Linley Sambourne

London, England

Foto: Wikimedia commons/Edward Linley Sambourne (Ausschnitt)

Was Sie sehen, ist das Beste vom Besten. Das ist in allem mein Prinzip.

04.01.1844

03.08.1910

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Locationscouts hätten ihre Freude. Das Londoner Haus von Linley Sambourne ist eine perfekte Filmkulisse. Und tatsächlich, Szenen in „Zimmer mit Aussicht“ oder „Maurice“ wurden in diesen exquisiten und weitgehend im Originalzustand erhaltenen Räumen gedreht. In dem fünfstöckigen Kensingtoner Stadthaus fällt es leicht, in die bürgerliche Lebensatmosphäre der spätviktorianischen Zeit einzutauchen. Hier wohnte ab 1875 der „Punch“-Zeichner Linley Sambourne mit seiner Frau Marion und den beiden Kindern. 35 Jahre lang bis zu seinem Tod blieb das Haus in Stafford Terrace sein Lebens- und Arbeitsmittelpunkt.

Linley Sambourne war seit 1867 beim legendären Londoner Satiremagazin „Punch“ beschäftigt, zunächst zuständig für die Gestaltung kunstvoller Initialen, die jeden Zeitschriftenartikel einleiteten, bald darauf als fester Mitarbeiter und 1901 als leitender Karikaturist des Magazins. Daneben schuf Sambourne auch Buchillustrationen und Werbezeichnungen für andere Auftraggeber. Seine Schwarzweißkarikaturen zu Charles Darwin („Man is but a worm“) und zu Cecil Rhodes („The Rhodes Colossus“) sind bis heute Ikonen des Genres. Auch die legendäre Karikatur zu Bismarcks Entlassung („Dropping the Pilot“/„Der Lotse geht von Bord“), das in keinem deutschen Geschichtsschulbuch fehlt, erschien – wenn auch nicht von Sambourne gezeichnet – zuerst im „Punch“-Magazin.

Tausende Karikaturen hat der an Dürer und Hogarth geschulte Sambourne während seiner über 40-jährigen Mitarbeit bei „Punch“ erschaffen. Der Lebensrhythmus im Sambourne-Haus war folglich geprägt von den redaktionellen Deadlines. Mittwochs wurden die Themen für die nächste Ausgabe festgelegt, freitags mussten die dazu passenden Illustrationen geliefert werden. Der Zeitdruck und die Hektik an diesen Wochentagen ließen erst nach, als Sambourne in den 1880er Jahren die Fotografie für seine Zwecke entdeckt hatte. Er spannte sein ganzes Umfeld – Familie, Freunde, Hausangestellte – ein, um sie in verschiedenen Kostümierungen und Haltungen fotografisch festzuhalten. So entstand mit der Zeit ein riesiges Repertoire an Posen und Charakteren, die er zeitsparend als kompositorische Vorlagen für seine „Punch“-Zeichnungen nutzte. Auch sich selbst nahm er von dieser Obsession nicht aus. Sambourne war ein Meister der Selbstfotografie. Wer glaubt, das Selfie sei eine Erfindung unserer Zeit, wird hier schnell eines Besseren belehrt.

Seit 1887 begann Sambourne auch mit professionellen weiblichen Modellen zu arbeiten. Eine Vielzahl von Aktfotos entstand im Laufe der Zeit. Diese delikaten Fotosessions fanden zwar im Haus der Sambournes statt, allerdings nur, wenn Marion auf Reisen war. Ob Linley die erotischen Fotos primär für seine „Punch“-Zeichnungen einsetzte, mag mit Recht bezweifelt werden. Er fotografierte und sammelte wohl mehr zu seinem eigenen Vergnügen. Entwickelt hat er seine Fotos übrigens in der Badewanne der Familie. So mutierte das Badezimmer dann zeitweilig zu Sambournes experimenteller Dunkelkammer.

Doch auch das gesellschaftliche Leben kam bei den Sambournes nicht zu kurz. Linley vergnügte sich mit Ausritten auf seinem Pferd Punch und gab gerne in seinem Haus Empfänge. Die Sambournes waren bestrebt, sich sozial im arrivierten Bürgertum zu verankern. Kein Wunder, wenn man hochangesehene Künstler wie Frederic Leighton, einen Meister edlen Wohnens, in seiner Nachbarschaft wusste. Ihr vor kostbarem Dekor übervolles Haus strahlt dieses Bemühen um Status und Repräsentation bis in den letzten Winkel hinein aus.

Im Erdgeschoss befinden sich das Speisezimmer und ein der Hausherrin vorbehaltener Raum. Der sich über den gesamten ersten Stock ausdehnende Salon war das Repräsentationszentrum des Hauses. Sambourne steckte viel  Mühe und Geld in die Innenausstattung. Bunte Glasfenster, teils nach seinen eigenen Entwürfen gestaltet, sowie William-Morris-Tapeten, die später – aus Kostengründen nur an den sichtbare Wandstellen – durch teure Kunstledertapeten ersetzt wurden, verleihen den Räumen einen warmen Braunton. Die Wände sind übersät mit Sambournes Zeichnungen und Fotografien. Viele kostbare Gegenstände und Antiquitäten wurden vom Hausherrn im Laufe der Zeit angeschafft. Ihre verschiedenen Stile verbinden sich zu einem zeittypischen eklektizistischen Ästhetizismus. Einem Journalisten gegenüber erklärte Linley 1893 sein Sammelprinzip: „Was Sie sehen, ist das Beste vom Besten. Das ist in allem mein Prinzip, nichts zu kaufen, was nicht wirklich gut ist. Aber das hat viel Zeit in Anspruch genommen.“

Dieses Haus, das so intakt und scheinbar unberührt in unsere Zeit hinübergerettet wurde, eröffnet einen faszinierenden Zugang zur spätviktorianischen Wohnkultur und Lebenspraxis, kongenial ergänzt durch die zahlreich erhaltenen Briefe und Tagebücher von Mr und Mrs Sambourne. Wessen eigenes Kopfkino bei dieser Eindrucksfülle nicht von alleine losrattert, dem seien die feinkomponierten Filmszenen in „Zimmer mit Aussicht“ und „Maurice“ empfohlen.