Jimi Hendrix

London, England

Foto: Wikimedia Commons/Warner Reprise Records, ca. 1968 (Ausschnitt)

Die Leute sollen etwas Neues hören.

27.11.1942

18.09.1970

handelhendrix.org

Die schlichte Mansardwohnung im Londoner Stadtteil Mayfair war sein „erstes eigenes Zuhause“. So hat er sich angeblich gegenüber seiner damaligen englischen Freundin Kathy Etchingham geäußert. Es sollte in dem kurzen, intensiven Leben des Jimi Hendrix sein einziges eigenes Zuhause bleiben.

In seinem Wohnschlafzimmer wird man richtiggehend hineinkatapultiert in die Sixties von Swinging London. Dabei ist bis auf den ovalen, braungerahmten Spiegel so gut wie alles rekonstruiert. Im Zentrum das breite Bett mit rotem Überwurf, darauf eine Gitarre, das Instrument, aus dem der Ausnahmemusiker einen bis dato ungehörten Sound herausgetrieben hatte. Ein gemustertes Tuch dekoriert die Wand, am Boden überlappen sich Perserteppiche. Buntes Hippie-Interieur, das sich auch im damaligen Kleidungsstil von Hendrix – geblümtes Flatterhemd, Schlaghosen, Ketten, Ringe, Schlapphut – widerspiegelt. Natürlich gehören auch ein Kassettenrecorder, ein Plattenspieler und ein Schwarz-Weiß-Fernseher, allesamt heutzutage Dinosaurier der Informationstechnik, zur Einrichtung.

„Wir wohnten im Herzen von London zu einer Zeit, in der sie die Hauptstadt der musikalischen Welt war. Aber wir hatten hier auch Zeit für entspannte Tage außerhalb des Rampenlichts“, schrieb Kathy Etchingham über das gemeinsame Leben. Sie war es, die die Wohnung durch eine Anzeige gefunden hatte und sie mit Hendrix zusammen einrichtete. Die türkisfarbenen Vorhänge blieben vermutlich meist zugezogen, was Hendrix von seinen Freunden den Spitznamen „die Fledermaus“ eintrug.

Seine Dachbude in der Brook Street 23, in der Jimi Hendrix von Sommer 1968 bis Frühjahr 1969 zusammen mit Kathy lebte, konnte deshalb so detailgenau rekonstruiert werden, weil man auf das Bildmaterial zahlreicher Fotoshootings und Interviews, die dort stattgefunden hatten, zurückgreifen konnte. Hendrix war damals auf dem Höhepunkt seines Erfolgs als Gitarrist, Songwriter und Sänger. Ständig läutete das Telefon. Auch als ein zweiter Anschluss für die privaten Kontakte angeschafft worden war, so heißt es, hatte sich die Nummer bald herumgesprochen und fortan läuteten zwei Telefone synchron.

Dass es hier zeitweilig laut und exzessiv zugegangen war, kann man sich denken. Partys, Groupies, Drogen, die bekannten Namen der Londoner Rockmusikszene trafen sich in diesen Kammern. Wer es dann nicht mehr nach Hause schaffte, konnte im Nebenzimmer abhängen, dort, wo heute die Plattensammlung von Hendrix ausgestellt ist. Gekocht wurde wohl eher selten in der Miniküche unterm Dach, zu der eine schmale, heute noch teilweise erhaltene Holztreppe hinaufführte. Aus dem Lokal von Mr Love im Erdgeschoss ließ man sich Steaks und Pommes, Alkohol und Zigaretten heraufbringen. Die Stockwerke dazwischen waren als Büro vermietet, ideale Bedingungen für ein ungestörtes nächtliches Hippie-Leben.

Das Treppenhaus stammt aus dem Barock, jener Zeit, in der im Nebenhaus ein anderer Musikgigant gelebt und komponiert hat: Georg Friedrich Händel. Vor über 200 Jahren war in London auch Händel der musikalische Durchbruch gelungen. Der Deutsche und der Amerikaner wurden beide erst in England zu umjubelten Stars. Einmal, so erzählte Hendrix in einem Interview, sei ihm der Geist Händels – „ein alter Mann im Schlafgewand und mit grauem Zopf“ – im Badezimmerspiegel erschienen und habe ihn angeblinzelt. Purple Haze? Unsterbliche Hits haben beide geschaffen, Händel für das Hofpublikum, Hendrix für das Rockpublikum.

Dieser scheue schwarze Junge namens James Marshall Hendrix aus dem Armenviertel von Seattle, der Noten weder lesen noch schreiben konnte und sich autodidaktisch das Gitarrenspiel beibrachte, war durch seinen eigenwilligen, intensiven Sound zum Idol einer ganzen Generation geworden. Als Linkshänder spielte er die Rechtshänder-Gitarre mit Lippen, Zunge, Zähnen, hinter dem Rücken, zwischen den Beinen und ließ sie nicht selten in Flammen aufgehen. Seine Art, wie er 1969 in Woodstock die amerikanische Nationalhymne improvisierend zerlegte, ist legendär. Die Leute „sollen ihre Ohren aufmachen, hören, was alle diese Klänge bei ihnen auslösen.“ Er selbst sehe die Musik, er spiele Farben, sagte er über seinen virtuosen Umgang mit der E-Gitarre. „Die Leute sollen etwas Neues hören.“

Rastlose Tourneen und Auftritte ließen Hendrix wenig Zeit für sein Zuhause. Im Frühjahr 1969 trennte sich das Paar – „The story of love is hello and goodbye”. Hendrix kehrte nicht mehr in die Brook Street zurück. Er starb mit 27 Jahren, wie auch die anderen Musiklegenden Janis Joplin, Jim Morrison und Kurt Cobain. Er starb im Londoner Hotelappartement seiner damaligen deutschen Freundin vermutlich an einem Zuviel an Drogen, Alkohol und Tabletten. Es war gerade mal drei Jahre her, dass sein erster Singlehit „Hey Joe“ die Rockmusikwelt elektrisiert hatte, bald darauf waren „Purple Haze“ und „The Wind Cries Mary“ gefolgt.

Mag er auch sein wirkliches Zuhause allein in der Musik gefunden haben, diese kleine Londoner Dachwohnung ist dennoch heute der einzige erlebbare Ort, der an diesen großen Musiker des psychedelischen Rock und Blues erinnert.