Wilhelm II. von Württemberg
Bebenhausen, Deutschland
Wie ich schon erklärt, soll meine Person niemals ein Hindernis sein für die freie Entwicklung der Verhältnisse des Landes und dessen Wohlergehen.25.02.1848
02.10.1921
Zwei deutsche Herrscherfiguren gleichen Namens, die gegensätzlicher nicht sein konnten: Kaiser Wilhelm II. von Preußen und König Wilhelm II. von Württemberg. Natürlich lässt sich die kaiserliche Machtfülle nicht mit den Handlungsspielräumen eines württembergischen Monarchen vergleichen, denn seit der Gründung des Deutschen Reichs 1871 hatten die 25 deutschen Kleinstaaten maßgebliche Souveränitätsrechte an die Zentralmacht in Berlin abgegeben. Aber ein Blick auf die Unterschiede im Amtsverständnis und in der Amtsführung der beiden zeigt dennoch paradigmatisch die prekäre Situation, in der sich der deutsche Hochadel um die Jahrhundertwende befand. Der württembergische König nahm die Zeichen der Zeit wahr, der deutsche Kaiser ignorierte sie.
Wilhelm II. war 1891 seinem verstorbenen Onkel König Karl auf den württembergischen Thron gefolgt. Damals war er bereits fünf Jahre mit seiner zweiten Frau Charlotte zu Schaumburg-Lippe verheiratet. Das einstige Eheglück mit seiner ersten Frau Marie zu Waldeck und Pyrmont war nur von kurzer Dauer gewesen. Sie war 1882 bei der Totgeburt des dritten Kindes gestorben, das zweitgeborene Kind Ulrich hatte nur fünf Monate gelebt. Zurückgeblieben war der damals 34-jährige Witwer, „gebrochen, zerschmettert“, mit der kleinen Tochter Pauline. Seine zweite Ehe mit Charlotte, wohl mehr aus Staatsräson geschlossen, blieb kinderlos.
Wilhelm galt als liberaler, reformbereiter Monarch. Am Stuttgarter Hoftheater, das damals zu den führenden deutschen Bühnen gehörte, kamen moderne Stücke, die andernorts verboten waren, zur Aufführung. Auch der Internationale Sozialistenkongress, an dem August Bebel, Rosa Luxemburg, Lenin und Trotzki teilnahmen, fand 1907 in Stuttgart statt. Kein Wunder, dass man im kaiserlichen Berlin diese „Königliche Republik Württemberg“ mit ihrer irritierenden Liberalität misstrauisch beäugte.
Dem preußischen Militarismus und dem eitlen Gehabe des Kaisers, den er privat nur S.M. nannte, stand Wilhelm zeitlebens distanziert gegenüber. 1909 nach einem Besuch des österreichischen Kaisers Franz Joseph in Friedrichshafen notierte er: „Merkwürdig der Kontrast zwischen diesem so ruhigen, wohlwollenden und gütigen alten Kaiser und unsrem S.M. Voriges Jahr in Schönbrunn war es geradezu überwältigend, als sie vor einander standen und sich beredeten. Bei S.M. alles Pose, man könnte sagen: parvenühaft; bei dem andern alles Würde, Einfachheit und Natur.“
Auch fürs eigene Hofzeremoniell hatte Wilhelm II. nicht viel übrig. Er trat vorwiegend in bürgerlicher Zivilkleidung auf und spazierte mit seinen zwei weißen Spitzen Ali und Rubi wie ein ganz normaler Bürger durch seine Residenzstadt Stuttgart. Das Neue Schloss nutzte er nur für Repräsentationszwecke, privat lebte er im vergleichsweise bescheidenen Wilhelmspalais, einer eher am großbürgerlichen Wohnstil orientierten Stadtvilla. Neben ihrem sozialen und kulturellen Engagement zeigte das Königspaar auch großes Interesse an den technischen Innovationen der Zeit. Und da tat sich Weltbewegendes. Württemberg wurde in jenen Jahrzehnten mit Gottlieb Daimler und Ferdinand von Zeppelin zum Geburtsland des Automobils und des Luftschiffs. Als erste gekrönte Häupter wagten sich Wilhelm und Charlotte mit dem Luftschiff auf einen Rundflug über den Bodensee.
