Virginia Woolf

Rodmell, England

Foto: Wikimedia commons/George Charles Beresford,1902 (Ausschnitt)

Wir müssen unsere Worte formen, bis sie als zarteste Hülle über unseren Gedanken liegen.

25.01.1882

28.03.1941

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„Ein Zimmer für sich allein“, genügend Geld und freien Zugang zur Bildung – nur unter diesen Voraussetzungen, so Virginia Woolf 1929 in ihrem feministischen Essay, sei weibliche Kreativität möglich. Sie selbst hatte mit der Zeit all dies erreicht. „Hineingeboren in eine sehr kommunikative, belesene, Briefe schreibende, Besuche abstattende, redegewandte Welt des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts“, die ihr als Frau zwar den Zugang zur Universität verwehrte, in der sie sich aber durch häuslichen Unterricht und die umfangreiche Bibliothek ihres Vaters Leslie Stephen so viel Wissen aneignen konnte wie sie wollte. Zu ihrer finanziellen Unabhängigkeit trugen nicht unwesentlich die Erfolge ihrer Romane bei, insbesondere „Mrs. Dalloway“ (1925) und „Orlando“ (1928). Sie begünstigten die Renovierung und Erweiterung ihres Wochenend- und Sommerrefugiums Monk’s House in East Sussex. So konnte etwa ein zusätzlicher Raum angebaut werden, der schon bald in Virginias Schlafzimmer umgewandelt wurde. Eine schlichte Schreibklause am Ende des Gartens, „das romantische Zimmer“, ermöglichte ihr ein ruhiges, ungestörtes Arbeiten.

Dieser bequeme Lebensstandard war in Monk’s House allerdings erst mit der Zeit erreicht worden. Als die Eheleute Woolf 1919 das Cottage am Dorfrand von Rodmell ersteigerten, gab es dort weder Strom noch fließendes Wasser. Virginia beschrieb es als „ein unprätentiöses Haus, lang & niedrig“, mit gedrungenen, dunklen Räumen. Aber es entsprach mit seinem großen, in die freie Natur übergehenden Garten ihren Vorstellungen eines ländlichen Zweitwohnsitzes, ein wohltuender Kontrast zum turbulenten Londoner Großstadtleben.

Virginias Schlafzimmer war nur durch eine separate Tür über den Garten zugänglich. Es ist „ein ganz entzückendes Zimmer, von so etwas habe ich immer geträumt“, schwärmte sie.  Die wohnliche Atmosphäre trägt die Handschrift ihrer älteren Schwester, der Malerin Vanessa Bell. Zusammen mit ihrem Geliebten Duncan Grant hatte Vanessa die Räume im Haus – Lampen, Möbel, Bilder, Kamine, Tische – mitgestaltet. Auch die berühmten Porträts von Virginia Woolf stammen von ihr, ebenso viele Illustrationen für die Hogarth Press. Leonard und Virginia hatten den Verlag 1917 gegründet und betrieben ihn gemeinsam. Nicht nur die Bücher von Virginia Woolf selbst wurden dort veröffentlicht, sondern auch die Werke zahlreicher anderer zeitgenössischer Autoren wie T.S. Eliot, Katherine Mansfield, E.M. Forster, Sigmund Freud, Vita Sackville-West, Gorki, Rilke oder Dostojewski.

Das beschauliche Leben auf dem Lande und der von Leonard überwachte geregelte Tagesablauf taten Virginia gut. Zudem lebte ihre Schwester Vanessa ganz in der Nähe im Charleston Farmhouse und die Bloomsbury-Freunde schauten öfter auf einen Besuch vorbei. Doch immer wieder machte Virginia ihre psychische Labilität zu schaffen, Schübe von Depressionen, Wahnvorstellungen und Selbstmordgedanken marterten sie. Nach dem frühen Tod der Mutter, Virginia war gerade mal dreizehn Jahre alt, hatte sie den ersten Nervenzusammenbruch erlitten, den zweiten 1904 nach dem Tod des Vaters. Auch den Tod ihrer Halbschwester Stella und den Tod ihres Bruders Thoby musste sie in jungen Jahren verkraften. Dazu kamen sexuelle Übergriffe ihrer beiden Halbbrüder. Sie litt geradezu seismographisch unter den familiären Katastrophen, „aus der Zuflucht der Familie herausgeschleudert zu werden“ beschädigte sie lebenslang.

