Ludwig Salvator

Deià (Mallorca), Spanien

Foto: Wikimedia commons/Son Marroig (Ausschnitt)

Lieber vielfältig als einfältig.

04.08.1847

12.10.1915

sonmarroig.com

Er war ein Entdecker, der es verdient, selbst wieder entdeckt zu werden. Ihm verdanken wir die Erkundung und Beschreibung Mallorcas sowie weiter Teile des Mittelmeerraums. Dabei war Erzherzog Ludwig Salvator von Österreich und Prinz von Toskana, wie es eigentlich in seinen Kreisen üblich war, für eine Laufbahn im Staats- oder Militärdienst bestimmt. In Florenz im Palazzo Pitti als Sohn des dort regierenden Großherzogs Leopold II. aufgewachsen, musste die Familie 1859 im Zuge der italienischen Einigungskriege das Land verlassen und sich auf ihr habsburgisches Stammschloss Brandeis in der Nähe von Prag zurückziehen. Dort hielt es den begabten jungen Ludwig Salvator nicht lange. Mit 20 Jahren kam er erstmals zum Auskurieren einer Asthmaerkrankung nach Mallorca, mit 25 ließ er sich, mit Einwilligung seines Cousins Kaiser Franz Joseph, endgültig auf der Baleareninsel nieder.

Dort an der Westküste bei Deià erwarb er Ländereien und Besitzungen, darunter "Miramar" und später "Son Marroig", das er zu seinem Hauptwohnsitz machte. Um diese Anwesen herum arrondierte er seinen Besitz, der letztendlich 16 km der Küste entlang und 10 km ins Landesinnere hineinreichte. Das alles stellte er unter – wie wir heute sagen würden – vorbildlichen Naturschutz. Kein Baum durfte ohne seine Erlaubnis gefällt werden, kein Tier außer zu Nahrungszwecken getötet werden.

Mit seinem Dampfsegelschiff „Nixe“ erkundete er jahrzehntelang nicht nur die Balearen, sondern auch den gesamten Mittelmeerraum. Es waren intensive Forschungsreisen wie wir sie ein paar Jahrzehnte zuvor auch von Alexander von Humboldt kennen. Alle Beobachtungen wurden akribisch in Texten und Zeichnungen festgehalten: Landschaften, Pflanzen, Tiere, Gesteine, Gebräuche und Lebensformen der Menschen. Ludwig Salvator war überzeugt: „Der Wandertrieb ist dem Menschen angeboren. Nur die sogenannte Zivilisation, die vielen Pflichten, die sich der Mensch auferlegt, brachten ihn zum sesshaften Leben und auf keine Weise kann man diesem natürlichen Instinkt so nachgehen, wie mit Hilfe der Jacht. Man kann die eigene Arbeit, sei sie literarischer, sei sie künstlerischer, sei sie wissenschaftlicher Art, an Bord haben, mit allen hierzu erforderlichen Hilfsmitteln sich derselben tätigst widmen und dabei doch von Zeit zu Zeit das Auge mit neuen Bildern ergötzen, ich möchte sagen zugleich auch den Geist damit erfrischen. Durch neue Spaziergänge, durch neue Ausfahrten wird ein Mittel zum Ausruhen während der Arbeit geschaffen, was man bei einem festen Wohnsitz vergeblich suchen würde.“

Sein siebenbändiges Meisterwerk „Die Balearen“, für dessen erste zwei Bände er 1878 auf der Pariser Weltausstellung die Goldmedaille erhielt, ist eine so detailgenaue Dokumentation jener Region, dass sein Schriftstellerfreund Jules Verne, der sich selbst nie in diesen Gegenden aufgehalten hatte, so manche Beschreibung daraus in seine eigenen Bücher aufnahm. Doch Ludwig Salvator vermochte nicht nur wissenschaftlich präzise, sondern auch überaus poetisch zu schreiben. Unter seinen insgesamt 79 Werken finden sich Titel wie „Sommer-Träumereien am Meeresufer“ oder „Lieder der Bäume“, in denen er den vielfältigen Stimmen der Blätter nachsinnt. Die „Zärtlichkeitsausdrücke und Koseworte in der friaulischen Sprache“ sind Thema seines letzten Buches. Er war überzeugt: „Es gibt kein Buch, welches so lehrreich wäre, dessen Bilder so schön wären, wie das einfache Betrachten der Natur“. Und Ludwig Salvator verstand es meisterhaft, aus dem Buch der Natur zu lesen.

