Mariano Fortuny
Venedig, Italien
Das Delphos-Kleid.11.05.1871
03.05.1949
Ist das nun „bourgeoiser Plüschmuff“? So zumindest urteilte der Futurismus-Begründer Marinetti über den Palazzo Fortuny in Venedig. Jedenfalls fühlt man sich, kaum hat man das Gebäude betreten, inmitten einer Theaterkulisse. Und zweifelsohne war das Theater für das Kunstschaffen des spanischstämmigen Multitalents Mariano Fortuny von zentraler Bedeutung.
Nicht nur, dass er zahlreiche Bühnendekorationen entwarf und für die Theaterbühnen Europas eine neue Lichttechnik erfand, die mittels eines konkaven Schirms für eine indirekte, diffundierende Bühnenbeleuchtung sorgte, er erfand darüber hinaus auch neuartige Stoffdruck- und Färbetechniken. Fortuny, befreundet mit Gabriele d’Annunzio und Hugo von Hofmannsthal, war also entgegen dem ersten Eindruck nicht allein dem schwülstigen Fin de Siècle verhaftet, sondern adaptierte darüber hinaus historische Formen, um sie mit modernen Mitteln neu zu interpretieren und weiterzuentwickeln.
Bekanntestes Beispiel ist sein elegantes Delphos-Kleid, inspiriert von der antiken Wagenlenker-Statue in Delphi. Nach diesem Vorbild gestaltete Fortuny eine bodenlange Tunika, die an den Füßen pfützenartig ausläuft und die weiblichen, vom zeittypischen Korsett befreiten Konturen ihrer Trägerinnen raffiniert betont. Das aufregend Neue dieser Kleider war der hauchdünne, plissierte Seidensatin, eine Erfindung Henriette Negrins. Fortuny hatte die Französin 1902 in Paris kennengelernt, sie wurde seine Mitarbeiterin, Muse und Ehefrau. Tänzerinnen wie Isadora Duncan, Schauspielerinnen wie Eleonora Duse und Sarah Bernhardt, überhaupt Damen von Welt machten das Delphos-Kleid über alle Ländergrenzen hinweg bekannt. Selbst Marcel Proust geriet in seiner „Suche nach der verlorenen Zeit“ über Fortunys fließende Plisseekleider ins Schwärmen.
Nach Venedig war Fortuny bereits als junger Mann mit Mutter und Schwester übergesiedelt. Sowohl seine Mutter Cecilia de Madrazo, eine leidenschaftliche Sammlerin kostbarer Stoffe, als auch sein frühverstorbener Vater Marià Fortuny, ein bekannter spanischer Maler, hatten Marianos künstlerische Vorlieben entscheidend mitgeprägt. Der weitläufige Palazzo in venezianisch-gotischem Stil war einst im Besitz der Familie Pesaro gewesen. Fortuny erwarb ihn ab 1898 in mehreren Etappen und erkor ihn bis zu seinem Tod zu seinem Lebens- und Schaffensmittelpunkt. Vier Etagen boten dem Modeschöpfer, Maler, Fotografen, Erfinder, Bühnenbildner und Innenarchitekten Mariano Fortuny reichlich Raum zur Entfaltung seiner vielen Begabungen und Interessen. Mit der 1922 gegründeten Stoffdruckfabrik auf der Guidecca-Insel konnte er die Produktion weiter steigern. Boutiquen in Paris, London, New York und Madrid verkauften seine Modelle.
Das Piano nobile des Palazzos ist, wie es sich für eine gelungene Theaterdekoration gehört, einfach überwältigend. Der rund 45 Meter lange, in warmes Halbdunkel gehüllte Salon, in den durch die gotischen Fenster und die von Fortuny entworfenen Lampen diffuses Licht einströmt, ist opulent im Fortuny-Design dekoriert – ein erlesenes Interieur voller Kissen, Wandteppiche, Liegen, Gemälde, Kunstobjekte und Möbel verschiedenster Epochen und Kulturen. Seitwärts des Salons liegen Fortunys Atelier und der farblich lichtere Raum mit dem monumentalen „Zaubergarten“-Wandgemälde, das vom Hausherrn effektvoll im Trompe-l’œil-Stil gestaltet wurde. Fortunys Passion fürs Theater ist an allen Ecken und Enden erkennbar. Nicht zufällig war sein großes Idol Richard Wagner, dessen Opernstoffe in seinen Gemälden und Bühnenbildern eine dominante Rolle spielten.
Dieser Palazzo Fortuny in seiner ganzen inszenierten Theatralik passt so gut zu Venedig – einer Stadt, die sich uns wie keine andere als eine einzige Theaterkulisse präsentiert.