E.T.A. Hoffmann
Bamberg, Deutschland
Ich denke mir mein Ich durch ein Vervielfältigungsglas.24.01.1776
25.06.1822
Die fünf Jahre in Bamberg nannte E.T.A. Hoffmann seine „Lehr- und Marterjahre“. Es waren in der Tat schwierige, aufwühlende Jahre, das beweist sein Tagebuch. Aber es waren zugleich produktive Jahre. In Bamberg reifte E.T.A. Hoffmann zum Schriftsteller heran, mit seiner 1814 veröffentlichten Erzählsammlung „Fantasiestücke in Callots Manier“ begründete er seinen literarischen Ruhm.
Aus einer persönlicher Notlage heraus, Hoffmann saß seit einem Jahr arbeits- und mittellos in Berlin fest, bewarb er sich 1808 auf den Posten des Musikdirektors im fränkischen Bamberg. Die Musik war bisher im Leben des preußischen Verwaltungsjuristen nur nach Dienstschluss zu ihrem Recht gekommen. In Verehrung für Mozart hatte E.T.A. Hoffmann bereits 1804 seinen dritten Vornamen in „Amadeus“ umgeändert. Nun hoffte er, seine musikalische Begabung ins Zentrum seiner Arbeit stellen zu können und zugleich auch materiell wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Doch nur wenige Wochen dauerte das Glück, dann war es vorbei mit der erträumten Anstellung am Stadttheater. Zu heftig war der Widerstand gegen ihn und seinen eigenwilligen Dirigierstil. Hoffmann dirigierte sitzend vom Flügel aus, das war man in Bamberg nicht gewohnt. Dabei hatte seine Ehefrau Michalina, genannt Mischa, gerade begonnen, sich nach dem Tod ihres einzigen Kindes zu erholen: „Die Bamberger Luft schlägt ihr an, sie wird zu meiner Freude dick und fett“, freute sich E.T.A. Hoffmann. Nun also der Rückschlag. Zwar verdingte er sich weiterhin am Bamberger Theater als Kulissenmaler, Kapellmeister, Kartenabreißer und Komponist – in Bamberg entstand seine Oper „Undine“ – über Wasser halten konnte er sich aber nur mit zusätzlichen Musikkritiken sowie Gesangs- und Klavierunterricht für höhere Töchter. Dabei machte dem Vielbegabten laut Carl Friedrich Kunz die „Talentlosigkeit seiner Schülerinnen“ schwer zu schaffen, die zu seinem Missfallen „durch ihn zu einer fertigen Klavierklimperei oder Opernarien-Gurgelei gebildet“ wurden.
E.T.A. Hoffmann, dessen Existenz lebenslang im Spannungsfeld zwischen der Akkuratesse seines Juristenberufs und der spielerischen Kreativität seines Künstlertums stand, war so Vieles gleichzeitig: Zeichner, Komponist, Schriftsteller, Lehrer, Musiker, Regisseur, Musikkritiker. Ein Multitalent, in dem sich die Facetten seiner Persönlichkeit gegenseitig befruchteten, aber auch gegenseitig durchkreuzten: „Ich denke mir mein Ich durch ein Vervielfältigungsglas“. Sein literarisches Werk kreist unermüdlich um Fragen der Identität und Abgründigkeit des Ichs. Oft bricht in die vertraute Lebenswelt seiner Figuren das Rätselhafte und Geheimnisvolle ein, „so viel Wunderliches, das wie eine spukhafte Erscheinung das alltägliche Leben ganz gewöhnlicher Menschen ins Blaue hinausrückte“, heißt es in seinem Märchen „Der goldene Topf“.
