Federico Garcia Lorca
Granada, Spanien
Wenn ich sterbe, lasst den Balkon geöffnet.05.06.1898
19.08.1936
1936, im Todesjahr Federico Garcia Lorcas, lag das Sommerhaus der Familie Lorca noch am Stadtrand von Granada. Der Vater, ein wohlhabender Landwirt, hatte 1925 die Huerta de San Vicente für die Sommeraufenthalte seiner Familie erworben. Hier, inmitten von Obstbäumen und Feldern, war es leichter, der glühenden Hitze der Stadt zu entfliehen. Federico Garcia Lorca, der wohl bekannteste Dichter und Dramatiker der modernen spanischen Literatur, verbrachte mit seinen Eltern und den drei Geschwistern viele sommerliche Tage in der ländlichen Idylle Andalusiens. In diesem schlichten, weißgetünchten Landhaus, damals umgeben von üppiger Vegetation, sind viele seiner Werke entstanden. „Im Garten blühen so viel Jasmin und Nachtschatten, dass wir alle am Morgen unter lyrischem Kopfschmerz leiden“, schrieb Lorca an seine Freunde.
Die Unbeschwertheit dieser Zeit lässt sich in den original erhaltenen Räumen noch immer erahnen. Das Esszimmer mit dunklen spanischen Holzmöbeln, das Wohnzimmer mit dem Flügel, an dem der musisch begabte Sohn viele Stunden verbrachte, das alles spricht von einem geselligen Miteinander. Im Obergeschoss lagen die Schlafräume der Familie. Federico bewohnte ein kleines Zimmer mit nicht viel mehr als Bett und Schreibtisch. Ein schmaler Balkon mit schmiedeeisernem Geländer öffnet den Raum nach draußen, ganz wie in Lorcas Gedicht „Despedida“ (Abschied):
„Wenn ich sterbe, lasst den Balkon geöffnet.
Das Kind isst Orangen (Von meinem Balkon aus seh ich’s).
Der Schnitter mäht das Korn (Von meinem Balkon aus spür ich’s).
Wenn ich sterbe, lasst den Balkon geöffnet.“
Doch sein Sterben entbehrte jeglicher Poesie. Um das Haus, in das Lorca im Juli 1936 aus dem damals noch sicheren Madrid anreiste, zogen sich Schatten. Federico hatte vor, den Sommer bei seinen Eltern zu verbringen, aber am 18. Juli putschte das Militär unter General Francisco Francos Kommando gegen die noch junge spanische Republik. Es war der Beginn des Spanischen Bürgerkriegs, der das Land in die bis 1975 herrschende Franco-Diktatur führte.
In Granada konnten die rechtsradikalen Franco-Anhänger schnell Fuß fassen. Nachdem Manuel Fernández Montesinos, sozialistischer Bürgermeister Granadas und Ehemann von Lorcas Schwester Concha, verhaftet worden war, suchte Federico Zuflucht im Haus seines Freundes Luis Rosales. Doch am 16. August, genau an dem Tag, an dem sein Schwager von Francos faschistischer Falange getötet wurde, wurde auch er aufgespürt und verhaftet. Im Morgengrauen des 19. August vermutlich auf der Straße von Viznar nach Alfacar trafen ihn hinterrücks die tödlichen Kugeln. „Paseo“ (Spaziergang) nannten die Schergen zynisch diesen Gang in den Tod. Wie Abertausende seiner republikanisch gesinnten Landsleute wurde auch Federico Garcia Lorca – damals gerade 38 Jahre alt – an Ort und Stelle verscharrt, irgendwo auf den Feldern vor den Toren seiner Heimatstadt Granada. Bis heute gibt es keinen genauen Fundort, keinen Grabstein, nur einen Gedenkstein mit der Aufschrift „Lorca eran todos“ (Alle waren Lorca). Denn genau das, das Vergessen und die Namenlosigkeit der Opfer, war die perfide Absicht der Faschisten – ganz im Gegensatz zu ihrem eigenen pompösen Personenkult, der noch heute im monumentalen „Tal der Gefallenen“ zum Ausdruck kommt.
Doch Lorca, von dem seine Mörder behaupteten, er habe mit der Feder mehr Schaden angerichtet als andere mit dem Gewehr, war damals kein Namenloser. Er war berühmt, charismatisch, als Mensch und Künstler, befreundet mit Salvador Dali, Luis Bunuel, Manuel de Falla und Pablo Neruda. Sein Dichterkollege Rafael Alberti schwärmte bereits nach der ersten Begegnung mit ihm: „An dem ganzen Federico war etwas Magisches, Unwiderstehliches – duende, das gewisse Etwas. Wie sollte man ihn je wieder vergessen, wenn man ihn einmal gesehen und gehört hatte!“
Lorca war nicht politisch aktiv, allein sein Bekenntnis zu Freiheit und Demokratie, seine Kritik an Unterdrückung und Unrecht und freilich auch seine damals gesellschaftlich tabuisierte Homosexualität genügten, um ihn zum Feind der Faschisten zu machen. Zeit seines Lebens war es Lorca nicht möglich gewesen, zu seinem Begehren zu stehen. Homosexualität galt im katholischen Spanien als Todsünde. Er versteckte sie, vor der Öffentlichkeit und vor seiner Familie.
Wie Lorcas Gedichte und Theaterstücke, so hat auch die Huerta de San Vicente die Zeit des Franco-Regimes überdauert. Sie hält gemeinsam mit der Ausstellung im Centro Federico Garcia Lorca mitten in Granada die Erinnerung an den Dichter wach. Aber es ist nicht zu übersehen, das offizielle Erinnerungsbild Lorcas wie auch das der Franco-Ära hat noch immer erstaunlich viele blinde Flecken.