Victor Horta
Brüssel, Belgien
Ein teurer Spaß.06.01.1861
08.09.1947
Dieser belgische Baumeister strebte nach einem neuen Stil, einer „Art nouveau“, Die wollte Schluss machen mit dem düsteren Muff der Gründerzeitarchitektur zugunsten eines hellen, luftigen Raumgefühls. Bereits in jungen Jahren hatte sich in dem Schustersohn Victor Horta die Leidenschaft fürs Bauen geregt. Mit siebzehn ging er nach Paris. In seinen Memoiren schrieb er später: „Mein Aufenthalt in Paris, meine Spaziergänge, meine Denkmalbesichtigungen und Museumsbesuche weckten mein künstlerisches Feingefühl. Keine Schulbildung hätte mich je so anregen und nachhaltig beeindrucken können wie das ‚Lesen‘ von Denkmälern.“
Danach assistierte er Alphonse Balat, dem Architekten des belgischen Königs Leopold II., beim Bau der berühmten Gewächshäuser in Laeken. Hier kam Horta mit den innovativen Materialien Glas und Gusseisen in Berührung, die dann in den 1890er Jahren in seinen Bauwerken eine so dominante Rolle spielen sollte. Es war ein damals mutiger, ja revolutionärer Schritt, Materialien, die bisher nur in der Industriearchitektur Verwendung gefunden hatten, für den privaten Wohnungsbau zu adaptieren. Vier von Hortas großbürgerlichen Brüsseler Häusern gehören heute zum Unesco-Weltkulturerbe: Hôtel Tassel, Hôtel Solvay, Hôtel van Eetvelde sowie Hortas eigenes Wohn- und Atelierhaus.
Seine Erfolge hatten es Horta ermöglicht, 1898 in der Rue Américaine zwei schmale Grundstücke zu erwerben. Damit ließ sich sein privates und berufliches Leben durch den Bau zweier nebeneinanderliegender Häuser ideal verbinden. Bereits die Fassadengestaltung macht die unterschiedlichen Funktionen deutlich. Die Architekturwerkstatt ist an den großzügigen Fensterfronten zur Straßenseite hin zu erkennen. Zwar fügen sich die Steinfassaden harmonisch in die Nachbargebäude ein, ihre Modernität aber kommt besonders in den gusseisernen Konstruktions- und Schmuckelementen zum Ausdruck.
Selbstverständlich setzen sich diese Unterschiede zu den damals vorherrschenden historistischen Baustilen auch in der Innengestaltung fort. Zunächst überrascht die Helligkeit, die man in einem so schmalen Reihenhaus nicht erwarten würde. Der Trick des Architekten besteht darin, eine durch alle Stockwerke hindurchführende Haupttreppe so zu positionieren, dass über einen glasüberdachten Lichtschacht natürliches Tageslicht in das Gebäudeinnere geleitet wird. Auch die offene Grundrissgestaltung steht im Gegensatz zu den abgetrennten Zimmern der damaligen Gründerzeitarchitektur. Eisen wird zum tragenden statischen Element, das fließende Raumübergänge ohne Zwischenwände ermöglicht.
Neben Eisen und Buntglas verwendete Horta auch Edelhölzer und Marmor. Im Speisezimmer kombinierte er nüchterne weißglasierte Fliesen an Decke und Wänden mit edlem Eichenparkett und marmornem Mosaikfußboden. Im Schlafzimmer bezaubert die Tulip-Tapete von William Morris. Auch Möbel, Türklinken, Fenstergriffe, Lampen und Beschläge entwarf der Hausherr selbst. Sein Designstreben erweiterte er allerdings nicht wie sein belgischer Kollege Henry van de Velde auf Geschirr, Tapeten oder gar Kleidung. Dennoch, alle Details sind behutsam aufeinander abgestimmt und fügen sich harmonisch ineinander. Das Interieur zitiert die Natur auf vielfältige Weise: Florale Muster, geschwungene Linien, Arabesken, Ranken, Schnörkel. Die Formsprache des Jugendstils ist ein einziges Schwingen und Fließen. Ein Haus soll das „Porträt“ seines Bewohners sein, das „Abbild des Menschen, der dort leben wird“, war Hortas Devise.
Nicht nur Hortas Wohn- und Arbeitsräume, auch die Dienstbotenzimmer im Dachgeschoss oder etwa das Nähzimmer und die Küche sind sorgfältig durchgestaltete Räume, ausgestattet mit moderner Technik wie elektrischem Licht und Zentralheizung. Insgesamt drei Treppenhäuser ermöglichten es der Familie, den Dienstboten sowie den Angestellten des Architekturbüros, sich unabhängig voneinander in den Räumen zu bewegen. Zwar war das alles „ein teurer Spaß“ wie Horta bilanzierte, aber entstanden ist ein von Schönheit und Ruhe erfülltes Heim, das Schutz bot vor den Zumutungen der modernen industrialisierten Welt.
1906, nach der Scheidung von seiner ersten Frau Pauline Heyse, erweiterte Victor Horta die beiden Gebäude zur Gartenseite hin, wohl auch um seiner Tochter Simone mehr Wohnkomfort zu ermöglichen. Nach dem Ersten Weltkrieg verkaufte er die beiden Häuser und zog mitsamt Mobiliar in ein neoklassizistisches Haus. Das heutige Museum versammelt nun wieder zahlreiche Originale aus Hortas Wohnung sowie aus anderen von ihm gestalteten Gebäuden und erreicht so eine in sich stimmige Wirkung.
Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts hatte sich für Victor Horta die „Art nouveau“ überlebt. In wenigen Jahren war es dem Pionier des Jugendstils gelungen, in seinen Bauten eine Meisterschaft zu erlangen, die sich offensichtlich nicht noch weiter perfektionieren ließ. Hortas Architekturgeschmack tendierte nun in Richtung Klassizismus und Art Déco. Bedauerlicherweise entschied er sich gegen Lebensende, den Großteil seines Archivs zu vernichten. Was für ein Glück, dass dennoch dieses Jugendstil-Juwel bewahrt werden konnte und wir heute ein kostbares Zeugnis von Hortas Baukunst bestaunen können.