Friedrich Dürrenmatt

Neuchâtel, Schweiz

Porträt von Friedrich Dürrenmatt

Foto: Creative Commons/1989 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de

Man darf sich einfach nicht davor fürchten, die Dinge zu Ende zu denken.

05.01.1921

14.12.1990

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Das Centre Dürrenmatt in Neuchâtel ist ein Glücksfall unter den Künstlermuseen. Dem Schweizer Architekten Mario Botta ist es meisterhaft gelungen, Friedrich Dürrenmatts Lebensthemen kongenial in Architektur zu verwandeln. Sowohl der Turm, das Treppenlabyrinth als auch die tief in den Hang eingegrabenen Präsentationsräume zitieren zentrale Dürrenmattsche Leitmotive. Desgleichen kann die vorgelagerte Terrasse mit Blick auf den Neuenburger See und die Berner Alpen als Anspielung auf Dürrenmatts enge Beziehung zur Theaterbühne verstanden werden. Darüber hinaus betont die Spannung zwischen der dunklen Schieferfassade des Neubaus und der hellen Fassade des ehemaligen Wohnhauses wie auch die zwischen bildnerischem und literarischem Schaffen in der Ausstellungskonzeption die lebenslangen Antinomien Dürrenmatts. Kurz, das ganze Dürrenmatt-Universum wird hier mit allen Sinnen erlebbar.

Dürrenmatts Kunst- und Weltanschauung gründet in der Vorstellung des Paradoxen, denn dem Menschen und der Welt sei nicht mit Logik beizukommen. Allein das Groteske, „ein sinnliches Paradox“, sei der angemessene Ausdruck für eine von Zufall und Fatalität geprägte Welt. „Man könnte sich heute zu Tode ärgern. Aber es hat gar keinen Sinn. Da ist es besser, man lacht sich tot. Wenn man zwischen zwei Todesarten wählen kann“, so Dürrenmatt. Deshalb sei auch die Tragikomödie „die einzig mögliche dramatische Form, heute das Tragische auszusagen.“ Sein vor Katastrophen warnender Pessimismus kulminiert in der Aussage: „Die ganze Welt ist eine riesige Pulverfabrik.“ Und alle rauchen.

Im Gegensatz zu Bertolt Brecht vermitteln Dürrenmatts Werke keine politische oder moralische Botschaft: „Ich bin Diagnostiker und kein Therapeut.“ Sein Werk kreist um Themen wie Schuld, Strafe, Sühne, Gerechtigkeit. Die christliche Imprägnierung im Elternhaus lässt ihn, obzwar bekennender Atheist, auch später nicht los. „Ich hatte mich als Pfarrersohn gut zu benehmen. Es musste gesittet sein. Es wog alles doppelt, was ich tat“, sinniert Dürrenmatt über seine Kindheit in der bäuerlichen Lebenswelt des Emmentals.

Ab 1941 studierte er Literatur, Kunstgeschichte und Philosophie, hin- und hergerissen zwischen seiner Neigung zum Malen und seiner Neigung zum Schreiben. Mit 25 Jahren entschloss er sich, der Universität den Rücken zu kehren, freischaffender Autor zu werden und die Schauspielerin Lotti Geissler zu heiraten. Der Start in die freie Künstlerexistenz war jedoch alles andere als leicht. „Meine Lage als junger Schriftsteller war eine miese.“ Aus finanzieller Not heraus schrieb er Hörspiele und Kriminalromane. Mit „Der Richter und sein Henker“(1950) landete er einen seiner Anfangserfolge. Aber erst mit der Hinwendung zum Theater, das ihm durch die Verbindung von visuellen und sprachlichen Ausdrucksmitteln am meisten entsprach, wurde er weltberühmt. Vor allem seine parabelhaften Theaterstücke „Der Besuch der alten Dame“(1956) und „Die Physiker“(1962) wie auch sein Drehbuch zum Film „Es geschah am hellichten Tage“(1958) waren Höhepunkte seines Schaffens und zugleich Ausdruck seines Existenzgefühls: „Man darf sich einfach nicht davor fürchten, die Dinge zu Ende zu denken.“

Der literarische Erfolg beendete die prekäre finanzielle Lage Dürrenmatts, denn zwischenzeitlich waren auch drei Kinder zu versorgen. Bereits 1952 hatte er teils auf Pump das würfelförmige Haus oberhalb von Neuchâtel erworben. An diesem Ort „hinter dem Mond“ hielt es ihn lebenslang. 1964 kam ein zweites Haus hinzu, das er anfangs nur als Arbeitsort und in den letzten Jahren auch als Wohnort nutzte.

Beide Häuser sind heute in das Museumsensemble eingebunden. Im unteren Haus sind Dürrenmatts original erhaltene Bibliothek und die von ihm farbkräftig ausgemalte Toilette, die sogenannte „Sixtinische Kapelle“, zu besichtigen. Von der Terrasse aus pflegte der Hausherr mit dem Teleskop himmelwärts die Sterne zu beobachten und talwärts die Fußballspiele im Neuchâteler Stadion.

Im oberen Haus ist Dürrenmatts Arbeitszimmer im ursprünglichen Zustand erhalten. Vor dem großformatigen Wandbild „Die Heilsarmee“ seines Freundes Varlin macht sich ein wuchtiger Schreibtisch breit, darauf zwei Papierblöcke – einer zum Malen, einer zum Schreiben. Dürrenmatt hat lebenslang beide Kunstformen ausgeübt. „Meine Zeichnungen sind nicht Nebenarbeiten zu meinen literarischen Werken, sondern die gezeichneten und gemalten Schlachtfelder, auf denen sich meine schriftstellerischen Kämpfe, Abenteuer, Experimente und Niederlagen abspielen.“

Auch seine umfangreiche Schallplattensammlung ist in diesem Raum untergebracht. Ein Drittel davon entfällt auf die „Drei großen B“ – seine Lieblingskomponisten Bach, Beethoven und Brahms. Das vierte „B“ mag für Dürrenmatt wohl der Bordeaux gewesen sein. Obgleich zuckerkrank galt er als genussfreudig, sein Weinkeller war legendär. „Rotwein ist ein gesellschaftsbindendes Mittel. Natürlich: Wenn man zu viel säuft, ist es auch nicht gesund.“

Doch nach dem fulminanten Karrierehoch häuften sich die Misserfolge. Dürrenmatt, der auch selbst Stücke inszenierte, fremdelte zunehmend mit dem neuen politisierten Theater und das Theater mit ihm. „Meine Zeit ist abgelaufen auf dem Theater“, konstatierte er. Und typisch Dürrenmatt: „Durch Zufall kam mein Ruhm zustande, durch Zufall der Abbau des Ruhms.“ Auch der Tod seiner Frau Lotti 1883 stürzte den lebenspraktisch nicht sonderlich begabten Dürrenmatt in eine tiefe Krise.

Nun konzentrierte sich sein Schaffen auf das collagehafte Prosakonvolut „Stoffe“, eine Art Reflexion über sein Leben und Arbeiten. Ein paar Jahre blieben ihm noch mit seiner zweiten Frau Charlotte Kerr, bevor er drei Wochen vor seinem 70. Geburtstag am dritten Herzinfarkt verstarb. Seine Asche wurde unter einem Baum auf dem Neuchâteler Anwesen verstreut.

Dem Centre Dürrenmatt gelingt es eindrucksvoll, sowohl die ehemalige Lebenswelt Dürrenmatts erfahrbar zu machen als auch den Raum zu öffnen fürs Forschen, Lernen und Diskutieren. Wie gesagt, ein Glücksfall.

 

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