Suzanne Valadon

Paris, Frankreich

Porträt von Suzanne Valadon

Foto: Musée de Montmartre (Ausschnitt)

Meine Zuneigung für das Leben an sich.

23.09.1865

07.04.1938

museedemontmartre.fr

Henri de Toulouse-Lautrec, einer ihrer Liebhaber, hatte ihr den Namen Suzanne verpasst, nach dem biblischen Urbild der „Susanna im Bade“. Denn auch die blutjunge Marie-Clémentine, so ihr eigentlicher Vorname, war den eindringlichen Blicken älterer Männer ausgesetzt, in ihrem Fall den eindringlichen Blicken Pariser Künstler, denen sie Modell saß. In bekannten Gemälden von Puvis de Chavannes, Renoir und Toulouse-Lautrec kann man ihr noch heute begegnen. Sie war ein gefragtes Malermodell und mit einer frappierenden Selbstverständlichkeit gingen in jener Zeit derartige Arbeitsbeziehungen oftmals in sexuelle Beziehungen über.

Als uneheliches Kind einer Wäscherin war sie seit ihrem fünften Lebensjahr am Montmartre aufgewachsen, einem Pariser Viertel, in dem es nur so wimmelte von Malern, Dichtern und Musikern. Bereits als Elfjährige musste sie die Schule verlassen, um mit diversen Gelegenheitsjobs zum Lebensunterhalt beizutragen. Weil eine Sturzverletzung ihrem Artistentraum im Zirkus ein Ende setzte, verdingte sie sich fortan als Künstlermodell. Mit achtzehn brachte sie ihren Sohn Maurice zur Welt. Jahre später übernahm der spanische Maler und Kunstkritiker Miguel Utrillo y Molins die Vaterschaft. Mit ihm, aber auch mit andern wie etwa dem Musiker Erik Satie hatte sie Liebschaften.

Doch mit passivem Modellsitzen begnügte sich die eigenwillige Suzanne mit der Zeit nicht mehr. Sie, die schon als Kind das Zeichnen für sich entdeckt hatte, beobachtete ihre Auftraggeber sehr genau und studierte deren Handhabung mit Farbe und Pinsel. Als Toulouse-Lautrec zufällig Zeichnungen von ihr zu Gesicht bekam, bahnte er ihr den Weg zum Altmeister Edgar Degas. Auch der erkannte ihr „Zeichengenie“, wies sie in künstlerische Arbeitstechniken ein und vermittelte sie an Sammler und Kunsthändler. Er kaufte mehrere ihrer Werke und schrieb bewundernd: „Von Zeit zu Zeit betrachte ich Ihre Rötelzeichnung in meinem Esszimmer, die dort immer noch hängt.“ 1894 wurden erstmals Werke von ihr ausgestellt, fortan firmierte sie unter dem Künstlernamen Suzanne Valadon.

Suzanne emanzipierte sich von der traditionellen weiblichen Rolle als Muse und Modell und nahm selbstbewusst als Künstlerin auf der anderen Seite ihren Platz ein. Das macht sie sehr besonders für ihre Zeit. Später wechselte sie von der Zeichenkunst zur Malerei. Und obgleich in ihrem Stil Einflüsse etwa von Matisse, Cézanne oder Gauguin durchschimmern, fand sie dennoch zu ihrer eigenen Bildsprache, stilistisch erkennbar an den dunklen Konturlinien und kräftigen, kompakten Farben.