Dieser zeitlebens unverheiratet gebliebene Erzherzog pfiff auf die Konventionen seines Standes. Er war ein Aussteiger, einer der im Wortsinne aus der ihm gesellschaftlich vorgegebenen Lebensbahn ausstieg und unbeirrt seinen Passionen und Begabungen folgte. Zu seiner schwimmenden Wohngemeinschaft auf der „Nixe“, die schon unter den Zeitgenossen Aufsehen erregte und mit der Arche Noah verglichen wurde, gehörten Frauen, Männer, Kinder, Hunde, Katzen, Affen, Vögel und so manch anderes Getier. Kein Wunder, dass die Gerüchteküche am habsburgischen Hof brodelte und man sich die Mäuler über den „dicken Luigi“ zerriss, der so gar nicht ins formalisierte Wiener Hofleben hineinpasste. Über seine nachlässige Kleidung, seine zerknitterten Hosen, mit denen er zum jährlicher Pflichttermin an Kaisers Geburtstag erschien, rümpfte man die adligen Nasen, was ihn angeblich zu dem Kommentar veranlasst haben soll: „Lieber vielfältig als einfältig“.

Lediglich eine Seelenverwandte gab es in diesen Kreisen, die durch ihre Unangepasstheit ebenfalls den höfischen Rahmen sprengte, die Kaisergemahlin Sisi, die ihn zwei Mal auf Mallorca besuchte und mit ihrer Yacht in der Bucht unterhalb des Landguts Son Marroig an Land ging. Besonders von der prächtigen Loggia im Renaissancestil und vom ionischen Marmortempelchen aus hat man einen herrlichen Blick auf das Meer, die zerklüftete Küstenlandschaft und die vom Erzherzog so geliebte Landzunge Sa Foradada. Im ersten Stock von Son Marroig liegt der Hauptsaal mit einem Sammelsurium an Erinnerungsstücken, Gemälden, Büchern, Möbeln und Landkarten.

„Wie viele vorgefasste Meinungen, wie viele Vorurteile werden beim Kennen eines anderen Volkes, beim Leben in seinem Lande abgestreift. Ich behaupte, dass wenn sich die einzelnen Völker besser kennten, sie sich auch nicht anfeinden würden“, so der durch und durch pazifistisch gesinnte Ludwig Salvator. Doch es kam anders. Der Beginn des Ersten Weltkriegs zerstörte das selbstbestimmte Leben des habsburgischen Erzherzogs. Kaiser Franz Joseph berief ihn auf das böhmische Stammschloss Brandeis zurück. Dort verstarb Ludwig Salvator bald darauf mit 68 Jahren. Begraben ist er unter Seinesgleichen in der Wiener Kapuzinergruft. Sein Porträt hängt noch heute in Sisis Turn- und Toilettezimmer in der kaiserlichen Hofburg.

Seine wahren Spuren aber finden sich auf Mallorca, im Herrenhaus Son Marroig etwa, das er wie auch Miramar testamentarisch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat, oder auf den von ihm angelegten Wanderwegen und Aussichtspunkten, die die Schönheit der Gegend, heute Unesco-Weltkulturerbe, preisen. Dieser kluge, eigenwillige, mit offenem Herz und Verstand die Welt erforschende Erzherzog Ludwig Salvator hat es verdient, neu entdeckt zu werden.