Christoph Martin Wieland
Oßmannstedt, Deutschland
Ich muss aufs Land!03.11.1733
20.01.1813
Des Städters Traum vom Leben auf dem Lande ist uralt. Schon Cicero und Horaz träumten ihn und erschufen sich ihr Tusculanum und Sabinum, Sommerdomizile vor den Toren der Stadt. Christoph Martin Wieland, der beide römische Dichter ins Deutsche übersetzt hat, tat es ihnen gleich. 1797, mit 64 Jahren, erwarb er in der Nähe von Weimar für sich und seine Familie das stattliche Landgut in Oßmannstedt und nannte es sein „Osmantinum“: „Ich muss aufs Land! Hier in Weimar wird mein Geist durch den Hof, mein Körper durch das fatale Klima gemordet.“
Das um einen Innenhof gruppierte vierflügelige Gebäude mit barocker Brunnenanlage entsprach seinem „längst im Stillen genährten Wunsch, ein Landmann zu werden.“ Über siebzig Hektar Wald, Wiesen und Äcker mussten kultiviert werden. Keine leichte Aufgabe für einen der Landwirtschaft unkundigen Schreibtischmenschen. Immerhin, 300 Obstbäume hatte Wieland gepflanzt und „stundenlang Maulwurfshügel geebnet und Steine von meinen Äckern gelesen“, heißt es in einem seiner Briefe. Wieland genoss „dies heitere Land- und Gartenleben“ fern von den Regularien und Pflichten des Weimarer Hofs, die „äußere Ruhe und freie Disposition über mich selbst und meine Zeit.“ Lange genug hatte er, der 1772 von Herzogin Anna Amalia als Erzieher für die beiden Prinzen nach Weimar geholt worden war, in Hofnähe gelebt. Mit einer satten Pension von tausend Talern ausgestattet, konnte er sich nun aber bereits mit 42 Jahren als Privatgelehrter und Dichter seinen eigenen Werken widmen.
Doch wer war eigentlich dieser Christoph Martin Wieland? „Hm – Ein berühmter Name, gewiss; aber wie ich gestehen muss, mir nur eine Schattengestalt“, bekannte der Schriftsteller Arno Schmidt, der seit den 1950er Jahren wesentlich zur Wiederentdeckung Wielands beigetragen hat. Denn im Vergleich zu den anderen Namen der Weimarer Klassik wie Goethe und Schiller, ja sogar Herder, ist Wieland der am schwächsten im kulturellen Gedächtnis verhaftete Dichter. Dabei hatte er im 18. Jahrhundert zu den bekanntesten Autoren seiner Zeit gehört. Zahlreiche kulturelle Pionierleistungen verbinden sich mit seinem Namen: die erste deutsche Shakespeare-Übersetzung und -Inszenierung , der erste deutsche Erziehungsroman („Agathon“), das erste deutsche Opernlibretto („Alceste“), die erste deutsche Kulturzeitschrift („Der Deutsche Merkur“). Auch war er der erste deutsche Autor, der bereits zu Lebzeiten in den Genuss einer von Georg Joachim Göschen verlegten Werkausgabe kam. In Frankreich galt der Pfarrersohn aus Oberschwaben wegen seines Bekenntnisses zu den Maximen der Aufklärung gar als „deutscher Voltaire“. Gern gelesen wurde er allerdings auch wegen seiner frivolen Beschreibungen, die Vater Wieland so lange von seinen Töchtern fernhielt, bis sie verheiratet waren.
In der Rezeptionsgeschichte stand Wieland eindeutig im Schatten von Goethe und Schiller. Und auch nach der Wende hatte es den Anschein, als ob er aus diesem Schatten nicht herauskäme. Doch ein heutiger Wieland-Verehrer hat sich unermüdlich dafür eingesetzt, dass Oßmannstedt nicht in Vergessenheit geriet und Wielands Wunsch, dass ihm nach seinem Tod „mit vollem gerüttelten und geschüttelten Maß Gerechtigkeit“ widerfahren möge, Genüge getan. Ihm verdanken wir die Renovierung und Neukonzeption dieser eindrucksvollen Gedenkstätte.
Drei Räume in der Beletage, verbunden durch einen langen Korridor, zeigen in zeitgenössischem Mobiliar den Lebensstil der Familie Wieland, die uns im Wohnzimmer auf dem Gemälde von Georg Melchior Kraus begegnet. In Wielands Bibliothek steht sein originaler Schreibtisch. Hier arbeitete er mit Blick auf den Park, umgeben von seinen Bücherbergen. Sein Spazierstock und sein schwarzes Samtkäppchen, ohne das sich Wieland nicht denken lässt, sind ebenfalls ausgestellt.
An Besuchern hat es dem Patron von Oßmannstedt auf seinem Landgut nicht gemangelt. Goethe, Herzogin Anna Amalia, auch Jean Paul und Heinrich von Kleist waren seine Gäste. Wielands Jugendliebe Sophie von La Roche besuchte ihn 1799 zusammen mit ihrer einäugigen Enkelin Sophie Brentano, einer Schwester von Clemens und Bettina Brentano, und resümierte: „die tiefe Ruhe, und auch die einsame Lage dieses Wohnsitzes rührte mich, als ich dachte: Dieses Ganze ist ein Sinnbild von Wielands Geist.“
Doch der Traum vom Leben auf dem Lande war nach nur sechs Jahren ausgeträumt. Wieland fehlte die nötige Fortune bei der Bewirtschaftung seiner Ländereien, die Schulden nahmen zu. Er habe „17 Personen (12 zur Familie gehörig), 3 Mägde und zwei Knechte, 14 Stück Rindvieh, alt und jung, etliche Stück Schafvieh, vier Pferde und 5 Schweine zu ernähren. Das sind viele menschliche und tierische Mäuler.“ 1803 verkaufte er das Gut. Vor allem der Tod seiner „Seelentochter“ Sophie Brentano, die bei ihrem zweiten Besuch in Oßmannstedt schwer erkrankte, sowie der Tod seiner Gemahlin ein Jahr später entfremdeten ihm diesen Ort. Vierzehn Kinder hatte ihm Anna Dorothea geboren. „Es wären noch mehr geworden, wenn sich die Eheleute nicht zeitlebens gesiezt hätten“, spöttelte Charlotte von Stein über die Wielandsche Großfamilie. Wieland zog 70-jährig wieder zurück nach Weimar, dort verstarb er 1813. Goethe schrieb die Totenrede.
Christoph Martin Wieland ist zusammen mit seiner Frau und Sophie Brentano im Park von Oßmannstedt begraben. Auf dem dreiseitigen Sandsteinobelisk steht Wielands Distichon, das er bereits 1806 dafür vorgesehen hatte: „Liebe und Freundschaft umschlang die verwandten Seelen im Leben/Und ihr Sterbliches deckt dieser gemeinsame Stein“. Die anrührende Grabstätte liegt direkt am Flüsschen Ilm. „Es ist schon eines unserer Nationalheiligtümer, nach dem Jeder einmal im Leben wallfahrten sollte“, empfahl Arno Schmidt. Eine Wallfahrt muss es ja nicht gleich sein, aber einen Besuch ist Wielands Oßmannstedt allemal wert.