Eugène Delacroix
Paris, Frankreich
Was man allein erlebt, wirkt viel stärker und jungfräulicher.26.04.1798
13.08.1863
„Liebe, Schrecken, Wahnsinn, Verzweiflung, Wut, Überschwänglichkeit, Überdruss, Traum und Tat, Denken und Melancholie“ – all das komme, so der Schriftsteller Théophile Gautier, im Werk seines Künstlerfreundes Eugène Delacroix mit Wucht zum Ausdruck. Sein allegorisches Gemälde „Die Freiheit führt das Volk“, in dem eine wilde, stolze Göttin mit Trikolore und Gewehr den Barrikadenkampf in der Julirevolution 1830 anführt, wurde zur Ikone französischen Nationalgefühls. Bis in unsere Tage hinein vielfach zitiert und abgewandelt, steht dieses Bild in seiner ganzen Dramatik für die Macht des Volkes und dessen Rebellion gegen die Ungerechtigkeit. Das großformatige Gemälde hängt – natürlich – im Pariser Louvre, der übrigens über die bedeutendste Delacroix-Sammlung verfügt.
Eugène Delacroix wird, wenn man ihn überhaupt in eine kunsthistorische Schublade stecken möchte, der französischen Spätromantik zugerechnet. Er selbst bezeichnete 1853 in seinem Tagebuch den Romantiker als jemanden, „der die Klaviatur der menschlichen Seele von einem zum anderen Ende durchläuft, eine wunderbare Gabe, die man selten bei ein und demselben Menschen antrifft; er hat Leidenschaft, Glaube, Ironie und Skepsis; er vermag alle schönen Regungen des Herzens wiederzugeben und ihrer mit diabolischer Inbrunst zu spotten.“ Charakteristisch für Delacroix war vor allem sein furioser Einsatz der Farbe. Sein vielgerühmtes Farbenspektrum evoziert in den Historienbildern, Porträts und Genrebilder eine expressive Dynamik, die sich erkennbar von der kühlen Glätte des damals modischen Klassizismus abhob. Für Vincent van Gogh etwa war Delacroix der „größte Kolorist“.
Paris blieb für Eugène Delacroix lebenslang der Mittelpunkt seiner Existenz. Außer einer Nordafrika-Reise 1832, deren exotische Eindrücke sich motivisch und maltechnisch in vielen seiner Bilder niedergeschlagen haben, war er wenig reisefreudig. In seiner Wohnung an der Place de Furstenberg, die er 1857 bezog, sind viele seiner Werke, Briefe und Originalmöbel zu sehen. Es war die letzte Wohnung, hier lebte Delacroix bis zu seinem Tod 1863. Der Umzug in das am linken Seineufer liegende Stadtviertel Saint-Germain-des-Prés bedeutete auch eine Art Rückkehr an den Ort seiner Kindheit. Möglicherweise war auch die Nähe zur Kirche Saint-Sulpice, mit deren Ausmalung er damals gerade beauftragt war, für diese Entscheidung ausschlaggebend gewesen.
Seine anfängliche Skepsis gegenüber der neuen Bleibe verlor sich bald: „Meine Wohnung ist wirklich bezaubernd. Ich war ein wenig melancholisch nach dem Essen, mich so verpflanzt zu sehen. Nach und nach habe ich mich damit ausgesöhnt und bin schließlich entzückt zu Bett gegangen.“ Das Atelier, das von seiner Wohnung im ersten Stock aus direkt zugänglich war, richtete er im Hinterhaus ein. Der von Mauern umschlossene Garten, der heute wieder im Sinne des Malers gestaltet ist, war für den einzelgängerischen Dandy ein idealer Rückzugsort, eine Oase der Stille und Abgeschiedenheit: „Der Anblick meines kleinen Gartens und das heitere Bild meines Ateliers erregen in mir immer ein Gefühl der Freude“, bekannte der Maler. Auch für sein Kunstschaffen war ihm die Einsamkeit ein wichtiger Begleiter: „Was man allein erlebt, wirkt viel stärker und jungfräulicher.“
Obwohl Delacroix ein gern gesehener Gast in den Pariser Salons war – George Sand und Frédéric Chopin etwa gehörten zu seinem Freundeskreis – und obwohl er sich zu Lebzeiten nicht über einen Mangel an öffentlichen und kirchlichen Aufträgen beklagen konnte, war sein Atelier schon wenige Jahrzehnte nach seinem Tod vom Abriss bedroht. Nur dank des Engagements junger Künstler, die die Virtuosität der Lichtinszenierung in Delacroix' Werken bewunderten und in ihm den Wegbereiter des Impressionismus sahen, konnte die Erinnerungsstätte gerettet und 1932 als Museum eröffnet werden. Auch heute noch ist dieser Ort wie zu Zeiten von Eugène Delacroix ein Ruhepol inmitten des pulsierenden Pariser Stadtlebens.