Charles de Gaulle

Colombey-les-Deux-Eglises, Frankreich

Foto: Wikimedia commons/Office of War Information, Overseas Picture Division, ca. 1942 (Ausschnitt)

Sieger ist der, der es am energischsten will.

22.11.1890

09.11.1970

www.charles-de-gaulle.org

Niederlagen und Siege, Anfeindungen und Triumphe, Enttäuschungen und Erfolge – ein Leben voller Kämpfe braucht einen Ruhepol. Für Charles de Gaulle war es sein Haus „La Boisserie“ in Colombey-les-Deux-Eglises. Bereits 1934 hatte er das Landhaus als Zweitwohnsitz für sich und seine Familie erworben. Es lag günstig zwischen Paris und den Garnisonen im Osten, wo de Gaulle damals als Berufsoffizier Dienst tat. Auch für die jüngste Tochter Anne, die 1928 mit Down-Syndrom zur Welt gekommen war, bot dieses Domizil die Möglichkeit, im Schutz der umlaufenden Mauer und einem mit Efeu und Bäumen eingewachsenen Park ungestört aufzuwachsen.

Doch schon wenige Jahre später, als 1940 die deutsche Armee in Frankreich einmarschierte, war die Familie gezwungen, La Boisserie zu verlassen. Charles de Gaulle, seine Frau Yvonne und die drei Kinder gingen ins Exil nach England. De Gaulle widersetzte sich Marschall Pétain, der mit den deutschen Besatzern kollaborierte. Stattdessen baute er von London aus das „Freie Frankreich“ gegen Pétains Vichy-Regime auf. Legendär ist de Gaulles Aufruf zum Widerstand gegen die Nationalsozialisten, den er im Juni 1940 über Radio BBC sendete: „Frankreich hat eine Schlacht verloren, doch nicht den Krieg.“ Die Vichy-Regierung reagierte prompt. De Gaulle wurde der Generalstitel und die französische Staatsbürgerschaft entzogen, ein Militärgericht verurteilte ihn zum Tode. Doch de Gaulle blieb unbeirrt und streitbar, eine Charaktereigenschaft, die sich bereits in einem Brief findet, den er als junger Soldat an seine Mutter geschrieben hatte: „Sieger ist der, der es am energischsten will.“ Erst im August 1944 konnte de Gaulle die Früchte seines Kampfes ernten. Nach der Befreiung von Paris zog er im Triumph über die Champs Élysées, von Millionen Franzosen als Held der Résistance gefeiert.

Nur kurz führte er Frankreich als Regierungschef durch die Nachkriegszeit, zu divergierend waren die parteipolitischen Interessen. Bereits 1946 legte de Gaulle sein Amt nieder. Zwölf Jahre lang zog er sich nicht ohne Bitterkeit auf seinen Landsitz in Colombey-les-Deux-Eglises zurück und schrieb seine dreibändigen Kriegserinnerungen. Erst 1958 rief Frankreich wieder nach ihm, der 67-Jährige wurde zum Präsidenten der Fünften Republik gewählt. In seine Amtszeit fielen die Entlassung Algeriens in die Unabhängigkeit und die Annäherung an den ehemaligen Erzfeind Deutschland. Der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer war der einzige Staatsmann, dem de Gaulle im September 1958 die Tür zu seinem Privathaus in Colombey öffnete. Mit diesem Besuch begann die historisch so bedeutsame und kostbare deutsch-französische Aussöhnung, die in den Élysée-Vertrag von 1963 mündete.

Die Studentenunruhen im Mai 1968 waren der Anfang vom Ende der gaullistischen Ära. Als im darauffolgenden Jahr in einer Volksabstimmung die Politik Präsident de Gaulles durchfiel, verließ er für immer die politische Bühne. Ihm blieb nur noch wenig Zeit, um seine Memoiren fortzusetzen, sie blieben unvollendet. De Gaulle starb kurz vor dem 80. Geburtstag in seinem Haus in Colombey am Riss einer Schlagader.

