Diego Rivera
Mexico City, Mexiko
Die Staffeleikunst gehört dem Individuum, die Wandmalerei dem ganzen Volk.08.12.1886
24.11.1957
„Ich denke mir die Welt, in der er gern leben würde, als ein großes Fest, an dem alles, jedes einzelne Lebewesen, teilnähme – von den Menschen bis zu den Steinen, Licht und Schatten, alle mit der ihnen eigenen Schönheit und schöpferischen Kraft zusammenwirkend. Ein Fest der Form, der Farbe, der Bewegung, des Klanges, der Intelligenz, des Wissens, des Gefühls. Ein sphärisches Fest, klug und liebevoll, das sich über die gesamte Erdoberfläche erstreckte. Für dieses Fest kämpft er ohne Unterlass und setzt alles ein, was er hat: sein Talent, seine Phantasie, seine Worte und seine Taten.“ Treffender und liebevoller als mit diesen Worten seiner Frau Frida Kahlo lässt sich der mexikanische Maler Diego Rivera und seine Vision eines weltumspannenden Kommunismus wohl kaum beschreiben.
Rivera war 1922 in die kommunistische Partei Mexikos eingetreten, in einer Zeit, in der sich die mexikanische Gesellschaft nach der Revolutionsphase neu zu finden begann und auch die Künstler in die nationale Identitätsbildung eingebunden waren. Für Rivera war es die Chance, seine Idealvorstellung eines künftigen kommunistischen Zusammenlebens ins Bild zu setzen. Und zwar nicht in Form von gerahmten Staffeleibildern an der Wand, sondern in Form von überbordenden Monumentalgemälden, die sich über die gesamte Wandfläche erstreckten. „Die Staffeleikunst gehört dem Individuum, die Wandmalerei dem ganzen Volk“, so sein Credo.
Neben José Clemente Orozco und David Alfaro Siqueiros wurde Diego Rivera einer der drei großen mexikanischen Maler des Muralismo. Meterlange Mauern (Murales), vor allem in öffentlichen Gebäuden, hat Rivera mit einem enormen Schaffensfuror bemalt. Besonders seine Murales im Nationalpalast in Mexico City und im Cortés-Palast in Cuernavaca machten ihn berühmt. Das dominierende Thema ist die mexikanische Geschichte, ihre Wurzeln in der indigenen Kultur, die gewaltsame spanische Kolonialisierung und die sich anschließende Befreiungsbewegung. Es war ein gemaltes Volksbildungsprogramm, das mittels einer einfachen Bildsprache der mexikanischen Bevölkerung ihre reiche Geschichte und Nationalkultur verständlich machen wollte. Riveras dazu passende Bilderwelt ist farbkräftig und figurativ, ein ganz eigener Stil, unabhängig von der europäischen Avantgardekunst, in deren Kreisen er sich während seiner Jahre in Europa bewegt und mit deren abstrakten Stilen er experimentiert hatte. Letztlich war es dann aber die Technik der italienischen Freskenmalerei, die die markantesten Spuren in seinem Werk hinterließ.
Diego Rivera war lebenslang Kommunist nach seinen eigenen Regeln. Engstirniges, doktrinäres Denken lag ihm fern. Die Partei reagierte mit Ausschluss, denn Rivera hatte kein Problem damit, sowohl für die mexikanische Regierung als auch für reiche Nordamerikaner zu arbeiten. Auch den Auftrag, die Lobby des Rockefeller Centers in New York zu gestalten, nahm er an. „Der Mensch am Scheideweg“, so der vorgegebene Werktitel, war für Rivera ein Mann, der dem zerstörerischen Kapitalismus den Rücken kehrt und sich zukunftsfroh dem Kommunismus zuwendet, unübersehbar angeführt vom russischen Revolutionär Lenin. Spätestens da platzte Nelson Rockefeller dann aber doch der Kragen. Rivera wurde aufgefordert, sein Leninporträt zu entfernen, doch der Dickschädel dachte gar nicht daran. Die Auftraggeber sahen sich daraufhin gezwungen, das provozierende Wandbild noch vor der öffentlichen Einweihung zerstören zu lassen. Später schuf Rivera eine Rekonstruktion des Freskengemäldes im Palacio de Bellas Artes in Mexico City und fügte neben Lenin auch gleich noch seine anderen Idole Marx, Engels und Trotzki hinzu.
