Gabriele D’Annunzio

Gardone Riviera, Italien

Foto: Wikimedia commons

Dem Genie und der Lust.

12.03.1863

01.03.1938

www.vittoriale.it

„Meine Liebe und meine Wahrheit sind nicht von dieser Zeit“. In der Tat, staunend und fragend steht man vor diesem Gabriele D’Annunzio, einem sich ganz im Sinne Nietzsches als Übermensch stilisierenden Exzentrikers. Das von ihm erschaffene Domizil „Il Vittoriale“ auf einer Anhöhe über dem Gardasee ist das architektonische Abbild seines exaltierten Geniekults. Die Fülle an echten und kopierten Kunstwerken, an Preziosen und Kitsch, an Sinnsprüchen und kulturgeschichtlichen Zitaten ist gewaltig. Nirgends findet das Auge Halt, ruhelos wandert es von einem Eindruck zum nächsten. Die Sammelwut D’Annunzios bediente sich ohne erkennbaren Plan aus sämtlichen Kulturschätzen der Welt, ein Paradebeispiel für den Eklektizismus um 1900. „Ich benötige aufgrund einer Veranlagung, eines Instinkts, das Überflüssige“, bekannte D‘Annunzio, „all diese schönen und unnützen Dinge, die ich mit tiefster, ruinöser Leidenschaft liebe“, wurden auf seinem neun Hektar großen Anwesen emphatisch in Szene gesetzt.

Gabriele D’Annunzio, berühmter Verfasser sprachtrunkener Gedichte, Dramen und Romane, lebte im Vittoriale von 1921 bis zu seinem Tod 1938. Zuvor hatte das einstmals noch schlichte Landhaus dem Heidelberger Kunsthistoriker Henry Thode und dessen Frau gehört, einer Tochter Cosima Wagners und Hans von Bülows. Im Ersten Weltkrieg war es vom italienischen Staat als Feindesgut beschlagnahmt worden. Das war D’Annunzios Chance, er griff zu. Der Gardasee hatte es ihm schon eine ganze Weile angetan: „Alles ist blau, wie eine unerwartete Trunkenheit, wie ein Kopf, der sich zurücklehnt, um geküsst zu werden. Der See ist von unaussprechlicher Schönheit.“ Um die ehemaligen Besitztümer der Thodes herum – etwa eine wertvolle Bibliothek, ein Porträt Cosima Wagners und ein Steinway-Flügel von Franz Liszt – entwarf D‘Annunzio zusammen mit seinem Architekten Giancarlo Maroni eine imposante Anlage. „Alles hier ist von mir geschaffen und verwandelt“, schwärmte D‘Annunzio. Il Vittoriale sollte seine Schöpfung werden. Bis zu seinem Tod formte und erweiterte er sein Reich nach seinen Vorstellungen: „Ich möchte die Orte erfinden, an denen ich lebe.“

Freilich half der italienische Staatschef Benito Mussolini dabei kräftig nach. D‘Annunzio wurde in  seinem exzessiven Bauvorhaben ebenso wie in seinem luxuriösen Lebensstil finanziell vom faschistischen Staat unterstützt, hoffte man doch, ihn damit politisch endlich ruhigzustellen und von unkontrollierbaren Eskapaden abzuhalten. Denn davon hatte es in der Vergangenheit so einige gegeben. Der glühende Nationalist D‘Annunzio hatte sich mehrfach mit aufsehenerregenden Guerilla-Aktionen ins politische Geschehen eingemischt. Nicht nur sein waghalsiger Propagandaflug 1918 über dem feindlichen Wien, bei dem er Hunderttausende von „Viva-Italia“-Flugblättern abwarf, auch seine heimliche U-Boot-Fahrt in die feindliche Bucht von Buccari, wo er eine spöttische Flaschenpost hinterließ, hatten die Österreicher bis zur Lächerlichkeit blamiert. Sein spektakulärster Coup aber war 1919 die eigenmächtige Einnahme der Adriastadt Fiume, dem heutigen Rijeka. Aus Protest gegen die Weigerung der alliierten Siegermächte, die ehemalige habsburgische Hafenstadt an Italien abzutreten, erhob der „Comandante“, wie er sich fortan nannte, Fiume kurzerhand zum Freistaat. Die dort erschienene Zeitung hatte bezeichnenderweise das passende Motto „Me ne frego“ (Ich pfeif drauf). Eine republikanische Verfassung garantierte jedem Bürger ein Grundeinkommen und erlaubte freie Homosexualität und Drogenkonsum. Sein Sekretär spazierte nackt mit einem gezähmten Adler auf der Schulter durch die Stadt und der Comandante selbst rezitierte von seinem Balkon aus Gedichte. Sechzehn Monate dauerte dieses possenhafte Schauspiel, bis D‘Annunzio sich geschlagen geben musste.

