Jean-Henri Fabre
Sérignan-du-Comtat, Frankreich
Ich glaube nicht an Gott, ich sehe ihn.21.12.1823
11.10.1915
Wer wissen möchte, wie intakte Biodiversität früher einmal ausgesehen hat, was da so kreuchte und fleuchte, der wende sich vertrauensvoll an Jean-Henri Fabre. Ja, vertrauensvoll, denn dieser französische Naturforscher verstand es meisterlich, seine Leserschaft zum Komplizen seiner Erkundungen in der provenzalischen Landschaft zu machen, sie an seinen Beobachtungen und Experimenten so intensiv teilhaben zu lassen, als wären sie selbst leibhaftig dabei gewesen. Sein unterhaltsamer Erzählton ermöglichte es auch wissenschaftlich Unkundigen, dem Treiben der schwarzbäuchigen Tarantel, der gelbflügeligen Grabwespe, des Goldlaufkäfers, des heiligen Pillendrehers und unzähligem anderen Getier gebannt zu folgen. Ungeahnte Abenteuergeschichten tun sich da auf. Insekten offenbarten, so Fabre, „mit ihrem unerhörten Reichtum an Instinkten, Verhaltensweisen und Gestalten eine neue Welt, so als sprächen wir mit Bewohnern eines anderen Planeten. Daher schätze ich Insekten und erneuere ständig meine nie langweilig gewordenen Beziehungen zu ihnen.“
Fabre war Autodidakt, er wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. „Meine Mutter, gänzlich ungebildet, hat an Erziehung nichts anderes gekannt als die bittere Erfahrung eines mühsamen Lebens“, erinnerte er sich. Mittels Stipendien schaffte er es, das Abitur abzulegen und die Lehrerlaufbahn einzuschlagen. 1855 promovierte er an der naturwissenschaftlichen Fakultät der Pariser Universität. Als er 1870 in volksbildnerischen Abendkursen, zu denen auch Mädchen zugelassen waren, die Befruchtung der Blüten etwas zu anschaulich erklärte, brachte er die konservativ-klerikalen Kreise Avignons gegen sich auf. Fabre flog von der Schule und gleich auch noch aus der Wohnung. Seinen Lebensunterhalt für sich und seine vielköpfige Familie verdiente er sich fortan durchs Schreiben. Er lebte von den Einnahmen seiner fast hundert populärwissenschaftlichen Schul- und Lehrbücher zu Chemie, Himmelskunde, Physik, Botanik, Arithmetik, Algebra und Landwirtschaft.
Erst spät, im Alter von 56 Jahren, hatten „die kleinlichen Erbärmlichkeiten des Lebens“ ein Ende, „nun endlich ist das langersehnte Laboratorium Wirklichkeit geworden“, schrieb Fabre. 1879 konnte er sich in der Nähe von Orange seinen Traum erfüllen und ein hektargroßes Areal mit einem zweigeschossigen Haus erwerben, „ein Stück Land, nein, nicht besonders groß, aber abgeschlossen und geschützt vor neugierigen Blicken, ein Stück Land, verlassen, unfruchtbar, ausgedörrt von der Sonne, aber günstig für Disteln und Hautflügler.“ Fabre nannte es „Harmas“ (Brachland). Um „das köstliche Eden, wo ich seitdem die Insekten beobachte“, errichtete er eine hohe Steinmauer. Solchermaßen ungestört lebte er in Sérignan-du-Comtat zufrieden und zurückgezogen mit seiner Familie. Nach dem Tod seiner ersten Frau Marie-Césarine heiratete der Witwer seine junge Haushälterin Marie-Joséphine. Insgesamt acht Kinder wuchsen auf und durften schon früh bei den väterlichen Feldforschungen assistieren.
Fabres Arbeitsraum ist ein erstaunliches Naturalienkabinett. Deckenhohe Wandschränke und Vitrinen zeugen von einer ungeheuren Forschungs- und Sammelleistung. Wie seine prallgefüllten Herbarien beweisen, erstreckte sich seine Neugier auch auf die heimische Pflanzenwelt. Und weil sich Pilze nun mal nicht pressen lassen, brachte Fabre sich kurzerhand das Malen bei und dokumentierte deren Vielfalt in über 600 detailgenauen Aquarellen. Auch sein geliebtes Arbeitstischchen, das später von einer japanischen Firma mit großem Verkaufserfolg nachgebaut wurde, ist dort zu sehen. „Gerade so groß wie ein Taschentuch, rechts das Tintenfläschchen, links das offene Heft, bot mein kleiner Tisch gerade genug Platz, um darauf zu schreiben.“
Fabre ging es um die detailgenaue Erforschung des „Lebens in Aktion“. Und dafür war ihm keine Mühe zu groß. Stundenlang konnte er hingebungsvoll in sengender Hitze, nur mit seinem obligatorischen Schlapphut geschützt, auf der Lauer liegen, um im Idealfall ein neues Mosaiksteinchen zur Erkenntnis der Insektenwelt hinzuzufügen. Er beobachtete die Krabbeltiere, ihre Fortpflanzung, Brutpflege, Überlebensstrategie, in ihrem natürlichen Lebensraum. Es war ein liebender, staunender Blick auf „die Geheimnisse der lebendigen Natur“. Nicht umsonst gilt Fabre als Wegbereiter der Verhaltensforschung.
Seine Methode stand im Kontrast zum zeitgenössischen akademischen Wissenschaftsbetrieb, an dem er kein gutes Haar ließ: „Ihr weidet das Tier aus, aber ich studiere es lebend. Ihr macht aus ihm ein Objekt der Abscheu und des Mitleids, ich mache, dass man es liebgewinnt, dass es nicht leiden muss; ihr arbeitet in der Werkstatt der Folter und Zerstückelung, ich arbeite unter blauem Himmel, beim Gesang der Zikaden; ihr unterwerft die Zelle und das Protoplasma den Reagenzien, ich beobachte den Instinkt in seinem erhabensten Ausdruck; ihr erforscht den Tod, ich erforsche das Leben.“ Mit Charles Darwin, der ihn als „unvergleichlichen Beobachter“ rühmte, stand Fabre im Briefwechsel. Dessen Evolutionstheorie jedoch mochte er nicht folgen, alle Theoriegebäude und Systeme waren Fabre suspekt. In allem sah er die göttliche Schöpfermacht am Werk. Voller Demut und Verehrung stand er vor den Wundern der Natur: „Ich glaube nicht an Gott, ich sehe ihn.“
Erst spät kam sein Lebenswerk zu Ehren. Für seine zehnbändigen „Erinnerungen eines Insektenforschers“ mit dem schönen Untertitel „Studien über den Instinkt und die Sitten der Insekten“ war er 1912 sogar im Gespräch für den Literaturnobelpreis. Der wurde dann aber letztendlich Gerhard Hauptmann zugesprochen. Verdient hätte ihn der „Homer der Insekten“, wie Fabre einmal von Victor Hugo tituliert worden war, jedoch allemal.