Gerhart Hauptmann

Kloster (Hiddensee), Deutschland

Foto: Wikimedia commons/Charles Scolik (Ausschnitt)

Ich bin für Kompromisse, weil ich die äußere Bequemlichkeit brauche, um mich meinen inneren Gegensätzen widmen zu können.

15.11.1862

06.06.1946

www.hauptmannhaus.de

„Einen schöneren Kopf gibt’s kaum“, bescheinigte ihm der Maler Max Liebermann, „herrlich als Erscheinung“, schwärmte Stefan Zweig, „pompös“, fand ihn Gottfried Benn, die Schauspielerin Asta Nielsen bewunderte seine „hohe, kräftige Gestalt“ und Thomas Mann porträtierte ihn nicht gerade schmeichelhaft im „Zauberberg“ als stammelnden, trinkfreudigen Mynheer Peeperkorn. Ja, Gerhart Hauptmann hatte das Auftreten und die Erscheinung eines Dichterfürsten. Seit 1912 war er sogar Nobelpreisträger. Und da kam es ihm sehr zupass, dass sich mit zunehmendem Alter sein Aussehen immer mehr dem des andern deutschen Dichterfürsten – Goethe – anglich. Und wie sein Vorbild pflegte auch Hauptmann einen repräsentativen Lebensstil mit Dienstboten und Wohnkomfort.

Das schlossartige Gebäude „Wiesenstein“ im schlesischen Agnetendorf bewohnte er seit 1901. Sein zweites Domizil, das Sommerhaus „Seedorn“ auf der Ostseeinsel Hiddensee erwarb er 1930 im Alter von fast siebzig Jahren. Bereits zuvor hatte er viele Jahre mit seiner Geliebten und späteren zweiten Ehefrau Margarete Marschalk die Sommerwochen auf Hiddensee verbracht. Das auf einem Hügel liegende Haus „Seedorn“ in der Ortschaft Kloster war 1920 von einem Berliner Fabrikanten in Auftrag gegeben worden. Hauptmann ließ es 1930/31 durch einen eingeschossigen Backsteinanbau erweitern. Architekt war Arno Schelcher, der später auch von Otto Dix für dessen Hausbau am Bodensee beauftragt wurde. Ein Verbindungsgang, der „Kreuzgang“, führt vom Altbau in den Neubau. Dort liegt das weitläufige Arbeitszimmer des Hausherrn und das „Abendzimmer“. Unter dem „Kreuzgang“ erstreckt sich der imposante Weinkeller, in dem für jeden Sommeraufenthalt rund 450 Flaschen in Tonröhren eingelagert wurden. Diese beeindruckende Menge musste jedes Jahr auf die Insel verfrachtet werden. Nicht von ungefähr hieß es damals bei den Hiddenseern, dass der Sommer beginne, wenn Hauptmanns Weinlieferung ankomme, und ende, wenn sein Weinkeller leer sei.

Das Haus und die Inneneinrichtung sind original erhalten. Hauptmann umgab sich gern mit seiner Bibliothek und seiner Kunstsammlung, darunter Werke von Käthe Kollwitz und Georg Kolbe. Im Obergeschoss liegen die einfach eingerichteten Schlafzimmer des Ehepaars, die durch ein Fensterchen in der Zwischenwand miteinander verbunden sind. Hauptmann hatte die Angewohnheit, seine nächtlichen Gedanken mit Bleistift auf die Wand zu kritzeln. „Es lohnt nicht mehr“ ist da zu lesen oder „Reden entfernt“.

Bis 1943 war Hiddensee die Sommerheimat der Hauptmanns, „nur stille, stille, dass es nicht etwa zum Weltbad werde“, hatte der Dichter einmal beschwörend geschrieben. Denn auch andere Prominente wie etwa Asta Nielsen, Albert Einstein, Hans Fallada, Sigmund Freud, Lion Feuchtwanger oder Ernst Barlach wussten die Abgeschiedenheit und Ursprünglichkeit der Insel zu schätzen. Dennoch, Hauptmann war der unangefochtene „König von Hiddensee“. Das bekamen 1924 auch Thomas Mann und seine Familie zu spüren, die dort zeitgleich mit den Hauptmanns urlaubten und indigniert feststellen mussten, „dass für uns dort wenig Aufmerksamkeit abfiel“, so Katia Mann in ihren Memoiren.