Auch das anrührend schmale, in die Bamberger Häuserzeile eingeklemmte Haus, in das die Eheleute am 1. Mai 1809 einzogen, erscheint wie aus der Hoffmannschen Phantasiewelt entsprungen. Durch das fast völlige Fehlen von Originalem waren die Museumsmacher gefordert, sich Hoffmanns Persönlichkeit und Werk mit Phantasie zu nähern, sei es im „Zaubergarten“ oder im „Spiegelkabinett“, um nur zwei der Rauminstallationen zu nennen. Phantasie braucht aber auch der Besucher, wenn er dieselbe hölzerne Haustür öffnet, durch die schon E.T.A. Hoffmann ein und aus ging, und die Stiegen hinaufsteigt zur Wohnung in den beiden oberen Stockwerken. Es sind kleine, gedrungene Räume, unten die Küche und die Wohnstube, darüber die Mansarde mit dem Schlaf- und dem Arbeitszimmer, das von Hoffmann „Poetenstübchen“ genannt wurde und zu dem ein Flur mit groben, original erhaltenen Holzdielen führt. Wie lebten die Eheleute wohl in diesem Häuschen? Hoffmann oben in seinem „musikalisch-poetischen Laboratorium“ eingesponnen in sein Kunstschaffen, durch eine Klappe im Boden mit dem Geschoss darunter verbunden. Durch die viereckige Luke strömte nicht nur etwas Küchenwärme in das karge Dachgeschoss, auch konnte sich Hoffmann immer wenn es ihm beliebte mit Mischa unterhalten und seine Späße treiben. So manches Mal kam es da „zu allerlei komischen Überraschungen“, wenn etwa ein Paar Stiefel oder ein Handtuch von oben geflogen kamen, wie wir von Kunz, Weinhändler und Hoffmanns Verleger, wissen.
In seiner Dachstube konnte sich E.T.A. Hoffmann aber auch ungestört seinem Tagebuch widmen, das wohl eher nicht für Mischas Augen bestimmt war. Einträge wie „Sich toll und voll gesoffen“ wurden von ihm mit einem Weinglas oder gar einem Weinglas mit Flügeln illustriert, und Einträge wie „exaltiert bis zum Wahnsinn“ mit einem Schmetterling. In die Bamberger Zeit fiel nämlich auch Hoffmanns Leidenschaft für seine damals 14-jährige Gesangsschülerin Julia Mark, die dann freilich auch Einträge wie „Eifersuchts-Szene mit der Frau“ und „geistiger Ehebruch“ zur Folge hatte. Als Julia mit 16 Jahren verheiratet wurde, stürzte Hoffmann in eine tiefe Depression.
1813 verließ das Ehepaar Bamberg. Nicht ganz freiwillig kehrte E.T.A. Hoffmann dann endgültig als Berliner Kammergerichtsrat in den Staatsdienst zurück: „Von der Kunst kann ich nun einmal nicht mehr lassen, und hätte ich nicht für eine herzensliebe Frau zu sorgen und ihr nach dem, was sie mit mir ausstand, eine bequeme Lage zu bereiten, so würde ich lieber abermals den musikalischen Schulmeister machen als mich in der juristischen Walkmühle trillen lassen“. Mit nur 46 Jahren starb E.T.A. Hoffmann an Rückenmarkschwindsucht. Sein Dichterkollege Heinrich Heine fand für ihn die treffenden Worte: E.T.A. Hoffmann „sah überall Gespenster, sie nickten ihm entgegen aus jeder chinesischen Teekanne und jeder Berliner Perücke; er war ein Zauberer, der die Menschen in Bestien verwandelte und diese sogar in königlich preußische Hofräte; er konnte die Toten aus den Gräbern hervorrufen, aber das Leben stieß ihn von sich als einen trüben Spuk.“
Das Leben vielleicht, aber nicht nachfolgende Generationen. E.T.A. Hoffmann, diese exzentrische, multiple Künstlerpersönlichkeit, gilt nicht nur als literarischer Wegbereiter der Psychoanalyse Sigmund Freuds, er hatte auch eine enorme Wirkung auf Schriftsteller wie etwa Dostojewski, Balzac, Kafka oder Edgar Allan Poe. Wir begegnen ihm in Robert Schumanns Klavierwerk „Kreisleriana“, in Jacques Offenbachs Oper „Hoffmanns Erzählungen“, in Tschaikowskis „Nussknacker“-Ballett – und in seinem wundersamen Häuschen in Bamberg.