Ludwig II. von Bayern

Ettal (Schloss Linderhof), Deutschland

Foto: Wikimedia commons/alexander palace forums (Ausschnitt)

Ein ewig Rätsel will ich bleiben mir und anderen.

25.08.1845

13.06.1886

www.schlosslinderhof.de

Bis heute haftet etwas Geheimnisvolles an ihm. Schon früh hatte er in einem Brief an seine Erzieherin vorausgesagt: „Ein ewig Rätsel will ich bleiben mir und anderen“. Seine Realitätsflucht, sein Bauwahn, seine Verschwendungs- und Prunksucht und auch sein Sterben im Alter von nur vierzig Jahren lassen sich noch immer nicht ganz ergründen. War es Krankheit, war es Leidenschaft? Wie lässt sich all dies Exzentrische, Verrückte, Phantastische seiner Existenz einordnen?

1864, mit achtzehn Jahren, kam er nach dem plötzlichen Tod seines Vaters Maximilian II. als Ludwig II. auf den bayerischen Königsthron. „Ich bin überhaupt viel zur früh König geworden. Ich habe nicht genug gelernt“, sinnierte er im Rückblick über diesen abrupten biografischen Einschnitt. „Plötzlich ward ich herausgerissen und auf den Thron gesetzt.“ Von Kind auf träumerisch und kunstsinnig veranlagt, wurde er als bayerischer Monarch schon bald mit Entscheidungen von großer politischer Tragweite konfrontiert. Sowohl die Niederlage 1866 gegen Preußen in Königgrätz als auch der Krieg 1870, in dessen Folge ihm die Aufgabe zugefallen war, im Namen der deutschen Fürsten dem preußischen König Wilhelm die Kaiserkrone anzutragen, schwächten die Autonomie des bayerischen Königreichs und manövrierten es in die Abhängigkeit von Preußen hinein. War es diese ungewollte Rolle im Kampf der politischen Mächte, die ihn, den Antimilitaristen, immer stärker aus der realen Welt in seine selbsterschaffene Traumwelt trieb? Und dank der prallgefüllten Wittelsbacher Privatschatulle konnte sich Ludwig II. lange Zeit ungestört seiner „Hauptlebensfreude“, dem extravaganten Schlösserbau, widmen und sich die „schauderhafte Zeit, in der wir leben“ vom Leibe halten.

Kein Wunder, das große Vorbild war sein Namensverwandter König Ludwig XIV. von Frankreich, der Prototyp eines absolutistischen Herrschers, der seine Machtfülle im barocken Zeitalter noch voll und ganz hatte ausleben können. Dieser prunkvolle Herrschaftsstil wäre ganz nach dem Geschmack Ludwigs II. gewesen. Aber als König einer konstitutionellen Monarchie waren ihm verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt. Nur seine Schlossbauten ermöglichten ihm, die höfischen Lebensformen des französischen Sonnenkönigs zu imitieren und zu zelebrieren.

Im Schloss Linderhof, das im Vergleich zu Neuschwanstein und Herrenchiemsee kleinste der drei Königsschlösser, begegnet man dem französischen König Ludwig XIV. und seiner Entourage auf Schritt und Tritt. Schon im Vestibül empfängt die Besucher seine Reiterstatue und die sinnbildliche goldene Sonne in der Deckendekoration. Statuen oder Porträts, die die Wittelsbacher-Dynastie Ludwigs II. repräsentieren, sucht man hingegen in Linderhof vergeblich. Hier wurden der französische Absolutismus der Bourbonen, ihr Paradeschloss Versailles und ihr Herrschaftszeichen, die Lilie, verherrlicht.

Schloss Linderhof, 1870 geplant und in mehreren Phasen erbaut, war das einzige zu seinen Lebzeiten fertiggestellte Schloss Ludwigs II. Es gilt als sein Lieblingsschloss, in ihm hat er sich am häufigsten aufgehalten. Verständlich, denn Linderhof und die vom Hofgartenarchitekten Carl von Effner erschaffene terrassierte Parkanlage strahlen auch heute noch einen intimen Zauber aus. Wenn der König sich im Schloss aufhielt, kündeten zwei lebensgroße Porzellanpfauen am Hauptportal von seiner Anwesenheit, denn „der Schöpfung schönstes Meisterwerk ist der Pfau“, so Ludwig II.

