Marie de Sévigné

Grignan, Frankreich

Porträt von Marie de Sévigné

Foto: Wikimedia commons/Claude Lefèbvre, ca. 1665 (Ausschnitt)

Ich schreibe, solange es meiner Feder gefällt, sie regiert.

05.02.1626

17.04.1696

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Schloss Grignan im Südosten Frankreichs ist nicht allein wegen seiner imposanten Anlage eine Reise wert. Auch die bekannteste Briefeschreiberin des 17. Jahrhunderts, Madame de Sévigné, lebte zeitweise in seinen Renaissancemauern. Der Grund der Aufenthalte war ihre abgöttisch geliebte Tochter Françoise Marguerite, seit 1669 verheiratet mit Graf François de Grignan. Die schmerzvolle Trennung von ihr hat die Mutter nie verwunden: „Doch ist es wahr, dass ohne Sie mein Leben verbringen zu müssen, Trauer und Bitternis darüber ausbreitet, an die ich mich nicht gewöhnen kann“, beklagte sie ihr Geschick.

Aber dieser Trennung verdanken wir den größten Teil ihrer weltberühmten Briefe. Die gingen in großer Zahl von Paris oder vom Landsitz in der Bretagne an die ferne Tochter, variantenreich ausgeschmückt mit überschwänglichen Liebesbeteuerungen: „Ich umarme Sie zärtlich und liebe Sie, so sehr man überhaupt lieben kann. Wenn jemand meine Freundschaft wünschte, müsste er sehr zufrieden sein, wenn ich ihn wenigstens so liebte wie Ihr Porträt.“

Viele ihrer Briefe, vor allem jene an andere Adressaten, sind verschollen. Doch über tausend haben die Jahrhunderte überdauert - auch wenn spätere Editionen die Korrespondenz durch Kürzungen und Korrekturen verfälschten. Aber noch immer ist der unverwechselbar natürliche, leichtfüßige Plauderton erkennbar, mit dem die Marquise schon ihre Zeitgenossen und später Voltaire wie Proust faszinierte und Joseph de Maistre zu den Worten hinriss: „Ich hätte die Tochter geheiratet, um die Briefe der Mutter zu bekommen.“

Madame de Sévigné formulierte mit Esprit und heiterer Beschreibungslust, stammte sie doch aus der alteinsessenen Adelsfamilie der Rabutin, die seit jeher für ihren Witz und ihre Schlagfertigkeit bekannt war. „Wenn ich anfange, weiß ich nicht, wohin es führt, ob mein Brief lang oder kurz sein wird; ich schreibe, solange es meiner Feder gefällt, sie regiert“, heißt es in einem Brief an die Tochter. Frei von Bosheit, vermag sie dennoch bei Gelegenheit süffisant auszuteilen,. So etwa gegenüber ihrem Schwiegersohn, der sich offenbar darüber enttäuscht zeigte, dass seine Frau statt des erhofften Stammhalters ein Mädchen geboren hatte: „Frau von Puisieux sagt, dass wenn Sie sich einen Sohn wünschen, Sie sich die Mühe machen sollten, einen zu zeugen. Dies scheint mir der vernünftigste und beste Rat der Welt.“

Ihre Briefe geben einen unschätzbaren Einblick in das aristokratische Leben des 17. Jahrhunderts. „Ich unterhalte mich mit Belanglosigkeiten“, schrieb sie 1675 an ihren Lieblingsvetter Roger de Bussy-Rabutin. „Man verbringt die Zeit mit fünf oder sechs Freundinnen, deren Gesellschaft angenehm ist, und mit tausend kleinen Obliegenheiten, die allerhand zu tun geben; was mich ärgert ist, dass die Tage vergehen, ohne dass man etwas Greifbares vollbringt, und unser armes Leben besteht aus diesen Tagen, und man altert und man stirbt. Ich finde das schlecht eingerichtet, finde das Leben zu kurz.“

