Eduard Mörike
Ochsenwang, Deutschland
Ich lag den halben Vormittag mit unsteten Gedanken lesend und brütend auf dem Bett, schlenderte durch den Garten und sah die Hummeln in den Sonnenblumen wühlen.08.09.1804
04.06.1875
„Frühling lässt sein blaues Band/ wieder flattern durch die Lüfte …“
„Im Nebel ruhet noch die Welt/ noch träumen Wald und Wiesen …“
„Gelassen stieg die Nacht ans Land/ lehnt träumend an der Berge Wand …“
Der, von dem solche Poesieperlen stammen, ließ sich nur schwer in ein von Pflicht und Disziplin geprägtes Erwerbsleben hineinpressen. Eduard Mörike galt bei seinen schwäbischen Landsleuten als faul oder, sagen wir es freundlicher, als müßiggängerisch. Aber erst im Widerstand gegen das pietistische Arbeitsethos konnten seine Werke wohl erst entstehen: „Ich lag den halben Vormittag mit unsteten Gedanken lesend und brütend auf dem Bett, schlenderte durch den Garten und sah die Hummeln in den Sonnenblumen wühlen.“ Kein Wunder, dass seinesgleichen von den schaffenden Nachbarn misstrauisch beäugt wurde.
Die Ausbildung zum Theologen war nicht aus Neigung, sondern vielmehr aus materieller Not heraus erfolgt. „Zweifel, ob ich denn auch wirklich zum Geistlichen tauge“, plagten ihn fortwährend. Seit 1826 wurde Mörike als Pfarrgehilfe von einem schwäbischen Örtchen zum andern geschickt. Sein Leben lang kam er kaum aus dem Württembergischen heraus. Er litt an der „Vikariatsknechtschaft“, träumte von einem freien Poetenleben, aber auch das gelang ihm nicht. „Ich für meine Person weiß nichts, als bei der Kirche bleiben“, gestand er sich schließlich ein. Und da gab es, wenn ihm alles über den Kopf wuchs, zumindest die Flucht in die Verweigerung und in die zumeist eingebildete Krankheit. Ihr verdankte er so manche kreativen Freiräume.
Nach Ochsenwang, einem Dorf auf der Schwäbischen Alb, wurde er im Januar 1832 als Pfarrvikar versetzt. Dort im ersten Stock des Schulhauses wies man ihm zwei Zimmer zu, die er zusammen mit seiner Mutter und zeitweise seinem Bruder bewohnte. Gegenüber lag die Dorfkirche, „reinlich und rührend klein, wie von Kinderhänden aufgestutzt.“ Obgleich inzwischen Ausstellungsfläche, lässt sich in den „hellen, geweißten Stübchen“ noch immer die Kargheit und Beengtheit des damaligen Lebens erspüren. Eine biedermeierliche Idylle war das zweifellos nicht. „Mörike ist dem banalen Wohlsein eines glücklichen Lebens so fern gestanden wie nur möglich“, heißt es später bei Hermann Hesse.
Eduard Mörike, der sich in Ochsenwang „unter treuherzigen, zutraunsvollen Menschen“ fühlte, hatte als Vertreter der Obrigkeit neben kirchlichen Aufgaben wie Seelsorge und Predigtamt auch die Aufsicht über das Schulwesen. Regelmäßig hatte er an seinen Vorgesetzten Berichte über den Zustand der Gemeinde abzuliefern. Darin ging es etwa um den „hiesigen Kirchengesang, welcher fast immer schreiend und ohne Ausdruck ist" - vermutlich eine Qual für Mörikes melodisch sensibles Gehör. Oder es ging um den Schulunterricht, in dem nach seiner Meinung „die Kinder zu wenig im Selbstdenken geübt“ werden.
In Ochsenwang beendete Mörike seinen Künstlerroman „Maler Nolten“. Und zum Ende seiner Ochsenwanger Zeit ging auch die Verlobung mit der Pfarrerstochter Luise Rau in die Brüche: „Lass, oh Welt, oh lass mich sein/ Locket nicht mit Liebesgaben/ lasst dies Herz alleine haben/ seine Wonne, seine Pein!“ Im Oktober 1833 verließ der Dichter Ochsenwang und wechselte zur nächsten Landpfarrei.
Nur ein einziges Mal in seinem Berufsleben hat Eduard Mörike das Pfarramt dann tatsächlich ausgeübt. Von 1834 bis 1843 war er, mehr schlecht als recht, protestantischer Dorfpfarrer in Cleversulzbach. Und auch da versuchte er sich immer wieder vor seinen Dienstpflichten in die Krankheit zu flüchten. Justinus Kerner, der Dichterfreund im nahen Weinsberg, stand ihm mit ärztlichem Rat zur Seite. Als Mörikes Mutter, die ihm den Haushalt geführt hatte, starb, ließ er sie in Cleversulzbach neben dem Grab von Schillers Mutter beerdigen.
Endlich, mit 39 Jahren, wurde Mörike in den ersehnten Ruhestand geschickt. Eine späte Ehe mit Margarethe von Speeth, einer Katholikin, folgte. Mit ihr und seiner Schwester Klara zog er 1851 nach Stuttgart. Zwei Töchter wurden geboren. Doch der Hausstand mit zwei Frauen gestaltete sich spannungsreich. In Stuttgart erhielt Mörike eine Anstellung als Literaturlehrer. Durch die Märchendichtung „Das Stuttgarter Hutzelmännlein“ und vor allem durch seine Novelle „Mozart auf der Reise nach Prag“ kam er nun endlich zu Ruhm und Ehre. Dichterkollegen wie Theodor Storm, Turgenjew oder Friedrich Hebbel statteten ihm Besuche ab. Dennoch, seine Werke verkauften sich weiterhin mehr schlecht als recht.
In den letzten beiden Lebensjahrzehnten erschlafften seine literarischen und körperlichen Kräfte. Eduard Mörike starb 1875. In Gottfried Kellers Nachruf heißt es: „Wenn sein Tod nun seine Werke nicht unter die Leute bringt, so ist ihnen nicht zu helfen, nämlich den Leuten!“