Sigmund Freud

London, England

Porträt von Sigmund Freud

Foto: Wikimedia commons/Max Halberstadt (Ausschnitt)

Ich habe den Schlummer der Welt gestört.

06.05.1856

23.09.1939

www.freud.org.uk

Sein Blick in die Tiefen der menschlichen Seele hat unser Denken verändert und prägt es bis heute. Sigmund Freuds Kategorien vom strengen „Über-Ich“ und anarchischen „Es“, die beide widerstreitend auf das „Ich“ einwirken, ebenso wie seine Vorstellungen von „Sublimierung“, „Verdrängung“ und „Komplexen“ gehören längst zum Standardrepertoire unseres psychologischen Alltagsvokabulars. Freuds 1900 erschienene „Traumdeutung“ war bahnbrechend. Mit der These, dass sich das Unbewusste in Träumen, Versprechern und Witzen Ausdruck verschaffe, provozierte er die akademische Welt. „Ich habe den Schlummer der Welt gestört“, kommentierte Freud die Kritik an seiner neuartigen Seelenforschung, der sogenannten Psychoanalyse.

Freuds Behandlungsmethode zur Erschließung des Unbewussten war die freie Assoziation. Er ließ seine Patienten reden, ununterbrochen, ungefiltert, ohne jede gedankliche Zensur. So, meinte er, könne man Schicht um Schicht vordringen zu jenen verborgenen menschlichen Trieben und Wünschen. Das Möbelstück, auf dem Freud seine Patienten behandelte, ist heute im Original in London zu besichtigen. Dort im Haus der Familie Freud steht die wohl berühmteste Couch der Welt.

Im Juni 1938, nach dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland, floh der 82-jährige Freud mit Frau und Tochter nach London. Seine Schriften waren bei der Bücherverbrennung der Nationalsozialisten in Flammen aufgegangen. Doch erst als die antisemitischen Schikanen auch ihn und seine Familie unmittelbar bedrohten, entschloss sich der schwerkranke Freud zur Ausreise - nach „England, wo ich mein Leben in Freiheit zu enden hoffe.“ Nur dank internationaler Intervention gelang es den Freuds, sich samt Hausrat in letzter Minute ins Exil zu retten. Für vier von Freuds fünf Schwestern gab es hingegen keine Rettung mehr, sie fielen in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern dem Holocaust zum Opfer.

Das efeuumrankte Backsteinhaus im Londoner Stadtteil Hampstead sei für ihn wohl die „letzte Adresse auf dem Planeten“. Es war geräumiger und lichter als die Wohnung in der Wiener Berggasse, in der Freud mit seiner Frau Martha fast fünfzig Jahre zuhause gewesen war und in der ihre sechs Kinder aufgewachsen waren. „Wir haben es unvergleichlich besser als in der Berggasse“, schrieb Freud, auch wenn er Wien vermisse, „man hat das Gefängnis, aus dem man entlassen wurde, immer noch sehr geliebt.“

Das Arbeitszimmer wurde ihm in Hampstead originalgetreu wieder hergerichtet: die Handbibliothek, die umfangreiche Antikensammlung, der eigens gefertigte Schreibtischstuhl, und der Schreibtisch, auf dem sich seine archaischen Lieblingsgötter reihten. Und selbstverständlich das Symbol der Psychoanalyse schlechthin, die legendäre Couch, mit den orientalischen Teppichen und Samtkissen, die „mehr Geheimnisse kennt als ein katholischer Beichtstuhl“, wie es eine seiner Patientinnen einmal formulierte.

Seine Passion fürs Zigarrenrauchen stand seiner Passion für Archäologie in nichts nach. Freud beschrieb mehrfach die Parallelen zwischen archäologischen und seelischen Grabungsarbeiten. In beiden Fällen gehe es um das Abtragen einzelner Schichten, bis man zum Eigentlichen vordringe.

Therapiestunden dürfte es auf der Londoner Behandlungscouch allerdings nur noch wenige gegeben haben. Freud blieb nur noch ein Jahr Lebenszeit. Der Gaumenkrebs, an dem er seit geraumer Zeit litt und der auch nach über dreißig Operationen nicht einzudämmen gewesen war, verschlimmerte sich rapide. Freuds Mundhöhle war zuletzt eine einzige offene Wunde. Dennoch, Virginia Woolf spürte bei ihrem Besuch „eine unglaubliche Energie; wie von einem uralten Feuer, das immer noch brennt.“ Und Salvador Dali, in dessen surrealistischen Bildern sich viele Spuren der Freudschen Traumdeutung finden, fertigte nach seinem Besuch eine Porträtzeichnung des Hausherrn an. Sein Begleiter Stefan Zweig riet davon ab, Freud die Skizze zu zeigen. Zu deutlich drücke sich darin bereits der nahende Tod aus.

Den Zeitpunkt seines Todes bestimmte Sigmund Freud schließlich selbst: Er ließ sich von seinem Arzt eine Überdosis Morphium injizieren. Freud starb in seinem Arbeitszimmer. Seine Asche wird im Londoner Golders Green Crematorium in einer griechischen Vase aus seiner Sammlung aufbewahrt.

Dank Tochter Anna, die mit der Kinderpsychoanalyse das Werk ihres Vaters fortsetzte und bis zu ihrem Tod 1982 im Haus lebte, konnte hier ein Museum entstehen. Bis heute ist es eine faszinierende Pilgerstätte für Freudianer und Nichtfreudianer aus aller Welt.

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