Yves Saint Laurent
Marrakesch, Marokko
Foto: Wikimedia Commons/Reginald Gray,1976 (Ausschnitt)
01.08.1936
01.06.2008
Für zwei französische Künstler – Jacques Majorelle und Yves Saint Laurent – war dieser Garten in Marrakesch der Inbegriff des Paradieses. Der Maler und der Modeschöpfer lebten und arbeiteten zu unterschiedlichen Zeiten im legendären Jardin Majorelle. Das Anwesen hat alles, was einen islamisch geprägten Garten ausmacht – ganz im Sinne des altpersischen Wortes für „Paradies“: eine hinter hohen Mauern verborgene Oase.
Jacques Majorelle, Sohn des berühmten Jugendstildesigners Louis Majorelle, hatte 1923 in seiner Wahlheimat Marrakesch das Grundstück erworben, den Garten angelegt und ein Wohnhaus im maurischen Stil errichtet. Einige Jahre später beauftragte er den Architekten Paul Sinoir mit dem Bau eines separaten Ateliers in modernen kubischen Formen. Die Fassade dieses Pavillons ließ er in einem tiefen Kobaltblau streichen – dem sogenannten „Bleu Majorelle“, angelehnt an die traditionelle Farbe der Berber. Dieses Blau leuchtet immer wieder magisch durch das üppige Grün von Palmen, Bambus und Kakteen. Farbkräftige Bougainvilleen und gelbe Terrakotta-Töpfe setzen weitere Akzente, während Wasserkanäle, Bassins und Brunnen dem Ensemble eine lebendige Frische verleihen.
Nach Majorelles Tod im Jahr 1962 verwilderte das Areal zunehmend. Als es einem Hotelkomplex weichen sollte, traten Yves Saint Laurent und sein Lebensgefährte Pierre Bergé auf den Plan. Auch sie waren längst dem exotischen Zauber Marokkos verfallen. „Als ich Marrakesch entdeckte, war es wie ein Schock. Die Stadt öffnete mir die Augen für ihren unermesslichen Farbenreichtum“, erinnerte sich Yves.
1980 erwarb das Paar den orientalischen Traumgarten, restaurierte ihn sorgfältig und bezog Majorelles ehemaliges Wohnhaus, das fortan „Villa Oasis“ hieß. Mehrere Monate im Jahr zogen sich die beiden dorthin zurück. Yves Saint Laurent arbeitete hier an seinen Kollektionen, die er zwei Mal jährlich in Paris präsentierte.
Yves, in der damaligen französischen Kolonie Algerien in eine wohlhabende Familie hineingeboren, zeigte schon früh eine Leidenschaft für Kostüme und Stoffe. Bei Modewettbewerben gewann er für seine Entwürfe erste Preise. Mit 18 Jahren wurde er in Paris Assistent des großen Christan Dior. Als Dior 1957 überraschend starb, berief man den 21-Jährigen zu dessen Nachfolger. Eine Sensation in der mondänen Welt der Haute-Couture, zumal Yves gleich mit seiner ersten Kollektion eigene Akzente setzte. Er verabschiedete sich von der bei Dior gepflegten Wespentaille und brachte eine neue Lockerheit in die Damenmode. Sein Bruch mit der Diorschen Traditionslinie erreichte schließlich mit der „Beat-Look“-Kollektion einen provokativen Höhepunkt, denn „die Inspiration, die ich von der Straße bezog, wurde als sehr vulgär angesehen von den meisten Leuten, die sonst auf vergoldeten Stühlen in den Modesalons saßen.“
Frankreich befand sich in jener Zeit mitten im Algerienkrieg und 1960 endete Yves Blitzkarriere jäh mit der Einberufung zum Militärdienst. Lange hielt der sensible, schöngeistige Modemacher der Härte des Kriegs nicht stand. Nach mehreren Nervenzusammenbrüchen kam er schon nach wenigen Wochen in eine psychiatrische Klinik – und erfuhr dort, dass das Haus Dior ihn nicht weiter beschäftigen werde.
