Franz von Stuck
München, Deutschland
Foto: Wikimedia commons/Franz von Stuck, 1905 (Ausschnitt)
23.02.1863
30.08.1928
Nirgends lässt sich so augenscheinlich erfahren, was das Fin de Siècle unter Kunstreligion verstand, wie in der Münchner Villa Stuck. Dieses Haus des Malers, Zeichners und Bildhauers Franz von Stuck ist ein prachtvoller, der Kunst geweihter Tempel, in dessen kultischem Zentrum folgerichtig ein Altar thront. Doch hier wird nicht die Madonna verehrt, sondern „Die Sünde“. Dieses 1893 erstmals ausgestellte Gemälde wurde zu einer Ikone des Fin de Siècle. Es zeigt eine dunkelhaarige Frau, von einer Python umschlungen, die ihre hellschimmernden Brüste verführerisch darbietet. Stuck porträtierte darin seine frühere Geliebte Anna Maria Brandmaier, die Mutter seines einzigen Kindes Mary. Unter dem Bild stehen in goldglänzenden Mosaiknischen die ebenfalls vom Künstler geschaffenen Bronzestatuetten „Der Athlet" - ein Selbstporträt - und „Die Tänzerin“, wohl ein Porträt seiner eleganten Ehefrau Mary Lindpaintner.
Hier in diesem pompösen Ateliersaal, in dem Stuck stilgerecht im maßgeschneiderten Frack zu malen pflegte, der gleichzeitig aber auch als Empfangs- und Ausstellungsraum diente, sind zentrale Motive seines Schaffens versammelt. Der Fries mit den vor Energie und Lust strotzenden Kentauren etwas verweist auf jene mythologischen Fabelwesen - Faun, Amazone, Sphinx, Nymphe -, die für Stuck die Urtriebe des Menschen verkörperten. „Ich möchte die Kraft des Mannes und die weiche Schmiegsamkeit des Weibes verherrlichen“, lautete seine künstlerische Devise. Da lag es nahe, dass der niederbayerische Müllerssohn, nachdem er 1906 in den Personaladel erhoben worden war, den Kentaur zu seinem Wappentier wählte.
Gleichzeitig aber, das zeigen auch die anderen Repräsentationsräume im Erdgeschoss - das Vestibül, der Empfangs- und der Musiksalon -, ist Stucks ästhetischer Referenzpunkt die Antike. Diese Räume mit Kopien antiker Skulpturen, mit Reliefs und Ornamenten sind eine einzige Hommage an diese künstlerische Glanzzeit. Auch die neoklassizistische Fassade des Hauses, das Stuck 1897/98 auf dem Höhepunkt seines Erfolgs nach eigenen Entwürfen errichten ließ, zitiert die Formensprache der Antike. Den klar gegliederten kubischen Baukörper schmücken ein Götterfries sowie überlebensgroß auf dem Dach positionierte Götterstatuen. Am bronzenen Eingangsportal empfängt die Gäste ein Medusenhaupt, dessen Maul den Stucks einst als Briefkastenschlitz diente.
Die symbolbeladene Raumkomposition im Empfangs- und im Musiksalon zeigt Stucks ganze inszenatorische Meisterschaft. Hier in der luxuriösen Fülle von Marmor, Kassettendecke, Goldmosaiken, Spiegelwänden und selbstentworfenen Mahagonimöbeln verband sich seine eklektizistische Vorstellung von Schönheit zu einem unverwechselbaren Stil. Das erlesene Gestaltungsprogramm erinnert an die Londoner Villa des Malers Frederic Leighton, möglicherweise ein Vorbild für Stuck. Der angrenzende Musiksalon wiederum imitiert ein römisches Atrium, überwölbt von einem tiefblauen Sternenhimmel mit den Tierkreiszeichen. Angeblich verweist die gemalte Planetenkonstellation auf eine Liebesnacht im August 1895, in der Stucks Tochter Mary gezeugt worden sein soll.
Im hinteren Teil des Hauses, zur Gartenseite hin, lagen die privaten Räume. Deren Inventar ist heute nicht mehr erhalten, dafür haben wir Gelegenheit, dort einer Reihe von Stucks Werken zu begegnen. Auf alten Fotografien ist die ursprüngliche Einrichtung dokumentiert, die stärker an die überladene Schwere des 19. Jahrhunderts anknüpft als es die kunstvoll komponierten Repräsentationsräume vermuten lassen. Dieser opulente Wohnbereich Stucks hatte offensichtlich mehr Ähnlichkeit mit dem seiner Konkurrenten Franz von Lenbach und Friedrich August von Kaulbauch, die gleichfalls in ihren herrschaftlichen Münchner Villen ihr Image als „Malerfürsten“ zelebrierten. Dabei hatte Stuck als Mitbegründer der Münchener Secession gerade gegen deren Kunstgeschmack und Dominanz im Kulturbetrieb opponiert.
Vom Speisezimmer führte eine versteckte Holztreppe zu den ehelichen Schlafzimmern, von denen es keine fotografische Dokumentation gibt. Der Garten mit Pergola, Veranda und Skulpturen erinnert ebenfalls an antike Vorbilder. 1914/15 ließ Stuck ein weiteres Ateliergebäude anbauen und dort im Erdgeschoss ein Bildhaueratelier einrichten. Seine Bronzeplastik der “Reitenden Amazone“ schmückt seit 1936 das Eingangsportal der Villa.
Der pathetischen Antikeverehrung blieb Franz von Stuck bis in den Tod hinein treu. Als er 1928 an Herzversagen starb, wurde sein Leichnam zu den Klängen von Richard Wagners „Götterdämmerung“ in altrömischem Gewand beigesetzt. Doch da war Stucks ästhetizistisches Kunstverständnis bereits von einer neuen Zeit verdrängt worden, mit neuen Kunstgöttern und einer neuen Künstlergeneration – darunter auch seine einstigen Schüler Wassily Kandinsky und Paul Klee.