Johann Wolfgang von Goethe

Weimar, Deutschland

Foto: Wikimedia commons/Joseph Karl Stieler (Ausschnitt)

Man hat mich immer als einen vom Glück besonders Begünstigten gepriesen.

28.08.1749

22.03.1832

www.klassik-stiftung.de

Der Herr Geheimrat hat es mal wieder geschafft. Unwillkürlich, man kann gar nicht anders, schreitet man in seinem Haus am Frauenplan gemessenen Schrittes die Stufen empor, zu ihm, dem Geistesfürsten von Weimar, der seine Gäste mit „Salve“ empfängt. Dieses perfekt inszenierte Entree mit den flachen Treppenstufen und den in Nischen thronenden antiken Skulpturen ist der Renaissance-Architektur abgeschaut, die Johann Wolfgang von Goethe auf seiner italienischen Reise 1786 bis 1788 kennengelernt hatte. Überhaupt sind die Spuren der Italienreise vielerorts im Gebäude erkennbar. Originale und Kopien antiker Kunstwerke kann man in den Repräsentationsräumen auf Schritt und Tritt entdecken. Friese, Skulpturen, Gemälde, Keramiken zitieren griechische und römische Vorbilder, darunter die riesige Juno-Büste, die auch das Berliner Domizil Wilhelms von Humboldt schmückt. Die klassische Antike, Inbegriff von Harmonie, Schönheit und Humanität, war für die Ära der Weimarer Klassik die große Inspirationsquelle.

Den Sabbatjahren in Italien war eine Schaffenskrise Goethes vorausgegangen. Seit 1775 lebte Goethe in Weimar. Der damals gerade mündig gewordene Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach wollte den berühmten Sturm-und-Drang-Dichter des „Werther“ und des „Götz von Berlichingen“ an seinen Weimarer Hof locken. Der 26-jährige Goethe folgte dem Ruf in die Provinz. Er wurde Freund und Berater des Herzogs und war schon bald in die Regierungsgeschäfte eingebunden und zum Geheimrat befördert worden. „Morgens Possen getrieben, tagsüber Torheiten“, schrieb er über die ersten in jugendlichem Überschwang verbrachten Jahre mit dem Herzog.

Um ihn an Weimar zu binden, schenkte Carl August ihm das Gartenhaus im Ilmpark. Goethe beglückte sein erstes eigenes Häuschen inmitten der Natur. Er richtete sich die Innenräume und den Garten nach seinen Vorstellungen ein. Oft badete er nackt im nahen Flüsschen und übernachtete auf dem angebauten Altan im Freien. In dieser Zeit entstanden das Gedicht „An den Mond“ und die Ballade vom „Erlkönig“. Das Inventar im Gartenhaus ist weitgehend original erhalten, so das Lesepult mit dem Sitzbock, Goethe arbeitete meist im Stehen, und auch sein Klappbett, das ihn auf Reisen vor Ungeziefer in fremden Betten schützen sollte.

Ganz in der Nähe, auf der anderen Seite des Parks, lagen das herzogliche Schloss und das Haus der von Steins. Charlotte von Stein, kultiviert, verheiratet, siebenfache Mutter und sieben Jahre älter, wurde von Goethe jahrelang leidenschaftlich umschwärmt. Bis 1782 lebte er im Gartenhaus, dann forderte seine soziale Stellung einen repräsentativeren Lebensstil, denn inzwischen war er Minister und von Kaiser Joseph II. in den Adelsstand erhoben worden. Goethe zog zur Miete in das aus der Barockzeit stammende Stadthaus am Frauenplan. Sein Gartenhaus aber behielt er als Rückzugsort bis ans Lebensende.