1912 heiratete Virginia den Journalisten Leonard Woolf, nicht ohne anfängliche Widerstände: „Ich denke“, schrieb sie an Vanessa, „viel über die Ehe nach. Mein Hader damit ist, dass das Tempo so langsam ist, wenn man zu zweit ist.“ Zudem gestand sie Leonard offen, „dass ich Dich körperlich nicht anziehend finde.“ Aber Leonard gab ihr Halt, schenkte ihr, wie sie zugab, „solides Glück“. Er stand zu ihr, auch als sich eine leidenschaftliche Affäre mit Vita Sackville-West anbahnte. „Gleich kommt Vita, um hier zwei Nächte zu verbringen, mit mir allein“, lässt Virginia 1926 ihre Schwester wissen, „die Juninächte sind lang und mild, die Rosen blühen, der Garten ist voll von Lust und von Bienen, die sich auf den Spargelbeeten vermischen.“ Die eroberungserfahrene Vita plagten allerdings im Falle Virginia sehr bald Skrupel. „Außerdem habe ich eine Todesangst davor, körperliche Gefühle in ihr zu wecken, wegen der Geisteskrankheit“, vertraute sie ihrem Mann Harold an. Dem erschien diese Liebschaft „als rauchte man über einem Benzintank“. Schnell ging daher die sexuelle Beziehung in Freundschaft über.

Schreiben war das existentielle Zentrum in Virginias Leben. „Schreiben“ sei „wichtiger als alles andere“, bekannte sie. Dementsprechend hohe Maßstäbe legte sie an ihre Arbeit: „Wir müssen unsere Worte formen, bis sie als zarteste Hülle über unseren Gedanken liegen“, heißt es 1930 im Tagebuch. Ihre innovative Erzähltechnik machte sie zur modernen Klassikerin. Da die Außenwelt, so Virginias Ansicht, in ihrer zunehmenden Fragmentierung nicht mehr objektiv beschreibbar sei, könne sie nur durch die Innenwelt der literarischen Figuren, deren Gedanken, Eindrücke, Gefühle erfasst werden.

Als ihre Londoner Stadtwohnung durch einen Bombenangriff beschädigt wurde, zogen die Woolfs 1940 ganz nach Rodmell. „Die Härten des Alters“ und die drohende deutsche Invasion – Leonard war Jude und Sozialist – setzten Virginia zu. „Es kommt kein Echo mehr. Ich habe kein Umfeld“, klagte sie. Ihr psychischer Zustand verschlechtere sich zusehends. 1941, an einem kalten Märztag, ging sie hinunter zum Flüsschen Ouse, packte Steine in ihre Manteltaschen und stürzte sich ins Wasser. Erst drei Wochen später fand man ihre Leiche an der Uferböschung.

Auf dem Kaminsims im Wohnzimmer hatte sie zwei Abschiedsbriefe hinterlassen. An Leonard: „Liebster, ich fühle deutlich, dass ich wieder verrückt werde.“ Sie wolle ihm keine weiteren Belastungen mehr zumuten und dankte ihm für alles. „Ich glaube nicht, dass zwei Menschen glücklicher hätten sein können, als wir es gewesen sind.“ An Vanessa schrieb sie über ihre seelische Erkrankung: „Ich habe dagegen angekämpft, aber jetzt kann ich nicht mehr.“

Ihre Asche wurde wie später die von Leonard unter dem heute nicht mehr existierenden Ulmenpaar im Garten beigesetzt. Dessen Zweige waren einst ineinander verschlungen gewesen und von den Woolfs „Virginia“ und „Leonard“ getauft worden.