Die Heirat 1896 mit dem wohlhabenden Bankkaufmann Paul Mousis sollte Ruhe in ihr Leben bringen und ihr mehr Zeit zum Malen verschaffen. Aber 1909 verliebte sie sich in den 21 Jahre jüngeren André Utter, einen Freund und Malerkollegen ihres Sohnes, und trennte sich vom Ehemann. 1912 zog das Paar mit Maurice in die kleine Atelierwohnung in der Rue Cortot, einem Häuserensemble am Montmartre mit mehreren Künstlerunterkünften. André war nicht nur Suzannes Liebhaber, sondern auch ihr Modell. Das 1909 entstandene Gemälde „Adam und Eva“ zeigt beide nackt in einer heiteren Paradiesszene. Ein neuer weiblicher Künstlerblick auf den nackten Männerkörper schlägt sich hier Bahn. Suzanne Valadon war die erste Frau, die einen männlichen Akt frontal von vorne darstellte. Ein Skandal in der damaligen Zeit. Während Männer ganz selbstverständlich nackte Frauen malten, war der umgekehrte Fall ein Tabu. Suzanne konnte das Bild nur mit dem Zugeständnis ausstellen, Adam eine Weinranke um die Lenden zu malen. Doch diese nachträgliche Dekoration wirkt so auffällig gekünstelt, dass die ironische Distanzierung unverkennbar ist.

Im Vergleich zu den bürgerlichen Malerinnen ihrer Zeit, die zumindest die Möglichkeit hatten, in privaten Kunstschulen ausgebildet zu werden, war Susanne Valadon allein schon aufgrund ihrer sozialen Herkunft eine Autodidaktin. Das befreite sie jedoch zugleich von einengenden gesellschaftlichen Konventionen und Traditionen. Sie bewahrte sich ein freizügiges Verhältnis zur Körperlichkeit. Und diese Unabhängigkeit und Kompromisslosigkeit begünstigte ihren unverstellten, nüchternen Blick auf das Leben. In ihren Frauenporträts und Frauenakten fehlen jegliche idealistische Beschönigung und jegliche voyeuristische Vereinnahmung. Vielmehr werden die Figuren in ihrem natürlichen Sein gezeigt.

Diese Haltung des genauen Hinsehens kommt auch in ihren Landschaftsbildern und Stillleben zum Ausdruck: „Bäume, Himmel, Wasser und Menschen berühren mich tief und leidenschaftlich. Formen, Farben und Bewegungen regen mich dazu an, mit Liebe und Inbrunst zu malen, um den Dingen, die ich so sehr schätze, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. In meinen Gemälden ist nicht ein Pinselstrich, nicht eine Linie, die ihren Ursprung nicht in der Natur hat. Wenn ich meine Leinwände aufbaue, ersinne ich die Formen, aber die Natur ist der Maßstab, an dem ich die Wahrhaftigkeit meiner Gemälde messe, stets angeregt durch meine Zuneigung für das Leben an sich.“

Mit André Utter, den sie kurz vor Kriegsbeginn 1914 heiratete, erlebte sie anregende und produktive Schaffensjahre, obwohl Streitereien und die Dauersorge um ihren alkoholsüchtigen, labilen Sohn den Alltag bestimmten. Wohl aus therapeutischen Gründen hatte sie Maurice zur Malerei hingeführt, seine eingängigen Paris-Bilder verkauften sich bestens. Und auch Suzanne Valadon war in den 1920er Jahren eine gefragte Malerin. Eine Zeitlang schwelgte das Trio regelrecht im Luxus. Aber 1926 zerbrach die Arbeits- und Wohngemeinschaft, Suzanne und André ließen sich 1934 scheiden, Maurice ging eine Versorgungsehe ein.

Ihre gemeinsame Atelierwohnung im zweiten Stock des „Musée de Montmartre“ wurde originalgetreu rekonstruiert: das lichtdurchflutete Atelier, das kleine Wohnzimmer und die Schlafkammer von Maurice, dessen schmales Fenster wegen der unkalkulierbaren Anfälle des Trinkers vergittert war. Das Museum zeigt darüber hinaus die Geschichte des Montmartre-Viertels und verfügt über eine umfangreiche Kunstsammlung. Mit seinem idyllischen Garten ist es eine Oase im Pariser Stadtleben. Hier kann es gelingen, zumindest eine Ahnung davon zu bekommen, wie die damalige Bohème, wie Suzanne Valadon gelebt, geliebt und gearbeitet hat.

 

E-Mail-Icon Drucken-Icon PDF-Icon Nach-Oben-Springen-Icon