Hauptmann unterzog sich auch in seinem Sommerdomizil einem festgelegten Tagesablauf. Nach frühmorgendlichem Bad in der Ostsee und anschließendem Frühstück machte er sich mit einem Notizbuch zu seinem „Produktivspaziergang“ auf. Erst nach dem Essen, langem Mittagsschlaf und anschließendem Kaffee ging es ans Werk. Wie Goethe pflegte er gewöhnlich beim Diktieren auf und ab zu schreiten. Zum Tagesausklang versammelte man sich mit einem kleinen Gästekreis im „Abendzimmer“.

Dieses wohlsituierte Leben hatte es so nicht immer schon gegeben. In jungen Jahren war Hauptmann orientierungs- und erfolglos herumgedriftet, hatte alle Versuche, als Bildhauer, Landwirt, Zeichner oder Student Fuß zu fassen, nach kurzer Zeit abgebrochen. Erst die Ehe mit der vermögenden Marie Thienemann, aus der drei Söhne hervorgingen, und die ersten Bühnenerfolge mit sozialkritischen Theaterstücken verschafften ihm komfortablere Lebensumstände.

Gerhart Hauptmann gilt als der bedeutendste Dichter des deutschen Naturalismus, der erstmals das kleinbürgerlich-proletarische Milieu, dessen Nöte sowie dessen Alltagssprache, auf die Bühne gebracht hat. Wie die „Arme-Leute-Malerei“ Max Liebermanns waren damals auch Hauptmanns „Arme-Leute-Dramen“ ein Novum, das im provokativen Gegensatz zum Kunstgeschmack Kaiser Wilhelms II. stand. Einen Großteil seines Erfolgs und Reichtums verdankte Hauptmann seinen Sozialdramen „Vor Sonnenaufgang“, „Die Weber“ und „Der Biberpelz“. Irgendwann hatte sich die naturalistische Kunst dann aber überlebt und der Dichter wandte sich anderen Stilrichtungen wie der Neuromantik sowie historischen Stoffen zu.

Sowohl im Kaiserreich und in der Weimarer Republik als auch im Nationalsozialismus verstand es Hauptmann gekonnt, seine herausgehobene Position als Großschriftsteller zu kultivieren und zu zelebrieren. „Was kann mir schon passieren?“, fragte er sich angesichts Hitlers Machtergreifung 1933. „Außerdem habe ich für jede Partei ein Stück geschrieben.“ Sein Durchlavieren im Nationalsozialismus brachte ihm die Gegnerschaft so mancher Künstlerkollegen ein, die sich im Gegensatz zu ihm ins Exil gerettet hatten. Thomas Mann hingegen verteidigte ihn: „Ich kann es dem alten Hauptmann nicht übelnehmen, dass er schweigt. Was soll er sich um Habe und Vaterland reden?“ Obzwar kein Parteimitglied, war Hauptmann zweifellos nationalistisch gesinnt. Öffentlich positionierte er sich nie gegen die Nazis. „Ich bin für Kompromisse, weil ich die äußere Bequemlichkeit brauche, um mich meinen inneren Gegensätzen widmen zu können.“ Diese Aussage erklärt vermutlich am besten Hauptmanns vage Haltung im Dritten Reich.

Der Dichter verstarb 1946 in seinem Haus „Wiesenstein“. Die Vertreibung aus dem bereits polnisch verwalteten Schlesien blieb ihm gerade noch erspart. Ein Sonderzug überführte seinen Sarg Richtung Hiddensee, wo Hauptmann auf dem Inselfriedhof in Kloster bestattet wurde. Efeu umrankt sein Grab, ein Ableger vom Landsitz George Washingtons. Hauptmann hatte ihn auf seiner USA-Reise 1932 geschenkt bekommen, noch heute gedeiht er prächtig auf der Terrasse von Haus „Seedorn“.