Frederic Leighton
London, England
Eine kleine Beigabe, um bisweilen etwas Schönes vor Augen zu haben.03.12.1830
25.01.1896
„Flaming June“ – das wohl bekannteste Gemälde Frederic Leightons, vereint in sich alles, was diesen englischen Maler und Bildhauer künstlerisch ausmacht. Es zeigt eine junge Frau, traumverloren hingegossen in mediterraner Mittagshitze. Ihr leuchtend orangefarbenes, subtil erotisch fließendes Gewand dominiert den gesamten Bildaufbau. Weit entfernt von der prüden Korsettenge des viktorianischen Zeitalters ist das Gemälde eine Hommage an die reine antikisierende Schönheit und Sinnlichkeit. Noch die Fotografin Annie Leibovitz hat sich über ein Jahrhundert später von dieser June für ein Cover der amerikanischen „Vogue“ inspirieren lassen.
Frederic Leighton war ein Maler der Schönheit. Junge Frauen und Mädchen in historischen, biblischen und mythologischen Szenerien gehörten zu seinen Lieblingsmotiven. Doch trotz dieses Rückgriffs auf die Lebens- und Kunstideale vergangener Epochen war Leighton ein Mann seiner Zeit. Als Präsident der Königlichen Kunstakademie hochangesehen, später von Queen Victoria in den Adelsstand erhoben, verkehrte er in der englischen Upper Class. Seine Studienaufhalte in Frankreich, Italien und Deutschland sowie seine zahlreichen Reisen hatten ihn zu einem eleganten Kosmopoliten geformt, der sich mit diesem Wohn- und Atelierhaus im Londoner Stadtteil Kensington den ihm angemessenen Repräsentationsrahmen schuf.
Das Haus in der Holland Park Road, das er 1866 bezog und das er lebenslang immer wieder umgestaltete und komplettierte, ist ein faszinierender Ausdruck seines exquisiten Geschmacks und seines kompromisslosen Schönheitswillens. George Aitchison, ein befreundeter Architekt, hat es nach den Vorstellungen des Hausherrn gestaltet. Die schlichte äußere Erscheinung aus rotem Backstein im Neorenaissancestil lässt die Pracht der Innenräume kaum erahnen. Ein typischer Ausdruck englischen Understatements.
Leighton war ein passionierter Sammler schöner Dinge. Von seinen ausgedehnten Reisen in den Nahen Osten, nach Südeuropa, Ägypten und in die Türkei kehrte er mit Kisten voller kostbarer Antiquitäten zurück. Jedes Stück wurde sorgfältig ausgewählt und genau an einem eigens dafür vorgesehenen Platz in das eklektizistische Wohnensemble eingebunden. Das Haus diente „seiner eigenen künstlerischen Erbauung. Jeder einzelne Stein war Objekt seiner liebenden Sorgfalt gewesen. Es war ihm eine Freude bis zum Augenblick seines Todes“, erinnerte sich seine Schwester.
Gleich in der Eingangshalle mit den wundervollen türkisblauen Kacheln, die farblich mit den Halsfedern eines ausgestopften Pfaus korrespondieren, zeigt der Ästhet Leighton seinen Sinn für Farben und Proportionen. Auch das in Rot gehaltene Speisezimmer, über dessen Türrahmen etwas irritierend in Goldlettern das deutsche Wort „Prost“ steht, und der in Blau ausgestattete Salon sind von ausgesuchter Eleganz. Oben im weitläufigen Atelier mit riesigem Nordfenster zur Gartenseite hin, empfing Leighton seine Gäste und präsentierte seine Werke. In den Arbeitsstunden gelangten die Modelle über einen Hintereingang ins Atelier. Wie auch beim separaten Dienstboteneingang achtete Leighton, ganz Repräsentant seiner Zeit, stets auf die distinguierte Einhaltung der damaligen Klassenschranken.
Leighton war ein Schönheitsanbeter. Er fand die Schönheit in einer türkischen Hochzeitstruhe, einer japanischen Vase, einem italienischen Renaissancestuhl, einer syrischen Kachel oder einem türkischen Wandbehang. Es ist, als wollte er die Schönheit dieser Welt durch alle Zeiten und Länder hinweg in seinem Haus bannen. Unzählige Kunstwerke, eigene wie auch von Künstlerkollegen wie Delacroix, Corot oder Constable, ergänzen das Interieur. Eine großformatige Kopie von Michelangelos „Erschaffung des Adam“ ist im Aufgang zum ersten Stock in die Wand eingepasst. Obgleich ein Zeitgenosse der Impressionisten, konnte sich der dem neoklassizistischen Stil zugewandte Leighton nicht mit deren Kunstverständnis anfreunden: „Der Impressionismus ist eine Reaktion auf die alten Malkonventionen, aber ein Impressionist sollte niemals vergessen, dass die tiefen Eindrücke die besten sind und nicht die flüchtigen“, urteilte er über die neue Kunstrichtung.
Ein Höhepunkt ist die mit kostbaren islamischen Kacheln und einem Springbrunnen ausgestattete Arabische Halle, die er sukzessive anbauen ließ. Nur eine lapidare Bemerkung zu diesem opulent verzierten Schmuckstück ist von Leighton überliefert. Er nannte sie „eine kleine Beigabe, um bisweilen etwas Schönes vor Augen zu haben.“ Umso stärker ist der Kontrast, wenn man aus dem inszenierten Schönheitskult dieser Räume in das spartanisch eingerichtete Schlafzimmer des Hausherrn tritt. Es ist der einzige völlig private Raum im Gebäude: ein schmales Bettgestell, das sich wohl kaum wesentlich von demjenigen seines Dieners im Kellergeschoss unterschieden haben mag, blaue William-Morris-Tapeten, an denen fotografische Reproduktionen von verehrten Kunstwerken befestigt waren. Leighton lebte allein, im ganzen Haus gab es keine Gästezimmer. Sein Umfeld kannte wohl nur den öffentlichen, weltgewandten Menschen und Künstler. Sein privates Leben blieb seine Sache. Er starb mit 65 Jahren an Herzversagen und wurde auf Geheiß von Queen Victoria in der Londoner St. Paul’s Cathedral beigesetzt.
Schon zu Lebzeiten hat Frederic Leighton sein Haus gerne mit Stolz präsentiert. Dass auch wir Heutigen diesen von ihm geschaffenen Kosmos der Schönheit bestaunen und uns an seiner Perfektion und Kultiviertheit erfreuen können, ist ein großes Glück.