Otto Dix
Hemmenhofen, Deutschland
Ich bin verbannt worden in die Landschaft.02.12.1891
25.07.1969
Ein Großstadtmaler auf dem Lande – davon erzählt das Haus von Otto Dix in Hemmenhofen am Bodensee. Er, der als herausragender Vertreter der Neuen Sachlichkeit galt und dessen Bilder aus den 1920er Jahren schonungslos die Schrecken des Krieges und den fiebrigen Geist der Nachkriegszeit eingefangen hatten, landete notgedrungen in diesem südlichsten Zipfel Deutschlands, den er „zum Kotzen schön“ fand.
Die Nationalsozialisten, 1933 gerade an die Macht gekommen, kündigten Otto Dix fristlos seine Professur an der Dresdner Kunstakademie, stellten seine Werke 1937 in der Münchner Ausstellung „Entartete Kunst“ an den Pranger und ließen 260 seiner Bilder aus deutschen Museen entfernen. Als Begründung hieß es: „Abgesehen davon, dass sich unter Ihren Bildern solche befinden, die das sittliche Gefühl aufs Schwerste verletzen und damit den sittlichen Wiederaufbau gefährden, haben Sie Bilder gemalt, die geeignet sind, den Wehrwillen zu beeinträchtigen. Danach bieten Sie nicht die Gewähr dafür, dass Sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten.“
Viele dieser Bilder sind bis heute verschollen, viele konnte Dix in einem Versteck in Sicherheit bringen. Und auch Dix selbst musste sich in Sicherheit bringen. Er floh nicht wie die meisten seiner Künstlerkollegen ins ausländische Exil, sondern fand mit seiner Frau Martha und den Kindern Nelly, Ursus und Jan zunächst im Hegau Zuflucht, bis 1936 eine Erbschaft Marthas den Bau eines eigenen Hauses möglich machte. In Hemmenhofen an einem Hang mit Seeblick entstand ein stattliches, hellverputztes Landhaus mit tiefgezogenem Walmdach und umlaufendem Holzbalkon. Architekt war der Dresdner Arno Schelcher, der einige Jahre zuvor bereits das Hiddenseer Sommerhaus Gerhart Hauptmanns durch einen Neubau erweitert hatte.
Das grelle Großstadtmilieu, das Dix in seinen Werken provokativ in Szene gesetzt hatte, war nun Vergangenheit. Dix musste – um nicht ins Visier der nationalsozialistischen Kulturschergen zu geraten – seinen Malstil und seine Themen radikal ändern: „Ich bin verdammt worden in die Landschaft“, kommentierte er den künstlerischen Wandel.
Waren es früher Huren, Kriegskrüppel, Bettler und abgetakelte Damen gewesen, die ihn künstlerisch interessierten, so prägten nun Landschafts- und später auch religiöse Motive seine Bildsprache. Der „Wirklichkeitsmensch“, wie er sich selbst bezeichnete, hatte sich von den hässlichen, grotesken Seiten des urbanen Lebens abgewandt, die ihn berühmt gemacht hatten. „Ich müsste in der Großstadt sein. Ich stehe vor der Landschaft wie eine Kuh“, so beschrieb Dix das Lebensgefühl am Bodensee. Sein Credo blieb auch dort „Trau deinen Augen“. Sogar im Auto. Diese Eigenschaft des genauen Hinschauens machte ihn zu einem miserablen Autofahrer, der am Steuer seine Maleraugen zum Schrecken der Familie ständig nach links und rechts wandern ließ.
Die vom Zugriff der Nazis geretteten Bilder fanden damals an den Wänden seines Hemmenhofener Domizils eine neue Heimstatt. Heute in blassen Grautönen als Reproduktionen erkennbar, wirken sie in der ländlichen Bodensee-Idylle wie Schattenbilder aus einer anderen Welt. Die berühmten Originale sind längst in den großen Museen zuhause, zuvorderst im Stuttgarter Kunstmuseum mit seiner weltweit umfassendsten Dix-Sammlung.
Martha konnte beim Klavierspiel auf das „Großstadt“-Triptychon (1927/28) schauen, im Esszimmer begleitete das Kriegsbild „Triumph des Todes“ (1934) die Familienzusammenkünfte, und geht man über die massive Holztreppe nach oben, passiert man das im Original grellrote Bildnis der Anita Berber (1925). Im ersten Stock lagen die elterlichen Schlafräume und das Atelier mit dem großen nach Osten ausgerichteten Fensterkasten. Das ausgebaute Dachgeschoss war das Reich der drei Kinder. Noch heute sind viele Originalmöbel erhalten, unter anderem das von Tochter Nelly bemalte Himmelbett und der bemalte Kachelofen im Wohnzimmer. Sogar die Kellerwände wurden anlässlich einer Fastnachtsparty von Dix und seinen Gästen mit Phantasiefiguren verziert.
Auch nach Kriegsende blieb Otto Dix am Bodensee, wechselte allerdings immer wieder durch Fahrten nach Dresden zwischen Stadt und Land. Dort wartete nicht nur weiterhin ein kleines Atelier, sondern auch seine langjährige Geliebte Käthe König mit der gemeinsamen Tochter Katharina. Ein Pendler zwischen Ost und West, der sich auch als Maler nicht eindeutig zugehörig fühlte. In Westdeutschland dominierte inzwischen die abstrakte Kunst, in Ostdeutschland der sozialistische Pathosrealismus. Mit beidem fremdelte Otto Dix. Als der künstlerische Chronist der Weimarer Republik blieb er zwar geachtet und respektiert, seine späteren Landschaftsbilder hingegen fanden in der Kunstszene weniger Beachtung. Begraben ist Otto Dix in Hemmenhofen, wie übrigens auch der „Brücke“-Maler Erich Heckel.
In den wirtschaftlich schwierigen Jahren hätte Martha Dix gerne mit einem Café zum Lebensunterhalt der Familie beigetragen. Wenn sie wüsste, dass heute in ihrem Wohnzimmer ein kleines Museumscafé eingerichtet ist, in dem die Gäste der Lebenswelt der Familie Dix nachspüren und sich noch immer anrühren lassen können vom Panoramablick auf die beschauliche Landschaft des Untersees.