Dem Stalingegner Trotzki besorgte Rivera 1937 gegen den Widerstand der Kommunistischen Partei politisches Asyl in Mexiko. Fast zwei Jahre kam das Ehepaar Trotzki in Frida Kahlos Casa Azul unter. Dann verkrachten sich Rivera und Trotzki, zwei Typen, die gegensätzlicher nicht sein konnten, aus politischen wie persönlichen Gründen.
Ja, wer war eigentlich dieser Diego Rivera? Auf Fotos lässt sich die vitale Präsenz dieses Hünen, von dem seine Zeitgenossen, darunter viele Frauen, überwältigt waren, nicht wirklich greifen. Lassen wir daher Bodo Uhse sprechen, der ihn kannte und in einer Erzählung folgendermaßen beschrieb: „Was für ein Wesen war dieser Mensch! Ungeschlacht und missgeformt, die traurig-weisen Unkenaugen vorquellend aus dem schwammigen Gesicht mit der sinnlich breiten Nase und dem trüben Satyrmund; abstoßend und zugleich faszinierend in seiner monströsen Hässlichkeit und in ihr nicht unähnlich dem Tlaloc, dem Regen- und Lebensgott seiner indianischen Vorfahren.“ Vier Mal war Rivera verheiratet, die längste und intensivste Beziehung freilich hatte er zur zwanzig Jahre jüngeren Frida Kahlo, die er 1929 heiratete.
Das Atelier-Doppelhaus in San Angel, einem Vorort von Mexico City, ist geradezu ein Symbol ihrer unkonventionellen Beziehung. Zwei separate Kuben, der kleine blaue für Frida, der größere rote für Diego. Getrennte Welten, die durch einen Steg miteinander verbunden waren. 1931 hatte der befreundete mexikanische Architekt Juan O‘Gorman das Ensemble für das Künstlerpaar gebaut. Im dritten Haus daneben war ein Fotostudio untergebracht. 1934 nach ihrer Rückkehr aus den USA bezogen Diego und Frida die Ateliergebäude. 1939 kam es zur Scheidung, bereits 1940 heirateten sie einander erneut. Danach lebte Rivera mit Frida in der Casa Azul, behielt sein Studiohaus in San Angel aber als Arbeits- und Rückzugsort bei.
Es ist ein für das damalige Mexiko erstaunlich modernes Ensemble mit tpyisch mexikanischer Kakteenbepflanzung, aber unverkennbar von Le Corbusiers Architektursprache inspiriert. Riveras Wohn- und Arbeitsort ist original erhalten und zeigt uns seine damalige Lebenswelt. Sein Atelier, von der Galerie aus am besten zu überblicken, ist angefüllt mit Malutensilien, eigenen Werken und persönlichen Gegenständen sowie zahlreichen der mexikanischen Volkskunst entstammenden Skelettpuppen und Judasfiguren aus Pappmaché. Einige Exponate aus seiner riesigen Sammlung prähispanischer Artefakte sind ebenfalls zu sehen. Der Großteil allerdings ist im Museo Anahuacalli ausgestellt, einem 1942 von Rivera initiierten Monument aus schwarzem Vulkanstein, das einem aztekischen Tempel gleicht. Lebenslang sammelte Rivera präkoloniale Kunst und versuchte so das kulturelle Erbe Mexikos vor dem Ausverkauf zu schützen.
In den letzten Lebensjahren versöhnte sich Rivera mit der kommunistischen Partei und reiste noch einmal zu einer Krebstherapie in die UdSSR. Er starb 1957 an Herzversagen in seinem Atelierhaus in San Angel, in das er sich nach Fridas Tod zurückgezogen hatte.