Entstanden auf dem Grund des väterlichen Jagdhauses, das 1874 abgetragen und etwas weiter entfernt wieder aufgebaut wurde, weist die blendend weiße, filigrane Rokokofassade des Schlösschens nur vage auf das prachtvolle Dekor der Innenräume hin. Drinnen überwältigt die Fülle an Gold, Silber, Marmor, kostbaren Edelsteinen und Stoffen: Das Audienzzimmer mit dem goldverzierten, samtgrünen Thron, das weitläufige königliche Schlafgemach, das dem von Ludwig XIV. in Versailles angeglichen ist, das Speisezimmer mit dem berühmten „Tischlein-deck-dich“ und das Spiegelkabinett, in dem Ludwig sich gegenüberliegende Spiegel hatte anbringen lassen: „ Nun muss der eine immer des anderen Bild wiedergeben, fort und fort, ohne Aufhören. Ich hatte den Blick in die Unendlichkeit geschaffen“, heißt es in seinem Tagebuch.

Ludwig war in seinem Architektur- und Dekorationsgeschmack zwar rückwärtsgewandt, aber den technischen Errungenschaften seiner Zeit gegenüber durchaus aufgeschlossen, waren sie doch imstande, seine illusionären Gegenwelten noch weiter zu perfektionieren. Das Schloss verfügte über elektrische Beleuchtung und Zentralheizung. Der Esstisch konnte mechanisch nach unten gezogen werden, wurde dort eingedeckt und anschließend wieder hochgezogen. So konnte sich der König ohne Störung durch die Dienerschaft seinen opulenten Mahlzeiten widmen. Und die blieben nicht ohne Folgen, denn je mehr der 1,93 m große Monarch an Leibesfülle zunahm, desto weniger Zähne verblieben ihm. Sein Oberkiefer soll zum Schluss beinahe zahnlos gewesen sein.

Nur nachts verließ Ludwig sein herrschaftliches Refugium für einsame Spaziergänge oder winterliche Schlittenfahrten in die oberbayerische Alpenlandschaft. Überhaupt lebte er nachts und schlief tagsüber. Schloss und Park dienten ihm im Spiel der Illusionen als große Theaterbühne. Hier, inmitten prächtiger Kulissen, war er der Mittelpunkt seiner Inszenierungen, Hauptdarsteller und Zuschauer zugleich. Er phantasierte sich in glorreiche vergangene Zeiten hinein, vorzugsweise in die musikalische Sagenwelt Richard Wagners, den er wahnhaft verehrte und ebenso wahnhaft mäzenatisch unterstützte.

Als der Schuldenberg zu hoch wurde, brach dann doch die taghelle Wirklichkeit über den träumerischen Nachtmenschen herein. Der bayerischen Regierung gelang es, mittels eines umstrittenen psychiatrischen Gutachtens, Ludwig für „regierungsunfähig“ und „seelengestört“ zu erklären, ihn seines Amtes zu entheben und in Schloss Berg festzusetzen. Bis heute ist nicht zweifelsfrei geklärt, wie es dazu kam, dass er und sein ihn begleitender Psychiater Bernhard von Gudden am Pfingstsonntag 1886 im Starnberger See ertranken.

Dass sich heute Besuchermassen aus aller Welt in seinem Schloss drängen, hätte den menschenscheuen Einzelgänger zutiefst befremdet. Der „Märchenkönig“ verschloss sich in seiner selbsterschaffenen Phantasiewelt gegenüber allen äußeren Störungen. Vielleicht könnte die Stille der Nacht und der Zauber tausender brennender, sich ins Unendliche spiegelnder Kerzen sein damaliges Lebensgefühl noch einmal heraufbeschwören. Aber es war einmal. Überlassen wir Schloss Linderhof ganz im Sinne Ludwigs II. der Nacht und dem Traum, denn seine Tage gehören schon längst dem lärmenden Trubel der Welt.