, den Vorhang zu und alle Fragen offen“, so formulierte Brecht diese Intention im Theaterstück „Der gute Mensch von Sezuan“.

Aus der Vorgängerwohnung im Stadtbezirk Weißensee war Helene Weigel mit Scheidungsabsichten ausgezogen. Eine lange, schwierige Liebes- und Arbeitsbeziehung verband die beiden. Brecht bezog daraufhin im Oktober 1953 zunächst allein die Mietwohnung in der Chausseestraße. Im November folgte Helene, allerdings auf Distanz. Sie nahm sich eine separate Wohnung im zweiten Stock. Die zentrale Lage und die Nähe zum Theater sprachen für diesen Gründerzeitbau, dennoch legte der Autonarr Brecht täglich die kurze Strecke mit seinem Wagen zurück. Seinem Verleger Peter Suhrkamp beschrieb er äußerst zufrieden seine drei Zimmer: „Eigentlich alle Maße sind anständig, es ist wirklich ratsam, in Häusern und Möbeln zu wohnen, die zumindest 120 Jahre alt sind, also in früherer kapitalistischer Umgebung, bis man eine spätere sozialistische haben wird.“

Auch wenn Brecht nichts davon hielt, einer Wohnung „seinen Stempel aufzudrücken“, alles sollte „vorläufig“ sein, offenbart sie dennoch den Geschmack und Lebensstil seines Bewohners. Schlicht und handwerklich solide eingerichtet mit dunklen Holzmöbeln, dänischen Ledersesseln, weißgestrichenen Wänden und hohen Fenstern zum Dorotheenstädtischen Friedhof hin, bot sie Brecht den geeigneten Rahmen für seine Arbeit und seine Gewohnheiten. Sie beherbergte die Dinge, die ihn durch die Jahre des Exils begleitet hatten: im Schlafzimmer den schmalen Teppich vor seinem Bett und das chinesische Rollbild, das Brecht zu seinem Gedicht „Der Zweifler“ inspiriert hatte, wie auch im kleinen Arbeitszimmer die drei chinesischen Holzmasken und den Hauptteil seiner umfangreichen Bibliothek.

Das große Arbeitszimmer mit insgesamt sieben Tischen bot Brecht genügend Raum, um seine Manuskripte, Bücher und Zeitungen auszulegen, er arbeitete oft gleichzeitig an mehreren Projekten. Eine funktional eingerichtete Werkstatt der Worte, auch ganz im handwerklichen Sinne, denn Brecht, der meist mit Schreibmaschine auf grauem Seidenpapier schrieb, korrigierte gewöhnlich seine Manuskripte, indem er die Textpassagen mit ebenfalls maschinenbeschriebenen Papierstreifen überklebte – ein „Meister der Klebeologie“, wie er sich selbst nannte. Das Rollbild des Konfuzius, die Heiligenfiguren und die Fotografien von Marx und Engels in diesem Raum weisen auf das geistig-kulturelle Spektrum, in dem sich Brecht bewegte.

Der frühere Rebell BB war ruhiger geworden. Die Jahre des Exils hatten Spuren hinterlassen. Krankheiten schwächten seinen Elan, Spannungen mit den DDR-Kulturfunktionären kamen hinzu. Dennoch, Brecht blieb der unbeugsame Aufklärer: „Schreiben Sie, dass ich unbequem war und es auch nach meinem Tode zu bleiben gedenke.“ Er starb 58-jährig an einer Herzentzündung.

Auf dem benachbarten Dorotheenstädtischen Friedhof in der Nähe von Hegel und Fichte wollte er begraben sein, in einem massiven Metallsarg, damit die Würmer nicht an ihn herankämen. Aus Angst, versehentlich lebendig begraben zu werden, sollte ein Pathologe nach seinem Tod zur Sicherheit die Oberschenkelarterie durchtrennen.

In einem Gespräch mit seinem Schriftstellerkollegen Erwin Strittmatter verbat sich Brecht – halb im Ernst, halb im Spaß – nach seinem Tod eine Fetischisierung seiner Habe. Stattdessen solle alles von ihm „im Schiffbauerdamm-Kanal versenkt“ werden. Es kam anders. Helene Weigel, seine kluge Nachlassverwalterin, beließ Brechts Wohnung im Originalzustand, baute im Haus das Brecht-Archiv auf und zog hinunter ins Erdgeschoss, wo sie bis zu ihrem Tod 1971 lebte. Begraben ist auch sie auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof, neben Bertolt Brecht – in ihrer Nachbarschaft Karl Friedrich Schinkel, Heinrich Mann, Hanns Eisler, Anna Seghers, Herbert Marcuse, Heiner Müller, Johannes Rau, Christa Wolf und so manch anderer großer Name.