In der Boisserie, die noch heute im Besitz der Familie ist, sind nur die Räume im Parterre für die Öffentlichkeit zugänglich. Überall – im Esszimmer, im Salon, in der Bibliothek – breiten sich unzählige Gastgeschenke aus aller Herren Länder aus: ein Teppich vom marokkanischen König Mohammed V., ein Humidor von Fidel Castro, ein Gemälde der Stadt Antwerpen vom belgischen König Baudouin, eine rheinische Pietà von Adenauer, griechische Amphoren, asiatisches Mobiliar, ein mächtiger Stoßzahn aus Elfenbein und vieles mehr. Am nächsten kommt man de Gaulle in der Bibliothek und im Arbeitszimmer. Die Patina der braunen Ledersessel erzählt vom jahrzehntelangen Leben, das hier einmal stattfand, sein Schreibtisch im Turmzimmer mit weitem Blick über die Felder erzählt von vielen Stunden geistiger Arbeit. Vergeblich sucht man in diesem Raum ein Telefon. Es wurde in einen Verschlag im Vestibül verbannt, wohl um die konzentrierte Stille im Haus nicht zu stören. Auf der Wiese nebenan sind noch die Spuren eines Minigolf- und Tennisplatzes sowie eines Pools zu erkennen, die das Ehepaar de Gaulle für seine Kinder und Enkel hatte herrichten lassen.

Nach La Boisserie zog es de Gaulle in allen Phasen seines Lebens. Während des Zweiten Weltkriegs war das Haus besetzt, geplündert und teilweise durch Brand zerstört worden. Die de Gaulles renovierten es nach ihrer Rückkehr aus dem Exil und ließen darüber hinaus einen sechseckigen Turm anbauen. Auch während de Gaulles Präsidentschaft versuchten sie, in Colombey möglichst viele Wochenenden und Ferienzeiten zu verbringen. „Dieser Teil der Champagne ist ganz von Ruhe erfüllt: weite Horizonte, melancholische Wälder, Weiden, Äcker und Brachland, stille, wenig begüterte Dörfer, in denen sich seit Jahrtausenden nichts geändert hat“, schrieb de Gaulle in seinen Memoiren über diese Gegend. Der Tod der Tochter Anne 1948, die auf dem Dorffriedhof begraben ist, verstärkte die Bindung der Familie an Colombey noch weiter. Auch Charles de Gaulle und seine Frau wurden später neben ihrer Tochter bestattet.

Colombey, dieses unspektakuläre Dorf in einer unspektakulären Landschaft ist heute ein vielbesuchter Gedenkort für Charles de Gaulle: sein Anwesen La Boisserie, sein Grab, das ausgezeichnete Memorial-Museum und das zu seinen Ehren errichtete Lothringerkreuz mit der Inschrift „Charles de Gaulle, der sein Leben der Größe Frankreichs gewidmet hat“. Das weithin sichtbare 44 m hohe Lothringerkreuz mit seinen zwei Querbalken, das historisch auf das Haus Anjou zurückgeht, war das Zeichen der Résistance-Bewegung und zugleich das Gegensymbol zum Hakenkreuz der deutschen Besatzer. 2018 ließ es Präsident Emmanuel Macron in das offizielle Wappen des Élysée-Palastes aufnehmen.

Den Menschen de Gaulle zeichnete eine katholisch-konservative Grundhaltung aus. Seine Kinder hatten ihn zu siezen, und auch die Eheleute untereinander siezten sich. Zuhause trug de Gaulle Anzug und Krawatte, etwas anderes ließ seine strenge Lebensführung nicht zu. „Keine Reden, weder in der Kirche noch anderswo“, hatte er für seine Beerdigung in Colombey angeordnet: „Ich will kein Staatsbegräbnis. Weder Präsident, noch Minister, Politiker oder Amtsträger.“ In aller Stille wollte er gehen.

Colombey-les-Deux-Eglises ist der Ort, für den sich Charles de Gaulle schon früh entschieden hatte. Er war und blieb für ihn Ruhepol – im Leben wie im Tod.