Leo Trotzki
Mexico City, Mexiko
Mein Glaube an die kommunistische Zukunft der Menschheit ist heute nicht weniger leidenschaftlich, sondern sogar tiefer als in den Tagen meiner Jugend.26.10.1879
21.08.1940
Diese Geschichte hätte das Potential zu einem Agententhriller – wenn nicht viel zu viel vergossenes Blut daran haften würde. Stalin gegen Trotzki. Zwei Erzrivalen, die einst gemeinsam für den revolutionären Kampf gegen das zaristische Russland und für eine neue sozialistische Gesellschaftsordnung angetreten waren, dieses Ziel jedoch auf unterschiedlichen Wegen verfolgten. Trotzki stritt für eine weltweite revolutionäre Befreiungsbewegung im Sinne von Karl Marx‘ Aufforderung „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ Stalin hingegen favorisierte einen regional begrenzten russischen Sozialismus. Beide schlossen sich Lenins Bewegung an und unterstützten ihn in der Oktoberrevolution 1917. Im darauffolgenden Bürgerkrieg errang Trotzki als Oberbefehlshaber der Roten Armee den Sieg über die zaristisch-bürgerliche Gegenbewegung, dem 1922 schließlich die Gründung des Sowjetstaats folgte.
Die Jahre des Bürgerkriegs hatten gezeigt, dass sowohl Stalin als auch Trotzki brutale Methoden einsetzten und über Leichen gingen „Ich bin bereit zuzugeben, dass ein Bürgerkrieg keine Schule für menschliches Verhalten ist. Idealisten und Pazifisten haben der Revolution immer Exzesse vorgeworfen. Die Schwierigkeit der Sache liegt darin, dass die Ausschreitungen der eigentlichen Natur der Revolution entspringen, die selbst ein Exzess der Geschichte ist. Mögen jene, die dazu Lust haben (in ihren armseligen journalistischen Artikeln), die Revolution aus diesem Grund verwerfen. Ich verwerfe sie nicht.“ So verteidigte Trotzki später sein radikales Vorgehen.
Nach Lenins Tod 1924 brach ein hemmungsloser Machtkampf um seine Nachfolge aus. Stalin, ein „ungebildeter Bürokrat“, war von Lenin als zu „grob“ und als nicht führungstauglich eingeschätzt worden. Trotzki war Lenin wegen des „übermäßigen Selbstvertrauens“ suspekt, er sei aber „persönlich wohl der fähigste Mann im gegenwärtigen Zentralkomitee.“
Nichtsdestotrotz war von Lenin keine explizite Nachfolgeregelung getroffen worden. Von Anfang an hatten die Gegensätze zwischen Trotzki und Stalin zu Spannungen und gegenseitiger Abneigung geführt. Leo Trotzki, als Lew Bronstein in die Familie eines wohlhabenden jüdischen Landwirts in der Ukraine hineingeboren, war ein brillanter Redner und Stilist, arrogant, energisch, egozentrisch. Stalin, als Sohn eines gewalttätigen Säufers in Georgien aufgewachsen, galt als grobschlächtig und gerissen. Die „hervorragendste Mittelmäßigkeit der Partei“, urteilte Trotzki über ihn. „Er war mir wegen jener Charakterzüge zuwider, die später seine Stärke ausmachten. Beschränkte Interessen, mangelnde Visionen, psychologische Plumpheit. Der besondere Zynismus eines Kleinbürgers.“
Doch der Strippenzieher Stalin hatte längst zentrale Positionen in der Partei mit seinen Gefolgsleuten besetzt und Trotzki kaltgestellt. Trotzki wurde systematisch aus allen Partei- und Staatsämtern verdrängt und 1929 des Landes verwiesen. Er lebte zunächst im Exil in der Türkei, dann in Frankreich und Norwegen. Kein Staat war allerdings langfristig bereit, den Heimatlosen aufzunehmen und es sich mit der Sowjetunion zu verscherzen.
Dank der Fürsprache des mexikanischen Malers Diego Rivera erhielt Trotzki schließlich im Januar 1937 in Mexiko Asyl. Fast zwei Jahre lang fanden Leo Trotzki und seine zweite Frau Natalja Sedowa Unterschlupf in Frida Kahlos „Casa Azul" in Coyoacán, einem Stadtteil von Mexico City. Auch vom mexikanischen Exil aus kämpfte Trotzki schreibend und agierend weiter gegen das stalinistische System. „Unser Ziel ist die volle materielle und geistige Befreiung der Ausgebeuteten durch die sozialistische Revolution“, war sein lebenslanges Credo.