Resigniert zog er sich an den Gardasee zurück. „Ich sehne mich nach so viel Lärm nach Stille und nach so viel Krieg nach Frieden.“ Die Neigung zu heroischen Attitüden ließ ihn aber auch da nicht los. Im Park von Il Vittoriale versammelte er die „Reliquien unseres Krieges“. Da ragt in einer bizarren Szenerie das Schlachtschiff „Puglia“ mitten aus Zypressen und Olivenbäumen hervor, und auch sein legendäres Doppeldecker-Flugzeug und das Torpedoboot MAS ließ er nach Vittoriale schaffen.

D’Annunzio war und blieb ein Abenteurer, auch in seinem Verhältnis zu Frauen. Unzählige Geliebte sollen im Vittoriale ein- und ausgegangen sein. In seinen übervollen Kleiderschränken fand sich so manches Accessoire für erotische Inszenierungen, darunter Negligés und seidene Umhänge, mit denen er seine Gespielinnen im „Zimmer der Leda“ an- und entkleidete. Über der Schlafzimmertür steht dazu passend „Genio et voluptati“ (Dem Genie und der Lust).  Lust war eine zentrale Kategorie seiner Haltung dem Leben gegenüber. Nicht zufällig heißt einer seiner bekanntesten Romane „Piacere“ (Lust). Alle Phänomene, seien es künstlerische, kriegerische oder erotische, wurden ihm zum Medium exquisiter Empfindungen. „Ardisco, non ordisco“ (Ich herrsche nicht, ich glühe) war sein Wahlspruch auf der Fiume-Fahne gewesen. Er gilt für sein ganzes Leben.

Betraten Gäste die „Prioria“, wie D‘Annunzio sein Haupthaus nannte, wurden sie dreist in willkommene und unerwünschte Gäste kategorisiert und dementsprechend in das linke oder rechte Wartezimmer geleitet. Die nachfolgenden Räume umgibt eine lasziv-schwülstige Atmosphäre, verstärkt durch das überall vorherrschende Dämmerlicht. Nur in sein Arbeitszimmer, ein vergleichsweise geordneter und klarer Raum, fließt ungefiltertes Tageslicht. Die Gipsbüste der legendären Schauspielerin Eleonora Duse, mit der ihn in früheren Jahren eine Amour fou verbunden und für die er einige Stücke geschrieben hatte, steht verschleiert in der Nähe seines Schreibtisches.

Irgendwann muss auch einem D’Annunzio der angesammelte Zierrat auf die Nerven gegangen sein. „Ich habe das nahezu tragische Bedürfnis, dieses alte Vittoriale zu verlassen und in einem neuen Haus zu wohnen. Das bedeutet nicht nur Erneuerung, sondern auch Erlösung“, bekannte er seinem Architekten Maroni. Der angegliederte Schifamondo-Flügel wurde in globigem Art-Déco-Stil erbaut, doch D‘Annunzio blieb keine Zeit mehr, ihn zu bewohnen. Er starb 1938 an einer Gehirnblutung. Im mysteriösen „Zimmer des Aussätzigen“ auf einem schmalen Bett, „halb Wiege, halb Sarg“, auf das er sich oft schon zu Lebzeiten meditierend zurückgezogen hatte, wurde er aufgebahrt.

Das pompöse Staatsbegräbnis im Beisein Mussolinis hätte ihm bestimmt gefallen. Auch das Marmormausoleum auf dem höchsten Punkt des Vittoriale-Geländes wäre nach seinem Geschmack gewesen. Dort ruht D‘Annunzio wie auf einer Theaterbühne im Kreise seiner ehemaligen Kampfgefährten. Sein von wuchtigen Säulen getragener Sarkophag steht erhaben über allem und allen. Auch das entspräche seiner pathetischen Selbstinszenierung: ein Übermensch selbst noch im Tod.