Aber auch Württemberg, das „Land der gemütlichen Gegensätze“, wie der preußische Gesandte es einmal bezeichnete, geriet in den Sog des verlorenen Weltkriegs. Die Monarchie hatte ausgedient. Im November 1918 hissten die Revolutionäre auf dem Wilhelmspalais die rote Fahne, in erster Linie nicht als Protest gegen die Person des Königs, sondern als Protest gegen das monarchische Prinzip, für das er stand. „Es war trotz allem eine merkwürdige Disziplin in der Masse“, schrieb Wilhelm II. Als er am Abend sein Haus und Stuttgart für immer verließ, fuhr er „erhobenen Hauptes vorne vom Haus ab, mitten durch die Menge und kein Mensch belästigte uns.“
Anders als sein kaiserlicher Namensvetter, der sich eiligst aus dem Staub ins holländische Exil gemacht hatte, blieb Wilhelm seiner württembergischen Heimat treu und zog sich nach Bebenhausen und Friedrichshafen zurück. „Ich heiße jetzt Wilhelm Herzog zu Württemberg“, schrieb er an einen Freund. „Es ist der alte Name meines Hauses, ehe uns von Napoleon I. die Königskrone aufgestülpt wurde, die sich nun zur Dornenkrone entwickelt hat.“ Im Gegensatz zum Kaiser, der eine kühle Thronverzichtserklärung abgab, wandte sich Wilhelm mit einem „Scheidegruß“ direkt an sein Volk. „Wie ich schon erklärt, soll meine Person niemals ein Hindernis sein für die freie Entwicklung der Verhältnisse des Landes und dessen Wohlergehen“, heißt es da, „erst mit meinem letzten Atemzuge wird meine Liebe zur teuren Heimat und ihrem Volke erlöschen.“
Das Jagdschloss in Bebenhausen, wohin sich das Königspaar anschließend zurückzog, war bereits im 19. Jahrhundert von Wilhelms Vorgängern in einem Nebengebäude der mittelalterlichen Klosteranlage ausgebaut worden. Hier hatten sich Wilhelm und Charlotte, beide begeisterte Jäger, viele Jahre lang im Spätherbst zur Jagdsaison aufgehalten. Das Jagdschloss macht seinem Namen alle Ehre. Überall, bis ins Kuriose gesteigert, begegnet man Hirschgeweihen aller Art. Nicht nur im sogenannten Hirschgang mit den aufgereihten Jagdtrophäen, auch Bilderrahmen, Deckenleuchten, Möbel, Servierplatten oder Rauchutensilien sind aus Hirschgeweihen gefertigt. Darüber hinaus sind die Hirschstangen bekanntlich im württembergischen Wappen präsent. In der Einrichtung im Stil des Historismus mischen sich Elemente der Gotik, Renaissance und des Jugendstils. Die Empfangsräume – der Grüne Saal, der Blaue Saal und der Rote Saal – liegen im Erdgeschoss. Im Obergeschoss befinden sich die Privaträume des Königspaars, das Schlafzimmer, Arbeitszimmer, Lesezimmer, Musikzimmer und das erstaunlich hell und modern anmutende Ankleide- und Badezimmer Charlottes.
Wilhelm blieben nach seiner Abdankung nur noch wenige Jahre Lebenszeit. Er verstarb in Bebenhausen mit 73 Jahren. Begraben ist er nicht etwa in der königlichen Fürstengruft im Ludwigsburger Schloss, sondern wie ein Bürger auf dem städtischen Friedhof in Ludwigsburg. Auf seinen Wunsch hin sollte der Leichenzug nicht durch Stuttgart geführt werden, das er seit seiner „Vertreibung“ nie mehr betreten hatte, „nicht aus Bitterkeit, sondern weil ich das Gefühl habe, dass ich dort nicht mehr hingehöre.“
Mit Wilhelm II. verließ die über 800-jährige Dynastie der Württemberger die politische Bühne. Der Hirsch, das Wappentier Württembergs, und die drei schwarzen Hirschstangen im württembergischen Stammwappen sind auch heutzutage noch Elemente des Landeswappens von Baden-Württemberg. Sie erinnern wie auch das Schloss Bebenhausen an den vierten und letzten württembergischen König, der wie sein Vorfahr Eberhard im Bart vom Volk als „Württembergs geliebter Herr“ verehrt wurde.