Marie de Sévigné schilderte nicht nur ihre körperlichen und seelischen Befindlichkeiten, ihre Theaterbesuche, Reise- und Lektüreeindrücke. Sie reflektierte auch melancholisch über das Menschsein an sich – „Mein Gott, wie zerbrechlich ist alles auf dieser Welt! Und wie schlecht ist uns damit gedient, dass wir so sehr daran hängen.“ Dank ihres Zugangs zum Versailler Hof erfahren wir zugleich viel über das Leben im Umkreis König Ludwigs XIV. Klug beobachtete sie die höfischen Rituale, die Alliancen und Mesalliancen, berichtete über die neueste Mode, den Teint und die Figur der Hofdamen, über Feste, Heiraten, Todesfälle, Feldzüge und politische Ereignisse. Sie war ein gern gesehener Gast in den französischen Adelskreisen. Man schätzte ihre sympathische, geistreiche Konversation. „Unnützes Geschwätz über lauter Nichts, immer ‚ja‘ und ‚nicht wahr‘, Belanglosigkeiten, die keinen Menschen interessieren, sind mir ein Greuel“, schrieb sie allerdings auch.

Marie de Rabutin-Chantal, so ihr Geburtsname, war früh verwaist. Dennoch hatte sie, zunächst bei den Großeltern, dann beim Onkel, eine umhegte Kindheit und eine sorgfältige Bildung genossen. Mit 18 Jahren wurde sie an den Marquis Henri de Sévigné verheiratet. Der aber hatte nichts Besseres zu tun, als das Vermögen seiner Gattin auf den Putz zu hauen und sich in Affären zu stürzen. 1651 kam er wegen einer Geliebten in einem Duell um - und hinterließ eine 25-jährige Witwe mit dreijährigem Sohn und fünfjähriger Tochter. Madame de Sévigné blieb fortan unverheiratet und auf Distanz zu den zahlreichen Bewerbern um ihre Gunst. „Sie sind wohl die Einzige im ganzen Königreich, die ihre Verehrer so zu zähmen versteht, dass sie sich mit Freundschaft begnügen,“ bemerkte ihr Vetter de Bussy anerkennend.

Stattdessen konzentrierte sie ihre emotionale Energie geradezu obsessiv auf die schöne Tochter, die in der Provence verschwenderisch Hof hielt. Deren Wohlergehen galt ihr ganzes Bestreben. „Ich denke andauernd an Grignan, an Euch und an Eure Terrassen mit dem wunderschönen triumphierenden Blick.“ Um ihr nahe zu sein, nahm sie sämtliche Reisestrapazen auf sich. Drei Mal besuchte sie Françoise Marguerite auf Schloss Grignan. Insgesamt erstreckten sich ihre Aufenthalte dort auf über vier Jahre. Ihr rekonstruiertes Appartement befand sich wohl in der obersten Turmetage. Für dessen Ausstattung hatte sie klare Wünsche: „Verhindert bitte, dass mein Bett mit roten Taffetas verunziert wird und denkt daran, die verfluchten Wanzen aus meinem Zimmer zu verbannen: allein der Gedanke an sie bringt mich um.“

Ihr letzter und längster Besuch galt der Pflege der erkrankten Tochter. „Wir frieren hier hundertmal mehr als in Paris,“ klagte sie im Winter 1695, „unsere Tintenfässer sind eingefroren, unsere Finger sind zu steif, um die Feder zu führen; wir atmen Schneeluft.“ Im darauffolgenden Frühjahr starb sie im Alter von siebzig Jahren auf Schloss Grignan. Zufrieden konnte sie sich noch versichern, „dass ich ohne jedes Bargeld, aber auch ohne Schulden sterben werde; das ist alles, worum ich Gott bitte, und genug für eine Christin.“

Eine Grabplatte in der Schlosskirche von Grignan und natürlich ihre lebensvollen Briefe erinnern noch heute an die großartige Madame de Sévigné.

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