Sigmund Freud
London, England
Ich habe den Schlummer der Welt gestört.06.05.1856
23.09.1939
Sein Blick auf die menschliche Seele hat unser Denken verändert und prägt es bis heute. Sigmund Freuds Kategorien vom strengen „Über-Ich“ und anarchischen „Es“, die beide widerstreitend auf das „Ich“ einwirken, seine Vorstellungen von „Sublimierung“, „Verdrängung“ und „Komplexen“ gehören zum Standardrepertoire unseres Verständnisses vom menschlichen Seelenleben. Freuds 1900 erschienene „Traumdeutung“ war bahnbrechend. Mit der These, dass sich das Unbewusste in Träumen, Versprechern und Witzen Ausdruck verschaffe, provozierte er die damalige akademische Welt. „Ich habe den Schlummer der Welt gestört“, war Freuds Antwort auf die Kritik an seiner neuartigen Seelenforschung, der sogenannten Psychoanalyse.
Freuds Behandlungsmethode zur Erschließung des Unbewussten war die freie Assoziation. Er ließ seine Patienten reden, ohne Unterlass, ohne Kontrolle. So könne es gelingen, immer tiefer in die Sphäre des Unbewussten, zu den verborgenen Trieben und Wünschen, vorzudringen. Das Möbel, auf dem Freud seine Patienten psychoanalytisch therapierte, ist heute im Original in London zu besichtigen. Dort im Haus der Familie Freud steht die wohl berühmteste Couch der Welt.
Der 82-jährige Freud war im Juni 1938 nach dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland mit Frau und Tochter nach London geflohen. Seine Schriften waren bei der Bücherverbrennung der Nationalsozialisten in Flammen aufgegangen. Aber erst nachdem antisemitische Schikanen auch ihn selbst und seine Familie bedrohten, entschloss sich der schwerkranke Freud zur Ausreise nach „England, wo ich mein Leben in Freiheit zu enden hoffe“. Nur dank ausländischer Intervention konnten sich die Freuds samt Hausrat in letzter Minute ins Exil retten. Für vier von Freuds fünf Schwestern gab es hingegen keine Rettung mehr, sie fielen in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern dem Holocaust zum Opfer.
Das efeuumrankte Backsteinhaus im Londoner Stadtteil Hampstead sei für ihn wohl die „letzte Adresse auf dem Planeten“. Es war geräumiger und lichter als die Wohnung in der Wiener Berggasse, in der Freud mit seiner Frau Martha fast fünfzig Jahre zuhause gewesen war und in der ihre sechs Kinder aufgewachsen waren. „Wir haben es unvergleichlich besser als in der Berggasse“, schrieb Freud, auch wenn er Wien vermisse, „man hat das Gefängnis, aus dem man entlassen wurde, immer noch sehr geliebt.“
Das Arbeitszimmer wurde ihm in Hampstead originalgetreu wieder hergerichtet: seine Handbibliothek, seine umfangreiche Antikensammlung, sein eigens für ihn hergestellter Schreibtischstuhl und sein Schreibtisch, auf dem sich seine archaischen Lieblingsgötter aufreihen. Und natürlich das Symbol der Psychoanalyse schlechthin, die legendäre Couch mit den orientalischen Teppichen und Samtkissen, die „mehr Geheimnisse kennt als ein katholischer Beichtstuhl“, wie es eine seiner Patientinnen einmal formulierte.
Seine Passion fürs Zigarrenrauchen stand seiner Passion für Archäologie in nichts nach. Freud hat mehrfach auf die Parallelen zwischen archäologischen und seelischen Grabungsarbeiten hingewiesen. Auch in der Psychoanalyse gehe es um das Abtragen einzelner Schichten, bis man zum Eigentlichen vordringe.
Viele Therapiestunden wird es auf der Behandlungscouch in seinem Londoner Domizil wohl nicht mehr gegeben haben. Freud blieb nur noch ein Jahr Lebenszeit. Der Gaumenkrebs, an dem er seit geraumer Zeit litt und der auch nach über dreißig Operationen nicht einzudämmen gewesen war, verschlimmerte sich zusehends. Freuds Mundhöhle war eine einzige offene Wunde. Dennoch, Virginia Woolf spürte bei ihrem Besuch „eine unglaubliche Energie; wie von einem uralten Feuer, das immer noch brennt.“ Und Salvador Dali, in dessen surrealistischer Malerei sich viele Spuren der Freudschen Traumdeutung finden, fertigte nach seinem Besuch eine Porträtzeichnung des Hausherrn an. Sein Begleiter Stefan Zweig riet davon ab, Freud die Skizze zu zeigen. Zu stark drücke sich darin bereits der nahende Tod aus.
Den Zeitpunkt seines Todes bestimmte Sigmund Freud dann allerdings selbst: er ließ sich von seinem Arzt eine Überdosis Morphium injizieren. Freud starb in seinem Arbeitszimmer, seine Asche im Londoner Golders Green Crematorium ruht in einer griechischen Vase aus seiner Sammlung.
Dank Tochter Anna, die mit der Kinderpsychoanalyse das Werk ihres Vaters fortsetzte und bis zu ihrem Tod 1982 das Haus bewohnte, konnte hier ein Museum entstehen. Bis heute ist es eine faszinierende Pilgerstätte für Freudianer und Nichtfreudianer aus aller Welt.