Nicht lange, dann kündigte sich eine veritable Midlife Crisis an. Goethe sah sich durch die kräftezehrenden Amtsgeschäfte zunehmend seiner Kreativität und Freiheit beraubt. Ohne Abschied von Carl August und Charlotte von Stein brach er heimlich gen Süden auf. Eineinhalb Jahre lang erfüllte Italien seine Sehnsucht nach Kunst- und Lebensgenuss. Dort habe er, schrieb Goethe an den Herzog, sich „selbst wiedergefunden; aber als was? – Als Künstler!“

Zurück in Weimar lernte Goethe schon bald die 23-jährige Christiane Vulpius kennen, eine aus einfachen Verhältnissen stammende Seidenblumennäherin. Sie wurde seine Geliebte. „Uns ergötzen die Freuden des echten nacketen Amors/Und des geschaukelten Betts lieblich knarrender Ton.“ Fünf Kinder wurden geboren, allein August, der Erstgeborene, überlebte. Uneheliche Geburten standen damals unter Strafe, nur die angesehene Stellung Goethes schützte Christiane vor den Folgen. Während der Herzog wieder an die alte Männerfreundschaft mit Goethe anknüpfte, ihm sogar das Haus am Frauenplan schenkte, reagierte Frau von Stein pikiert und beleidigt, verlangte ihre Briefe an Goethe zurück und verbrannte sie danach allesamt.

Achtzehn Jahre lebte Goethe mit Christiane in wilder Ehe. Ein Skandal in der Weimarer Hofgesellschaft, die naserümpfend auf Distanz zu dieser Mesalliance ging. Christiane scheint das wenig gekümmert zu haben, sie war Goethes „Bettschatz“, führte sein Haus am Frauenplan und hielt sich bei offiziellen Empfängen im Hintergrund. Und Goethe stand zu Christiane, 1806 heiratete er sie. Der erste Besuch nach der Trauung galt dem Salon von Johanna Schopenhauer, die darüber schrieb: „Ich empfing sie, als ob ich nicht wüsste, wer sie vorher gewesen wäre. Ich denke, wenn Goethe ihr seinen Namen gibt, können wir ihr wohl eine Tasse Tee geben.“

Das zweigeschossige Haus am Frauenplan besteht aus einem Vorder- und einem Hinterhaus mit angeschlossenem Bauerngarten. Goethe veranlasste mehrere Umbauten, so auch das Brückenzimmer, das beide Gebäudeteile miteinander verband. Die Repräsentationsräume lagen im Vorderhaus, hintereinander angeordnet in unterschiedlicher Farbgestaltung entsprechend Goethes „Farbenlehre“. Das Gebäude bot dem Hausherrn die Möglichkeit, seine enormen Kunst- und Naturaliensammlungen unterzubringen, ein Abbild seines ganzheitlichen Interessen- und Wissenskosmos. Dabei ging es ihm nicht um den Besitz an sich, sondern Besitz war für ihn Medium zur Erweiterung seiner Kenntnisse: „Ich habe nicht nach Laune oder Willkür, sondern jedesmal mit Plan und Absicht zu meiner eignen folgerechten Bildung gesammelt und an jedem Stück meines Besitzes etwas gelernt.“

Goethes Bibliothek und Arbeitszimmer sind schlicht und funktional eingerichtet, ohne ablenkende Dekoration, ohne Kunstwerke. Hier schloss er den „Faust“ und den „Wilhelm Meister“ ab. Daneben in der kleinen Schlafkammer, die er in den letzten Lebensjahren nutzte, starb Goethe im Alter von 82 Jahren in seinem Lehnstuhl. Bereits 1824 hatte er gegenüber seinem Chronisten Eckermann eine Art Bilanz gezogen: „Man hat mich immer als einen vom Glück besonders Begünstigten gepriesen; auch will ich mich nicht beklagen und den Gang meines Lebens nicht schelten. Allein im Grunde ist es nichts als Mühe und Arbeit gewesen, und ich kann wohl sagen, dass ich in meinen fünfundsiebzig Jahren keine vier Wochen eigentliches Behagen gehabt. Es war das ewige Wälzen eines Steines, der immer von neuem gehoben sein wollte. Mein eigentliches Glück war mein poetisches Sinnen und Schaffen.“

Goethe, der vor Krankheit und Tod immer panisch geflohen war, hatte alle ihm nahestehenden Lebensbegleiter überlebt: seine Frau Christiane, seinen Sohn August, Charlotte von Stein, Herzog Carl August, seine Dichterfreunde Herder, Wieland und Schiller. Schon zu Lebzeiten war er, freilich nicht ohne eigenes Zutun, zum verehrten Denkmal geworden, gerade so, wie es seine Mutter ihm und Friedrich Schiller einst prophezeit hatte: „Was werden alsdann die Professoren euch zergliedern – auslegen – und der Jugend einbleuen.“ Wie recht sie behalten sollte.