Zwischenzeitlich hatte sich Stalin in der Sowjetunion zum totalitären Alleinherrscher erhoben und die Industrialisierung und gewaltsame Kollektivierung der Landwirtschaft vorangetrieben. Schreckliche Hungersnöte waren die Folge. Gnadenlos ließ er alle, von denen er glaubte, dass sie ihm gefährlich werden könnten, ausschalten – verhaften, deportieren, ermorden. Der stalinistische Terror fand seinen Höhepunkt in den inszenierten Schauprozessen zwischen 1936 und 1938, in denen auch Trotzki in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurde. Mehr noch, sein Name, seine Bücher, seine Leistungen wurden aus der sowjetischen Geschichte ausradiert. Nichts, auch kein Foto von ihm, sollte an den ehemaligen Genossen erinnern.
Ideologische Gründe und wohl auch Trotzkis kurze Affäre mit Frida Kahlo führten zum Zerwürfnis mit den mexikanischen Gastgebern. Die Trotzkis zogen im Frühjahr 1939 ein paar Häuserblocks weiter in ein anderes Gebäude, ein schlichtes Häuschen mit schlichtem Mobiliar, tropischen Pflanzen, Kakteen und verwitterten Hühner- und Hasenställen im Garten. In Trotzkis Arbeitszimmer stehen noch das alte Edison-Diktiergerät, ein Globus, der Schreibtisch mit seiner Brille und seinen Papieren.
Auf den ersten Blick fast eine Idylle. Auf den zweiten Blick eine Festung. Hohe Mauern und Wachtürme umschließen das Areal. In den Innenräumen sind metallverstärkte, kugelsichere Türen angebracht, die Fenster zur Straßenfront sind zugemauert. Dass Stalins Schergen ihn jagten und seine Ermordung planten, war Trotzki bewusst. Seine Kinder, zwei Töchter aus der ersten Ehe, zwei Söhne aus der Ehe mit Natalja, waren bereits tot, alle direkt oder indirekt Opfer des stalinistischen Terrors. Nur der Enkelsohn Sewa, der von Leo und Natalja nach Mexiko geholt worden war, hatte überlebt.
An einem frühen Maimorgen im Jahr 1940 misslang das erste ziemlich dilettantisch ausgeführte Attentat auf Trotzki. Etwa zwanzig als Polizisten getarnte Männer, angeführt vom mexikanischen Maler Siqueiros, stürmten das Haus und eröffneten das Maschinengewehrfeuer. Das Ehepaar Trotzki konnte sich auf dem Boden kauernd retten und blieb unverletzt. Noch heute sind die Einschusslöcher in den Wänden sichtbar. Das zweite Attentat drei Monate später jedoch war perfider vorbereitet. Ein Agent im Auftrag des sowjetischen Geheimdienstes hatte sich auf raffinierte Weise das Vertrauen einer mit den Trotzkis befreundeten Mitarbeiterin erschlichen. Er gab sich unter falschem Namen als kanadischer Journalist aus und bat Trotzki um Durchsicht eines geplanten Artikels. Mitten im August 1940 betrat er das Haus im Regenmantel, darunter versteckt das Mordwerkzeug. Als Trotzki sich im Büro über das Manuskript beugte, hieb der Attentäter mit einem Eispickel auf dessen Schädel ein. Trotzki starb am nächsten Tag an den Folgen seiner Verletzungen. Ramón Mercader, so sein richtiger Name, wurde in Mexiko zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt. Nach seiner Entlassung ehrte ihn die Sowjetunion mit dem Leninorden für „Verdienste um das Vaterland“.
Stalin hatte gesiegt, sein Widersacher und Erzfeind war liquidiert. Noch kurz vor seinem Tod hatte Trotzki bekräftigt: „Mein Glaube an die kommunistische Zukunft der Menschheit ist heute nicht weniger leidenschaftlich, sondern sogar tiefer als in den Tagen meiner Jugend.“ Trotzkis Urne liegt in seinem Garten unter einer roten Fahne und einem hellgrauen Granitstein mit eingraviertem Hammer-und-Sichel-Emblem. Stalin starb 1953. Das Duell dieser beiden Männer fand vor dem Hintergrund jener blutigen russisch-sowjetischen Geschichtsepoche statt, die Millionen von Menschen das Leben gekostet hat.