Gemeinsam mit Pierre Bergé gründete der 25-Jährige daraufhin ein eigenes Modehaus. Und das Wagnis gelang. Der Erfolg blieb ihm über mehrere Jahrzehnte lang treu, die Initialen YSL wurden zur Weltmarke. Yves schrieb mit seinen Kollektionen Modegeschichte. Sein Talent, aus dem Reservoir der Zeit-, Kunst- und Kulturgeschichte Ideen zu schöpfen und sie in Kleidung zu transformieren, war außergewöhnlich.
So nahm er etwa die emanzipatorische Stimmung der sechziger Jahre auf und übertrug klassische Männerschnitte in die Damenmode. Der von ihm kreierte Hosenanzug, der Trenchcoat und die gerade geschnittene Jacke sind aus der heutigen Frauenmode nicht mehr wegzudenken. „Aber ich bin schon lange der Ansicht, dass die Mode eine Frau nicht nur verschönern, sondern ihr auch Sicherheit geben und Selbstvertrauen schenken soll, es ihr erlauben soll, sich selbst zu verwirklichen“, so Yves. Mit subtil androgyner Formensprache wollte er Frauen auch im Erscheinungsbild auf Augenhöhe mit den Männern zeigen. „Ich weiß, dass ich die Mode vorangebracht habe und den Frauen ein bisher verbotenes Universum eröffnet habe“, bilanzierte er seine Arbeit. Aber auch der sinnliche „Nude-Look“, der nackte Haut durch transparente Stoffe raffiniert zur Geltung bringt, gehörte zu seinem Repertoire, denn „nichts ist schöner als ein nackter Körper“, davon war Yves überzeugt.
Seine Anleihen bei Künstlern wie etwa Mondrian, Picasso, van Gogh, Matisse, Miró oder Delacroix sowie bei der russischen, arabischen, asiatischen oder afrikanischen Folklore brachten eine intensivere Farbigkeit in seine Kreationen. Besonders in seinen glamourösen Abendgarderoben entfaltete sich dieser opulente Stil in ganzer Pracht.
Doch das kurze Hochgefühl nach einer enthusiastisch gefeierten Modenschau reichte nicht aus, um die dunklen Seiten seines scheuen und introvertierten Wesens in Schach zu halten. Mitte der 1970er Jahre geriet Yves mit Alkohol- und Drogenexzessen in die Schlagzeilen. „Ich habe viele Krisen durchgemacht, bin durch viele Höllen gegangen. Ich habe Angst erlebt und schreckliche Einsamkeit, falsche Freunde wie Beruhigungsmittel und Drogen, das Gefängnis der Depression und der Heilanstalten“, bekannte er. „Marcel Proust hat mich gelehrt, dass die glanz- und jammervolle Familie der Nervösen das Salz der Erde sei. Ich habe mir diesen fatalen Weg nicht ausgesucht.“ Auch Pierre Bergé konnte nicht mehr tun, als dem lebenspraktisch völlig Unbegabten alles Geschäftliche und Alltägliche vom Leibe zu halten.
2002 verabschiedete sich Yves Saint Laurent von der Modewelt und zog sich mehr und mehr in die Stille zurück. Bei den heutigen Besucherströmen kaum vorstellbar, bot ihm die „Villa Oasis“ einst Schutz vor einer Außenwelt, die nicht mehr die seine war. Yves erkrankte an einem Hirntumor und verstarb 2008. Seine Asche wurde im Rosengarten verstreut. Die Sammlung seiner „Love“-Bilder, die er über viele Jahre hinweg als Neujahrskarte an Freunde verschickt hatte, sowie ein Denkmal erinnern an ihn.
Der paradiesische Jardin Majorelle bleibt Yves Saint Laurents und Pierre Bergés Vermächtnis, ebenso wie das Museum zur Kultur der Berber im „Blauen Haus“ und das benachbarte großartige YSL-Museum. Dort begegnet uns der Modeschöpfer in all seinen Facetten – als Künstler, Ästhet und sensibler Geist, dessen Ziel es war, Menschen mit seiner Mode zu bereichern. „Ich denke“, sagte Yves, „wenn sie sich in ihren Kleidern wohlfühlen, sind sie glücklicher.“