Rudyard Kipling
Burwash, England
Ein guter und friedlicher Ort.30.12.1865
18.01.1936
Als Rudyard Kipling 1902 den Landsitz Bateman’s bezog, war er auf dem Höhepunkt seines literarischen Erfolgs. Sein „Dschungelbuch“, während des vierjährigen Aufenthalts in der amerikanischen Heimat seiner Ehefrau Carrie verfasst, hatte sich zu einem Hit entwickelt. Noch heute gehört es, popularisiert durch Walt Disneys Zeichentrickfilm, zu den Klassikern der Kinderliteratur. Auch sein Roman „Kim“ sowie seine Gedichte und Erzählungen hatten zu Kiplings Ruhm beigetragen. Oftmals ist der Zauber der indischen Kolonialwelt deren Reservoir, aus dem sie schöpfen.
Dort in Bombay wurde Kipling 1865 geboren, sein Vater war Lehrer an der örtlichen Kunstschule. In der damaligen britischen Kolonie erlebte Rudyard, umsorgt von einheimischer Dienerschaft, glückliche Kindheitsjahre. Doch die endeten abrupt, als er mit fünf Jahren zur geregelten Schulbildung ins englische Heimatland geschickt wurde. Mit Schrecken erinnerte er sich in seiner Autobiographie an diese Zeit bei ungeliebten Pflegeeltern im „Haus der Trostlosigkeit“. Kaum 17-jährig zog es ihn wieder nach Anglo-Indien, wo er eine Anstellung als Journalist fand. Bald machte er sich mit Reisereportagen und Kurzgeschichten einen Namen. Als er 1889 zurück in den Westen ging, war seine Erzählkunst bereits einer größeren Öffentlichkeit bekannt.
So bekannt, dass Kipling sich in den Folgejahren immer wieder in seinem Privatleben von neugierigen Fans bedrängt fühlte. Als seine erstgeborene Tochter Josephine mit sechs Jahren an einer Lungenentzündung verstarb, hielt die Familie endgültig nach einem neuen, unbelasteteren Lebensort Ausschau. Das Herrenhaus Bateman‘s in der Grafschaft East Sussex erschien den Kiplings als idealer Rückzugsort: „Wir haben es geliebt, seit wir es zum ersten Mal gesehen haben.“
Kipling, durch seine literarischen Erfolge zu beachtlichem Vermögen gelangt, vergrößerte in den darauffolgenden Jahren den Grundbesitz um Bateman’s herum auf 121 Hektar – ein weiträumiger Schutzraum, in dem es sich mit seiner Frau und den Kindern Elsie und John ungestört leben ließ. Und das umso mehr als sich eine Schar von Dienstboten und Farmarbeitern um Haus und Ländereien kümmerte. Kipling liebte die südenglische Landschaft, er ließ Rinder und andere Nutztiere anschaffen, nicht etwa des Profits wegen, sondern einfach weil er deren dekorative Wirkung in der Weidelandschaft schätzte. Die alte Mühle stattete er mit einem kleinen Wasserkraftwerk aus, das Strom für die Glühlampen im Haus lieferte.
Als Kipling 1907 mit nicht mal 42 Jahren als erster britischer Autor den Literaturnobelpreis erhielt, wurden mit dem Preisgeld ein Rosengarten und ein Teich angelegt. An seinem oberen Ende mahnt eine Sonnenuhr: „Es ist später als du denkst.“ Auch Kiplings Rolls Royce kann in der Remise bewundert werden. Der Hausherr erkundete gerne motorisiert und natürlich mit Privatchauffeur die englische Countryside.
Bateman‘s, 1634 aus dem Sandstein, Ton und Eichenholz der Region erbaut, wirkt selbst wie ein Gewächs dieser Landschaft. Das graue Herrenhaus vermittelt noch immer eine gewisse antiquierte Strenge, „mit alten Holzbalken und Paneelen, mit einem alten eichenen Treppenhaus, alles unberührt und echt. Ein guter und friedlicher Ort“, schwärmte Kipling. „Das Schlimmste an dem Ort“ sei nur, „dass er einfach keine modernen Möbel verträgt.“
Bereits die Eingangshalle mit ihrem dunklen, schweren Mobiliar bestätigt dies. Zwei Fensterluken über dem Kamin ermöglichten der Hausherrin Carrie, die eintretenden Gäste prüfend in Augenschein zu nehmen. Kiplings Arbeitszimmer liegt im ersten Stock. Wie zu seinen Lebzeiten ist der mächtige Schreibtisch aus Walnussholz „schrecklich überfüllt“, der Papierkorb quillt über von Manuskriptseiten. „Glücklicherweise war der einfache Akt des Schreibens immer ein körperliches Vergnügen für mich. Dies machte es einfacher, alles wegzuwerfen, was sich nicht richtig entwickelt hatte“, bekannte Kipling. Und vom Wegwerfen soll er angeblich reichlichen Gebrauch gemacht haben.
Kiplings „absolut unheimliches Talent“ wurde von vielen, nicht nur von Henry James, bewundert. „Diese kleine Gestalt mit Brille, Schnauzbart, wuchtigem Kinn“, die mit „lyrischer Wonne über die Klänge und Farben und sogar Gerüche des Empire“ schrieb, so H.G. Wells, war zur damaligen Zeit eine einflussreiche nationale Instanz. „Überschäumende, derbe Vitalität“ bescheinigte auch ein vehementer Kritiker wie George Orwell den Geschichten. „Kipling ist ein fast unanständiges Vergnügen“, so Orwell, „wie der Hang zu billigen Süßigkeiten, dem manche noch in der Lebensmitte heimlich frönen.“ Nichtsdestotrotz beschimpfte er den Berufskollegen als „ordinären Flaggenschwenker“ und „Dichter der Hurra-Schreier“. Kipling galt als vehementer Fürsprecher der englischen Kolonialpolitik. Für ihn war Kolonialismus eine zivilisatorische Aufgabe, die Strenge und Verantwortungsbewusstsein erforderte. Kein Wunder, dass ein ebenfalls glühender Imperialist und England-Fan wie Cecil Rhodes den Gleichgesinnten mehrfach nach Südafrika einlud.
Die Tragödie des Ersten Weltkriegs hinterließ auch in Kiplings Leben schmerzhafte Spuren. 1915 fiel sein 18-jähriger Sohn John auf dem Schlachtfeld. Kipling hatte seinen Einfluss geltend gemacht, damit John trotz starker Kurzsichtigkeit den Militärdienst antreten konnte. Seinem Gedicht „My Boy John“ sind die Trauer und die Selbstvorwürfe anzumerken, die ihn später wohl geplagt haben mögen. Hinzu kam, dass seine Popularität im Schwinden war. Das Empire kriselte und über dessen Propagandisten waren die Zeitläufte hinweggegangen.
Kipling lebte bis zu seinem Tod in Bateman’s. Er starb mit 70 Jahren und ist in Westminster Abbey bestattet. Vor allem seine Kinder- und Jugendbücher sind noch immer beliebt. Sein Landsitz Bateman‘s steht, scheinbar unberührt von der Zeit, zur Besichtigung offen. Sein Garten und die Ländereien lassen sich flanierend oder wandernd durchstreifen. Nur Vorsicht vor FIP. Das war das Kürzel im Gästebuch der Kiplings, wenn mal wieder jemand in den Teich gefallen war: „Fall in the pond“.