Le Corbusier

Paris, Frankreich

Foto: Creative commons/Joop van Bilsen/Anefo, 1964 (Ausschnitt)

Ein paradiesisches Zuhause, alles ist Himmel und Licht, Raum und Einfachheit.

06.10.1887

27.08.1965

www.fondationlecorbusier.fr

Charles-Édouard Jeanneret-Gris, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Le Corbusier, war einer der markantesten und einflussreichsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Er war überzeugt: „Nichts kann weitergegeben werden, außer der noblen Frucht der Arbeit und dem Gedanken. Alles andere verschwindet, das ist das Gesetz des Lebens.“ Und er hat es geschafft. Insgesamt siebzehn seiner Bauten in unterschiedlichen Ländern gehören seit 2016 zum Unesco-Weltkulturerbe, darunter zwei Gebäude der Stuttgarter Weißenhofsiedlung, die Cité Radieuse in Marseille, der Kapitol-Komplex im indischen Chandigarh und sein großartiges Spätwerk, die Wallfahrtskirche von Ronchamps. Aber auch das Gebäude, in dem er über dreißig Jahre lang lebte und arbeitete, reiht sich in die Unesco-geadelten Bauwerke ein.

Das „Immeuble Molitor“ liegt im Westen von Paris. Le Corbusier hat das Mehrfamilienhaus 1931 bis 1934 zusammen mit seinem Cousin und Büropartner Pierre Jeanneret entworfen. Es gilt als weltweit erstes Haus mit durchgängiger Glasfassade. Ganz oben, im siebten und achten Stock, bezog er 1934 zusammen mit seiner Frau Yvonne Gallis die 240 m² große Penthouse-Wohnung. Sie verkörpert geradezu idealtypisch Le Corbusiers Fünf-Punkte-Programm einer neuen Architektur: freie Fassadengestaltung, freie Grundrissgestaltung, freistehende Stützen, Langfenster und Dachgarten.  

Die vorbildlich restaurierten Räume, die sich um einen Innenhof gruppieren, sind heute wieder im Originalzustand von 1965, dem Todesjahr Le Corbusiers, zu besichtigen. Doch etwas stört. Die erdrückende Nähe des Stadionkolosses Stade Jean-Bouin auf der Westseite des Gebäudes verdeckt seit geraumer Zeit den Blick auf Paris und den Eiffelturm. Wie hätte diese Übergriffigkeit wohl auf Le Corbusier gewirkt, dem die Verbindung zwischen Innen und Außen für die Wohnatmosphäre seiner Bauten so wichtig gewesen war.

Betritt man die Wohnung, gelangt man rechts durch eine überdimensionale Schiebetür in den Arbeitsbereich Le Corbusiers. Sein hohes, überkuppeltes Atelier wird im Osten und Westen von Langfenstern, im Norden zum Nachbargebäude von einer unverputzten Ziegelwand begrenzt. Hier hat der Hausherr vormittags gemalt und sich am Nachmittag seiner Arbeit als Architekt gewidmet. Auch wenn er weniger durch seine Bilder als durch seine Bauten berühmt geworden ist, nahm die Malerei dennoch eine wichtige Rolle in seinem Leben ein. Ein kleines Arbeitszimmer schließt sich an. Über vierzig Bücher hat der Architekt, Stadtplaner, Maler, Möbeldesigner und Architekturtheoretiker Le Corbusier im Laufe seines Lebens verfasst.

Linkerhand vom Eingang geht es in den Wohnbereich des Paares. Dort steht auch Le Corbusiers legendärer Sessel LC2, ein bis heute beliebter Designklassiker aus den 1920er Jahren. Vor dem nach Osten liegenden Ess- und Schlafbereich verläuft ein langer, schmaler Balkon. Das farbkräftige Schlafzimmer ist einer der ungewöhnlichsten Räume des Appartements. Le Corbusier hat sich hier angeblich von den Kabinen eines Ozeandampfers inspirieren lassen. Hinter der gelben Tür versteckt sich ein hoher Spiegel. Ein auf Metallpfosten stehendes, irritierend hohes Bett ermöglichte dem Hausherrn den Blick ins Weite bis hinüber zum Bois de Boulogne. Die gesamte Wohnung ist nicht auf großbürgerliche Repräsentation hin angelegt, die Anordnung der Räume folgt vielmehr praktischen und funktionalen Wohnbedürfnissen. Beispielsweise ist die Küche über einen Gang mit dem Zimmer des Dienstmädchens verbunden. So konnte es ungestört seiner Arbeit nachgehen, ohne die Privatsphäre der Eheleute zu stören.

Eine gewundene Treppe führt ins obere Stockwerk hinauf zur Dachterrasse und zum Gästezimmer, das vor allem für die Besuche von Le Corbusiers Mutter eingerichtet worden war. Auf der Terrasse mit eindrucksvollem Panoramablick ließ der Architekt der Natur freien Lauf. Insekten, Vögel, Wind, Sonne, Regen und nicht der Mensch sollten seiner Meinung nach die Gartengestalter sein.

Le Corbusier hatte ein experimentelles Verhältnis zu dieser Wohnung, über die er schwärmte: „Ein paradiesisches Zuhause, alles ist Himmel und Licht, Raum und Einfachheit.“ Immer wieder veränderte er die Wandfarben und tauschte Materialien aus. Heute gleicht die Wohnung in ihrer Klarheit und Strenge viel mehr den puristischen Bauideen der Moderne als zu Lebzeiten des Architekten. Die ausgestellten historischen Fotografien belegen es. Le Corbusier, seine Frau Yvonne und ihr Hund Pinceau lebten keineswegs so karg wie es uns der heutige Zustand suggerieren möchte. Bilder, Accessoires, Kunstobjekte, Sammelstücke aus der Natur belebten das Interieur. Auch den ehemaligen Zustand des Ateliers kann man wohlwollend nur als kreatives Durcheinander bezeichnen.

Das Appartement ist ein faszinierendes Beispiel für Le Corbusiers Vision modernen Wohnens gemäß seinem Credo: „Die wesentlichen Elemente des Städtebaus sind Himmel, Raum, Bäume, Stahl und Zement, in dieser Reihenfolge und in dieser Hierarchie.“ Gestorben ist Le Corbusier an einem Herzschlag beim Schwimmen im Mittelmeer. Dort an der französischen Riviera verbrachte er viele Jahre lang die Ferien in einem minimalistisch eingerichteten Holzhäuschen. Dass diese Hütte („Le Cabanon“) heute ebenfalls zum Unesco-Weltkulturerbe gehört, das muss man erstmal schaffen.

Le Corbusiers „Le Cabanon“ in Roquebrune-Cap-Martin hat eine eigene Geschichte. Und die ist eng mit seiner Architekturkollegin Eileen Gray verbunden.